Russland präsentiert sich wie hier im Kreml an Gedenktagen weiterhin mit Waffen, Foto: hinsehen.net E.B.

Die Geschichte schreibt mittels Putin den Ukrainekrieg

Putin ist nicht plötzlich auf die Idee gekommen, gegen die Ukraine Krieg zu führen. Er „musste“ eingreifen, ehe russische Erde und Millionen Klein-Russen an den Westen verloren gehen. Er hielt den Erfolg für selbstverständlich und muss lernen, dass der Weltgeist anders tickt. Gegen die Geschichte seiner Kirche handelt jedoch Patriarch Kyrill. Beide berauben Russland seiner Größe.

Ohne die Ukraine kann Russland nicht Großmacht werden. Putin muss da ansetzen, wo Russland vor bald 400 Jahren anfangen musste. Denn von dem, was die russischen Zaren erreicht hatte und was Stalin noch um Satellitenstaaten erweitert hatte, ist nur Russland übriggeblieben und die Ukraine wohl endgültig verloren. Die einzige Klammer wäre das Moskauer Patriarchat, das für die ganze Rus, also auch für Belarus und die Ukraine das religiöse Zentrum nach der Mongolenzeit war. Die Gemeinden der Ukraine gehörten bis zum überwiegenden Teil zum Moskauer Patriarchat, die in Belarus weiterhin. Die Orthodoxe Kirche geht sogar ursprünglich von Kiew aus, wo auch zuerst eine akademische Theologie installiert wurde. Mitdemheutigen Belarus und Russland bildet sie eine Kirche, deren Oberhaupt von Kiew nach Moskau wechselte. Nach der Einnahme der Krim und großer Teil des Donbass kam es 2018 zur Gründung einer eigenen Orthodoxen Kirche der Ukraine, die vom Oberhaupt der Orthodoxie, dem Patriarchen von Konstantinopel/Istanbul anerkannt worden ist. Indem russische Truppen mit Rückendeckung des Patriarchen 130 Kirchen in der Ostukraine zerstört haben, die sich bisher Moskau zugehörig fühlten, trennt der Patriarch die eine orthodoxe Kirche endgültig. Der Vertreter des Patriarchen in der Ukraine, Metropolit Onfuri, musste sich von Moskau lossagen und hat es wohl aus innerer Überzeugung getan. Damit hat der Patriarch nicht nur die seit über tausend Jahren bestehende Einheit der Orthodoxie zerschnitten, sondern die Kirche der Möglichkeit beraubt, nach Ende des Krieges ein neues Zusammenleben der Ostslawen zu initiieren. Die Entwicklung war nie problemlos. Die Ukraine wollte nie Teil Russlands sein. Ein geschichtlicher Rückblick zeigt die Wurzeln der heutigen Konfliktlinien.

Moskau wurde zur bestimmenden politischen Größe

Bis die Mongolen die Rus eroberten, gab es fünf Großfürstentümern der Ostslawen. Bis zur Eroberung durch die Mongolen 1240 hatte Kiew eine gewisse Vormachtstellung, ohne dass die anderen Großfürsten von der kirchlichen Metropole abhängig waren. 988 hatte Großfürst Wladimir, verheiratet mit einer byzantinischen Prinzessin, das Christentum angenommen. Der Metropolitanstuhl von Kiew wurde über Jahrhunderte von Byzanz besetzt. 1240 wurde Kiew von den Mongolen erobert wie auch die gesamte Rus. Der Moskauer Großfürst konnte als erster die Mongolen 1380, es dauerte aber noch 100 Jahre, bis sich das Großfürstentum aus der Tributpflicht gegenüber der Goldenen Horde befreien konnte. Mit der Ausbreitung des türkischen Reiches ging die Beziehung zu Byzanz verloren, das 1453 von den Türken erobert wurde. Damit war die Rus von Süden bedroht, denn die Türken konnten auch das Nordufer des Schwarzen Meeres unter ihre Kontrolle bringen.
Als die Goldene Horde ihrer Herrschaft über die Rus nicht mehr aufrechterhalten konnte, begann noch nicht der Aufstieg Moskaus, denn das Gebiet geriet in einem Krieg 1609-1618 unter die Oberherrschaft des mit Polen dynastisch verbunden Litauens. Das führte zur erste Polnischen Teilung 1772 und zu dem heute noch virulenten Konflikt zwischen Ost und West. Die Kosaken lehnten sich gegen die polnisch-litauische Herrschaft auf, nicht zuletzt gestützt auf die von der Orthodoxie geprägte religiöse Kultur. 1648 machten die Zaporoher Kosaken, die am Dnjepr siedelten, einen erfolgreichen Aufstand gegen die katholischen Polen und Litauer. Weil sie Verbündete brauchten, boten sie sich dem Moskauer Großfürsten als Schutzherrn an, ohne jedoch in dessen Reich eingegliedert zu werden. 1653 leisteten die Kosaken einen Eid auf den Zaren und wurden ab da von Russland eher als Vasallen gesehen. Als Krieger, die ihre Kampfkraft gegen die Mongolen-Tartaren entwickelt hatten, bleiben sie ein militärisch-politischer Faktor. Die eine orthodox geprägte Kultur war damals das Verbindende, das Band, das jetzt der Patriarch zerschneidet. 

