Warum führt Despotie zu Gewalt und Krieg?
Die Frage findet eine erste Antwort, wenn sie in ein "Wann" umgewandelt wird. Der Diktator braucht einen Außenfeind, um als Kriegsherr die Reihen hinter sich zu schließen. Dann wird er wieder unentbehrlich, denn einen Krieg gewinnt man nicht durch Diplomatie, sondern durch den entschlossenen Einsatz von Gewalt. Ein demokratisch gewählter Regierungschef kommt nicht in diese Situation, denn er kann sich für seine Amtszeit auf das Wählervotum stützen. Will er bei verlorener Wahl weiter regieren, muss er den Polizeiapparat unter Kontrolle haben und Gewalt anwenden. Gewalt alleine genügt allerdings nicht. Das zeigt, dass Trump nicht das Zeug zum Diktator hätte. Da ist Putin effektiver.
Die Mächtigen betäuben ihre Angst durch den Tod des Opponenten
Absolute Herrscher müssen um ihre Macht ständig bangen. Wenn sie sich nicht mehr den Wahlen stellen, werden sie immer unsicherer, ob ihr System noch funktioniert, also die von ihm eingesetzten Militärs und Beamten noch loyal sind. Denn je willfähriger die ausgewählten Personen, desto eher sind sie bereit, einem neuen Machthaber zu Diensten zu sein. Noch gefährlicher sind diejenigen, die öffentlich den Machtanspruch des Diktators infrage stellen. Was Nawalny sich erlaubt hat, kann ein gewählter Präsident hinnehmen, ein Machthaber, der den Zenit seiner Herrschaft überschritten hat, muss zeigen, dass er nicht infrage gestellt werden kann. Falls es doch geschieht, hilft nur die Hinrichtung. Der Machthaber demonstriert, dass er Herr über den Tod, also jeglicher Widerspruch sinnlos ist. Meist wirkt das auch. Diese Machtausübung kann aber von heute auf morgen in sich zusammenfallen, wenn der Despot nicht mehr die Macht hat, jemanden zu töten. In Libyen wie im Irak war das der Fall. Deshalb geht derjenige ein hohes Risiko ein, der seine Macht durch Töten demonstriert. Das trifft auf Wladimir Putin zu. Seine Helfer müssen ihm in 15m Abstand gegenübersitzen. Der Mechanismus "aus Angst töten" ist auch ausdrücklich für die Hinrichtung Jesu überliefert:
Jesus handelt sich den Tod wegen der Kritik der Mächtigen ein
Vom damaligen Hohepriester, der dann das Todesurteil ausspricht, ist im Johannesevangelium diese Rechtfertigung der Hinrichtung Jesu überliefert:
„Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.“ Vorher kam der Hohe Rat zu folgendem Ergebnis: „Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen.“ Johannes, 11. Kapitel.
Ähnlich argumentiert der Moskauer Patriarch in seiner Predigt am 13.3.22:
„Da kommt eine Regierung daher und hält es aus politischen Gründen nicht für möglich, dass die Mehrheit der orthodoxen Gläubigen der Russischen Orthodoxen Kirche, dem Moskauer Patriarchat, angehört. Sie beginnt damit, diese Menschen zu schikanieren. Sie werden fast des Staatsverrats beschuldigt, sie werden unter Druck gesetzt, nicht in die Kirche zu gehen, die beleidigend und blasphemisch als ‚Okkupantenkirche‘ bezeichnet wird.“
Also eine fremde Macht raubt dem russischen Patriarchen die ukrainischen Gläubigen.
Jesus war mit seinen öffentlichen Auftritten ein Kritiker der obersten religiösen Autorität. Er hat keine Zeile der jüdischen Bibel infrage gestellt, aber sich selbst die Autorität zugeschrieben, die Umsetzung der Forderungen Gottes besser zu verstehen als die offiziellen Theologen. Je unsicherer sich das Gremium fühlte, und die Unsicherheit wurde durch die römische Besatzungsmacht noch verstärkt, desto mehr musste dieser selbsternannte Prediger als Bedrohung empfunden werden.
„Der Westen hat uns die Ukraine weggenommen“
Vielleicht ist der Vergleich zu gewagt. Aber zumindest empfindet Putin mit der Mehrheit der Russen, dass der Westen ihnen die Ukraine "weggenommen" hat. Putin steht wie dem Hohen Rat auch bevor, dass die Ideen der Unterlegenen sich durchsetzen werden, denn über die Ideen gibt es keine militärische Macht. Die Ukrainer verfügen nicht wie Russland über das militärische Arsenal, aber je konsequenter Putin seine Panzer und Kanonen einsetzt, desto mehr stärkt er die Ideen, für die die Ukrainer ihr Leben riskieren.
