Globalisierung hat zunächst mal eine ganz simple Voraussetzung, sie steht dem Regionalen gegenüber. Werden Groß und Klein nicht mehr unterschieden, dann wäre Globalisierung ein überflüssiger Begriff. An das große Ganze kann man nur denken, wenn es vom Kleinen unterschieden wird. Eigentlich ist das banal. Eine konstruktive Entwicklung der Globalisierung hängt davon ab, wie das Verhältnis von Regional zu Global gestaltet wird. Damit Menschen Globalisierung als für sie nützlich oder hilfreich begreifen können, muss zunächst der Standort verdeutlicht und konkretisiert werden. Global kann nicht gedacht werden, wenn das Regionale in seinen Grenzen nicht sehr deutlich gefasst wird. So etwas machen Gruppierungen wie die AfD – egal wie man dies inhaltlich bewertet. Genauer müsste bestimmt werden, was Globalisierung gegenübergestellt wird. Denn es wäre durchaus möglich, dass das Regionale nicht die einzige Polarität bildet, sondern auch kleine Gruppierungen in dieser Weise gedacht werden können. Eine solche Polarität müsste dann auf ihre gesellschaftliche Stellung hin untersucht werden. Dabei – so kann vermutet werden – orientieren sich die gesellschaftlich Benachteiligten eher an ihrer Region, während die Reichen sich mit geschlossenen und überregionalen Gruppierungen identifizieren können, da sie Sprachgrenzen leichter überschreiten können und die finanziellen Möglichkeiten haben, Entfernungen mühelos zu überwinden.
Beispiel: Katholische Kirche
Die katholische Kirche dürfte wohl der ‚Konzern‘ sein, der schon immer global konstruiert war. Es gibt eine Konzernspitze in Rom, auf die hin jede kleinste Gruppierung orientiert ist. Im Verhältnis gab es über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Konflikte, sodass auch die Konzernzentrale für einige Jahre nach Avignon verlegt wurde. Die Idee einer globalen Organisation wurde jedoch nie aufgegeben. Durch das Latein war es auch möglich, sich überall zu verständigen. Die Wichtigkeit der Regionalisierung erkannte zum Beispiel der erste Bischof des Bistums Essen, Kardinal Franz Hengsbach. Er veranlasste den Bau zahlreicher Kirchen, die nach damaligem Kenntnisstand des demografischen Wandels eigentlich gar nicht mehr hätten gebaut werden dürfen. Aber auch in Rom in unmittelbarer Nähe zum Vatikan werden im 21. Jahrhundert Kirchen gebaut, damit in den Vorstädten regional Kirche erfahren werden kann. Wenn vorhandene Kirchengebäude in Deutschland abgerissen und Großpfarreien geschaffen werden, könnte man untersuchen, ob diese Maßnahmen aus einer fehlenden Religiosität heraus begonnen wurden oder Reaktion auf ein kleiner werdendes Gottesvolk sind. Weiter müsste gefragt werden, wie sich immer größere organisatorische Einheiten auf die Polarität Regional zu Global verhalten. Zunächst lässt sich relativ klar aus Erkenntnissen der Organisations- und Evolutionspsychologie antworten, dass eine Identifizierung mit einer Gruppe, die zu groß – und das wären etwa 200 Personen – geworden ist, kaum möglich ist. Um also eine Glaubensidentität zu festigen, wäre ein umgekehrter Weg wie der von den deutschen Bistümern vollzogene Prozess notwendig gewesen. Statt Gemeinden zusammenzulegen, hätten kleine Einheiten geschaffen werden müssen, denn nur so kann sich der Einzelne identifizieren. Kann sich der Einzelne mit einer kleinen und überschaubaren Einheit identifizieren und hierin etwas Eigenes sehen, kann er sich auch aufs Ganze hin verorten. Ansonsten wird genau dieser Vorgang erschwert. Der Prozess verstößt somit gleich gegen zwei recht gut gesicherte Erkenntnisse: Die Identifizierung wird erschwert und das globale Verständnis des Glaubens kann nicht entstehen, weil es keine spürbaren Polaritäten gibt. Im Gegensatz zu diesen Prozessen bemühen sich Städte um Regionalisierung und stützen durch Stadtteilbüros kleine Stadtgebiete. Der Bürger identifiziert sich nicht mit der Stadt, sondern mit seinem Stadtteil und in dem Stadtteil begreift er sich als ein wichtiges Element der Stadt. In gleicher Weise kann sich der Bürger mit einem Verein identifizieren. Hier wäre die geografische Begrenzung unwesentlich.
Die Sehnsucht nach Heimat
Wenn Konzepte wie Heimat auftauchen, scheinen diese als ein Gegenkonzept gedacht zu sein. Dem Unvertrauten des Globalen steht die heimelige Kuschelecke gegenüber. In Zeiten der Globalisierung wirkt ein Wort wie Heimat jedoch anachronistisch. Es dürfte der Versuch sein, den Menschen lediglich etwas einsuggerieren zu wollen. Bei dem Wort Heimat klingt so etwas wie Kitsch mit, eine Gefühlsduselei, die Realität gerne ausblendet. Die Sehnsucht nach dem Vertrauten muss jedoch ernstgenommen werden. Man möchte sich dem Globalen als ein Etwas entgegenstellen. Will man Teil eines Ganzen sein, dann muss dieses Teil erkennbar und abgegrenzt sein, sonst wäre das Ganze nur ein undefinierbares Ansammlung von Vielem. Ein solches Gebilde macht Angst, weil Machtgefüge kaum erkennbar sind. Je deutlicher ein Teil des Ganzen abgegrenzt ist, desto besser ist er erkennbar und ist allein durch seine gute Sichtbarkeit ein Machtfaktor, weil er die Aufmerksamkeit lenkt. Und diese erhaltene Aufmerksamkeit gibt den Menschen Anerkennung. Will ein großes Gebilde eine konstruktive Dynamik entwickeln, dann müssen die kleinen Einheiten gestärkt und mit Macht ausgestattet werden. Worauf sich diese Macht bezieht, dürfte nebensächlich sein. Es kommt auf die erlebte Selbstwirksamkeit an. Diese kann global und in großen Gruppen nicht erfahren werden, denn dort sind die Strukturen hochkomplex und Wirksamkeit kaum analysierbar. In kleinen Einheiten jedoch können Machtstrukturen und wirksame Handlungen konkret erlebt werden.
In überschaubaren Gruppen ist es möglich, eine Entscheidung zu treffen, die tatsächlich etwas verändert. Mit einer solchen Erfahrung wächst die Zuversicht, dass auch bei einer höheren Komplexität gehandelt werden kann. Und genau dieses Gefühl verhindert das Schaffen großer Einheiten, wie Großpfarreien, der Zusammenschluss großer Konzerne usw. Es stehen sich Globalisierung und Regionalisierung gar nicht als ein Gegensatzpaar gegenüber. Vielmehr bedingen sich beide und erzeugen unterschiedliche Ambiguitätsspannungen. Wer diese leugnet und ein Deckmäntelchen darüberlegt, wird Worte bemühen, die eher kitschige Gefühle anrühren. Wo aber eine solche Gefühlswelt kultiviert wird, vertrauen Menschen auf etwas Übergeordnetes und verstellen sich damit die Erfahrung der eigenen Wirksamkeit.
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