#Fethullah Gülen #Hizmet #Putsch #Militär

Foto: Gülen-Bewegung

Doch Gülen?

Die deutschen Medien sind sich einig: Erdogan hat den Putsch genutzt, um das, was er schon immer vorhatte, zu erreichen: unbeschränkter Herrscher der Türkei zu bleiben und dafür alle seine Gegner kaltzustellen. Seine Behauptung, der Prediger Gülen habe mit seinen Anhängern den Putsch betrieben, wird nicht intensiv genug geprüft. Man hofft eher, dass die Auslieferung des Predigers durch die USA nicht die Genehmigung eines Richters findet, weil das Erdogan noch mehr stärken würde. Aber ist es so einfach? Wenn Fethullah Gülen mehr ist als ein Organisator eines weltweiten Schulsystems, sondern die Macht in der Türkei übernehmen will? Es geht hier nicht darum, den türkischen Präsidenten zu verteidigen, auch nicht, Gülen anzuklagen. Es geht um die Berichterstattung, die in vielen Medien trotz vieler ungeklärter Tatbestände die Wirklichkeit allzu glatt bügelt. Journalismus ist kein Moralunterricht, sondern Vermittlung von Tatsachen. Man wird sich wohl eher auf eine lange Auseinandersetzung einstellen müssen. Die Aufklärung des Putsches ist nicht abgeschlossen, sie wird aber ein anderes Bild ergeben als die Medien bisher gemalt haben. Dazu drei Fragepunkte:

Die deutschen Medien sind sich einig: Erdogan hat den Putsch genutzt, um das, was er schon immer vorhatte, zu erreichen: unbeschränkter Herrscher der Türkei zu bleiben und dafür alle seine Gegner kaltzustellen. Seine Behauptung, der Prediger Gülen habe mit seinen Anhängern den Putsch betrieben, wird nicht intensiv genug geprüft. Man hofft eher, dass die Auslieferung des Predigers durch die USA nicht die Genehmigung eines Richters findet, weil das Erdogan noch mehr stärken würde. Aber ist es so einfach? Wenn Fethullah Gülen mehr ist als ein Organisator eines weltweiten Schulsystems, sondern die Macht in der Türkei übernehmen will? Es geht hier nicht darum, den türkischen Präsidenten zu verteidigen, auch nicht, Gülen anzuklagen. Es geht um die Berichterstattung, die in vielen Medien trotz vieler ungeklärter Tatbestände die Wirklichkeit allzu glatt bügelt. Journalismus ist kein Moralunterricht, sondern Vermittlung von Tatsachen. Man wird sich wohl eher auf eine lange Auseinandersetzung einstellen müssen. Die Aufklärung des Putsches ist nicht abgeschlossen, sie wird aber ein anderes Bild ergeben als die Medien bisher gemalt haben. Dazu drei Fragepunkte:

1. Warum ist Erdogan in der Putschnacht nicht nach Ankara geflogen?

Die These, Erdogan habe den Putsch inszeniert, um sich seiner Kritiker zu entledigen, hätte doch eine Rückkehr nach Ankara nahegelegt. Wenn er seines Apparates sicher gewesen wäre, dann hätte er Militär, Polizei und den Geheimdienst von den "Schalthebeln der Macht" aus in Gang setzen können. In Ankara war bereits der oberste General von den Putschisten gefangen genommen worden. Es wurde nicht nur der Präsidentenpalast aus der Luft beschossen, sondern auch das Parlament. Was sollte das bedeuten? Einschüchterung der Abgeordneten oder Ausschaltung des Parlamentes? Erdogan reagierte auf den Putsch mit einem Appell an die Bürger und nicht mit den institutionellen Machtmitteln. Kann es nicht sein, dass er sich derer nicht mehr sicher sein konnte?