Hass entwertet die Kraft der Ideen
Die Christen haben die Ideen Jesu durch ihren Judenhass unterminiert. Ähnlich würde Europa seine Ideen schwächen, wenn wir uns zum Hass gegen Russland hinreißen ließen. Auch die Ukrainer müssen die Russen nicht hassen. Diese besorgen das selbst. Mit jedem neuen Kriegstag demonstrieren sie den Ukrainern, dass die Ideen und Werte der militärisch Schwächeren die stärkeren sind. Denn welche Hoffnung gibt Putin der Jugend seines Landes. Die besten Köpfe, die Russland unbedingt braucht, werden in westlichen Softwareschmieden, in Kultureinrichtungen und innovativen Unternehmen tätig werden.
Noch ein gewagter Vergleich: Die Jünger und noch mehr die Jüngerinnen Jesu haben das Römische Reich "besiegt", nicht mit Aufständen. Nach 300 Jahren musste der Römische Staat die Christen akzeptieren, denn sie waren die geistig führende Schicht.
Anders als die Christen im römischen Reich wehren sich die Ukrainer mit Abwehrwaffen. Ihr Widerstand ist jedoch im Kern keine militärische Auseinandersetzung. Deshalb werden ihre Ideen von den jungen Russen und Russinnen aufgegriffen und sich, möglicherweise wie bei den Christen im Römischen Reich, erst nach mehreren Generationen durchsetzen.
Es wird auch das Desaster eines Konfessionskrieges deutlich: Gewalt, vor allem wenn sie mit Waffen auf den Tod der Andersdenkenden zielt, nimmt den Ideen ihre Kraft. Deshalb hat die Unterstützung des Krieges durch den Moskauer Patriarchen fatale Folgen. Die Schwäche der Kirchen in den Ländern der Konfessionskriege zeigt die Langzeitfolgen und bewirkt in der Ukraine heute schon, dass viele Gemeinden, die noch zum Moskauer Patriarchat gehörten, sich der erst 2018 anerkannten Orthodoxen Kirche der Ukraine zuwenden.
Gewalt hat nicht das letzte Wort
Am Beginn erscheint die Gewalt als beherrschende Größe. Wer die Waffen hat, scheint den Ausgang bereits bestimmt zu haben. Wer 200 Panzer losschicken kann, wird doch wohl die Hauptstadt einnehmen, um dann eine ihm genehme Regierung einzusetzen. Dafür müsste Putin aber so gut organisiert sein, wie es die Römer waren. Allein ihre militärische Überlegenheit hätte nicht genügt, sie waren hervorragende Administratoren und hatten mehr Rechtstaatlichkeit entwickelt als Russland. Selbst wenn Russland den Krieg militärisch gewinnen würde, wäre das Land am Boden. Russland wird nicht das aufbauen können, was die westlichen Firmen investiert haben. Der schlechte Ausbildungsstand der Soldaten zeigt sich daran, dass die Armee wegen organisatorischer Fehlleistungen stecken geblieben ist.
Es bleibt das Leid der Unschuldigen
Um die Ukrainer muss man sich nicht so sorgen wie um die Russen. Ihre Werte, für die sie kämpfen, sind zukunftsfähiger als die der Russen. Deren Oligarchen haben Geld, teure Yachten und Villen. Sie wollen den Wohlstand des Westens. Die Ukraine kämpft für Freiheit, das Parlament als Vertretung des Volkes, freie Berichterstattung, offene Grenzen. Diese Werte kann man nicht beschlagnahmen, die Yachten und Konten schon.
Warum diese Werte ihren Verteidigern so viel Leid abfordern, bleibt als große Frage. Geht die Entwicklung zu mehr Rechtsstaatlichkeit, Entfaltung der Künste, zu Medienfreiheit und gewaltlosem Machtwechsel nicht ohne diese Opfer? Diese Frage bleibt. Auch Jesus musste für seine Idee des Gottesreiches sterben. Das ist die Antwort des Christentums: Selbst Gott hält das Leiden für Gerechtigkeit aus. Warum das so ist erkennen wir letztlich nicht, wir müssen es als Faktum hinnehmen. Wie bei der Hinrichtung Jesu ist auch das russische Volk für den Krieg und damit für den Tod vieler Ukrainer.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!