Er nutzte vielmehr die Medien, indem er sich mit seinem Handy an den türkischen Ableger von CNN wandte. Die Nachrichtensprecherin zeigte das Display ihres Handys mit dem Gesicht und der Stimme des Präsidenten. Er ist dann nach Istanbul geflogen. Als ehemaliger Oberbürgermeister konnte er hier mit noch mehr Unterstützung rechnen. Es gibt aber noch ein weiteres Detail: Der Militärbefehlshaber von Istanbul informierte den Präsidenten.

2. Die Rolle des Geheimdienstes lässt Fragen offen

Der Putsch musste vorgezogen werden, weil der Plan am Nachmittag des 15. Juli bekannt wurde. Hätte man bis drei Uhr in der Nacht warten können, hätten die Panzer auf der Straße gestanden, wenn die Leute aufwachen, und der Präsident wäre in den Händen der Putschisten gewesen. Nach Aussagen Erdogans wurde er aber erst gegen 22 Uhr informiert und zwar vom obersten Militär Istanbuls, der auch dann den Flughafen unter Kontrolle brachte. Der Flug Erdogans nach Istanbul war nicht ohne Risiko. Jagdflugzeugs der Putschisten waren in der Luft. Zudem konnte sich der Präsident von seinem Ferienhotel gerade noch vor der heranrückenden Eliteeinheit absetzen, die ihn festnehmen sollte. Warum wurde Erdogan nicht sofort informiert und in Sicherheit gebracht? Anders als die Gendarmerie, die dem Innenminister untersteht, ist der Geheimdienst direkt dem Staatspräsidenten unterstellt.

3. Warum nicht doch Gülen?

Erdogan hat in wenigen Augenblicken realisieren müssen, dass er sich auf die staatlichen Institutionen nicht verlassen konnte. Er hatte sich alle Machtmittel gefügig gemacht, sogar das Militär innenpolitisch entmachtet. Auch die alten kemalistischen Parteien hatten längst die von ihnen besetzten Positionen weitgehend verloren. Wer konnte ihm noch gefährlich werden? Der Putsch war real. Er wäre, wenn die Eliteeinheit Erdogan hätte festnehmen können, nicht so schnell zusammengebrochen. Wer war in der Lage, Flugzeuge das Parlament bombardieren zu lassen und den obersten Befehlshaber der Armee festzusetzen? Eine Drittel der Generäle soll in den Putsch verwickelt sein. Da die Militärführung selbst, wie bei den früheren erfolgreichen Putschversuchen, nicht die Absetzung Erdogans organisiert hatte und die alten Parteien kaum noch Einfluss haben, muss es eine andere Organisation sein. Ob es Hizmet, so nennt sich die Gülenbewegung, war, ist nicht erwiesen. Die Möglichkeit sollte jedoch nicht gleich als völlig unwahrscheinlich aus dem Szenario verbannt werden. Zumal Gülen den Kampf Erdogans gegen die Unantastbarkeit der Armee maßgeblich unterstützt hat.

Der innere Kreis der Gülen-Bewegung

Eine Organisation, die in vielen Ländern Schulen unterhält, traut man allerdings erst einmal einen Putsch nicht zu. Was die Gülenbewegung nach außen zeigt, erklärt den möglichen Realitätsgehalt eines Putsches nicht. Es gibt jedoch neben dem weltweiten Bildungsengagement eine politische Strategie, nämlich einflussreiche Positionen zu besetzen. Die Kandidaten für diese Ziele kann die Bewegung leicht aus dem Reservoir der Schüler und Studenten ihrer Schulen rekrutieren. Das Entscheidende ist jedoch, dass diese Kerntruppe anonym bleibt. Wer in das Justizsystem, in die Universitäten und sogar in die AKP, die Partei Erdogans, eingeschleust wird, gibt sich nicht als Gülenanhänger zu erkennen.

<p> erhielt darüber aus dem inneren Kreis Informationen, die auf eine Besonderheit der türkischen Armee hinweisen: In der Armee ist Alkoholkonsum üblich. Um sich nicht erkennen zu geben, enthalten Gülenanhänger sich nicht des Alkohols, obwohl sie das als überzeugte Muslime ablehnen müssen. Unzweifelhaft sind Mitglieder des Kernkreises nicht nur im Militär, sondern auch im Geheimdienst auf wichtige Posten gelangt. </p> <p>Wenn man diese Ungereimtheiten und die Struktur der Gülenbewegung ernst nimmt, dann erklärt man die Situation in der Türkei nicht angemessen, wenn man Erdogan zum Buhmann macht. Allein der Ablauf des Putsches zeigt, dass Erdogan sich aller Machtmittel seines Amtes beraubt sah. Wenn er nicht mit dem Aufruf, die Bürger sollten auf die Straße gehen, den Putsch zum Zusammenbruch geführt hätte, dann würde in der Türkei heute ein Bürgerkrieg nicht nur mit den Kurden, sondern zwischen zwei islamischen Lagern herrschen. Als Deutungsmuster erklärt „Machtkampf‘“ sehr viel mehr die Ereignisse der letzten Monate als das Bestreben Erdogans, eine Autokratie aufzurichten. Die Verfolgungswelle ist nicht das Kriterium, welche Interpretation zu wählen ist. Es könnte nämlich gut möglich sein, dass die Gülenbewegung den weiteren Aufstieg Erdogans als so bedrohlich für ihren Einfluss empfand, dass sie zuschlagen musste. Da beide die gleiche Vorstellung von einer islamischen Türkei haben, kann es sich nicht um einen Glaubenskrieg, sondern nur um einen Machtkampf handeln.</p> <h2>Zum Islam zwei Anmerkungen</h2> <p>
  1. <paragraph xmlns:tmp="http://ez.no/namespaces/ezpublish3/temporary/">Als die kemalistischen Parteien abgewirtschaftet hatten, brauchte das Land eine andere Wertebasis. Welche andere Alternative hatten die Türken als die Rückkehr zur Religion, um eine gewisse moralische Basis zu gewinnen, die den von den Kemalisten vernachlässigten Mitbürgern in den ländlichen Gebieten, den sog. „Schwarzen Türken“, eine Teilhabe an der Entwicklung zu ermöglichen? Warum sollen die Türken nicht von ihrer Religion überzeugt sein, wenn sie das moralische Versagen der Kräfte, die eine säkulare Türkei wollen, über Jahrzehnte als Niedergang ihres Landes erlebt haben?</paragraph>
  2. <paragraph xmlns:tmp="http://ez.no/namespaces/ezpublish3/temporary/">Die Folge ist allerdings, dass zwei islamische Bewegungen sich bekämpfen, wer die Kontrolle über die staatlichen Institutionen haben soll. Die Strategien sind verschieden, Gülen denkt langfristiger, indem er Leute ausbildet, die dann entscheidende Posten in den Institutionen besetzen. Erdogan ist Populist, er kann die Menschen hinter sich bringen und Wahlen gewinnen. Wer am Ende über das Land bestimmt, der Stratege oder der Volkstribun, ist offen. In 10 oder 20 Jahren könnte sich zeigen, dass Gülen nur kurzfristig ausgehebelt wurde. Der Konflikt liegt im Islam selbst begründet. Denn die Herrschaft Allahs, die in der Befolgung der Scharia ihren Ausdruck findet, muss auch den Staat einschließen. Religiöse Reformbewegungen im Islam haben daher immer den inneren Auftrag, den Staat unter ihre Kontrolle zu bringen.</paragraph>

Der jetzige Konflikt ist auf Dauer angelegt. Denn die Gülenbewegung wird nicht aufgeben, sondern sich eine andere Strategie überlegen. Die Unruhe, die Erdogan treibt, ist in diesem Kräfteparallelogramm kein Zeichen von Stärke. Was auch zählt: Beide brauchen Nachfolger, Erdogan ist 62 Jahre alt, Gülen bereits 75.

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