Erste Konturen der heutigen Ukraine

Aus dem Widerstand der Kosaken entwickelten sich in der Steppe erste Strukturen, die schrittweise zur Ukraine führten. Die Gründunggeschichte macht bis heute den großen Unterschied zwischen dem russischen und dem ukrainischen Staatsverständnis aus. Die Kosaken dienten nicht einem Herrscher, sondern hatten einen Ring, Kolo, den Rat, der einen Anführer wählte, den Hetman, der auch wieder abgewählt werden konnte. Auf dieses Hetmanat führt die Ukraine ihre Gründung zurück. Ihr Zentrum lag auf einer Insel im Djnepr, an dem sich Kiew entwickelt hatte und der bis heute durch die Mitte der Ukraine von Norden nach Süden mit einem Schwenk nach Osten ins Schwarze Meer fließt. Er wird Dnipro genannt und fließt an Cherson vorbei.
Anders die Großfürsten von Moskau, die durch dynastische Herkunft und den Segen der Kirche legitimiert waren. Bis heute bleibt eine wichtige Differenz zwischen Moskau und Kiew. Die Ukraine hat keinen Ausgriff auf andere Fürstentümer gemacht, während Russland in die Regionen bis zum Pazifik vordrang, aus denen sich die Mongolen zurückgezogen hatten. Iwan IV., der Schreckliche eroberte Gebiete im Osten, so 1552 Kasan, die Hauptstadt des bis heute muslimischen Tatarstan. Er nannte sich zuerst Zar, also Kaiser.

Peter d.Gr. und Katharina d.Gr.

Nach Westen griff Russland aus, weil es von dort immer wieder angegriffen wurde, bereits im 13. Jahrhundert nutzte der Deutsche Orden die Bedrohung der Rus durch die Mongolen für einen Krieg gegen die Ostslawen. Alexander Newski konnte sie 1242 zurückschlagen und ist seitdem der Nationalheld des russischen Imperiums. Im II. Nordischen verdrängte Peter d.Gr nach der Schlacht von Poltawa 1709  die Schweden aus der Region und annektierte ds heutige Lettland und Estland. Der Krieg, der 1700 begonnen hatte, dauerte noch bis 1721. Damit hatte Russland Zugang zur Ostsee, der für die Handelsbeziehungen entscheidend wurde. Putin erklärt bei einer Ausstellung über Peter d.Gr. in Petersburg seine Mission, nämlich die Slawen ins russische Reich zu holen und will so den Ukrainekrieg rechtfertigen.
Als die Kosaken ihre militärische Durchschlagskraft einbüßten, konnten ihre Gebiete in den von Peter d.Gr. staatlichen Strukturen eingegliedert werden. Katharina d.Gr., von 1762-98 Zarin, besiedelte den vorher von den Türken besetzen Süden der heutigen Ukraine, auch indem sie Deutsche, Armenier u.a. dort ansiedelte.
Während diese Herrscher Russland nach Westen öffneten und Know how des Westens für seine Reformen einsetzten, riegelt Putin Russland gegen den Westen ab und findet dafür die Unterstützung seiner Landsleute. Die Angriffe Napoleons und Hitlers sind sicher ein Grund für diese Ablehnung nicht nur bei Putin, sondern seitens der Mehrheit der Russen. Hinzu kommt, dass Russland eine Grenze hat, die man nicht verteidigen kann. Das durch frühere Angriffe auf Russland und die Gegnerschaft zu den USA/Nato bedingte Bedrohungsgefühl wird vom Westen nicht als eine Konstante berücksichtigt. Nicht zuletzt durch den Überfall Deutschlands bedingt können die Russen westlichen Behauptungen nicht vertrauen, man werde das Land nicht angreifen. Die USA haben in den letzten Jahren verschiedene Länder angegriffen, warum nicht auch Russland?

Warum scheitern Putin und Kyrill

Wenn Putin sich auf Peter d.Gr. beruft und Stalin rehabilitiert, sieht er sich in der Rolle dessen, der das Imperium wiederherstellen muss. Er sieht das als geschichtlichen Auftrag und leitet davon offensichtlich ab, dass Russland dazu berechtigt ist und der „Weltgeist“ ihm auch den Sieg bereits zugesprochen hat. Er scheitert aber nicht nur militärisch, sondern an der Fehleinschätzung des ukrainischen Willens, nicht wieder unter russische Herrschaft zu kommen.
Mit Gewalt kann man den Ukrainern keine erträgliche Zukunft im russischen Staat anbieten, der wie unter den Romanows auf eine Person hin orientiert ist. Das Erbe der Kosaken, in deren Hetmanat die Ukraine ihre Wurzeln hat, beruht auf Gleichrangigkeit und der Möglichkeit, den Hetman abwählen zu können.
Der lange Stellungskrieg im Donbass wie der Einmarsch in die Ukraine knüpfen an Gewalterfahrungen der Ukraine an. Holomodor heißt die von Stalin mit der Kollektivierung ausgelöste Hungersnot in den dreißiger Jahren. Mehr als 3 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen fielen diesem Diktat zum Opfer. Nicht nur mussten die Bauern trotz zweier Missernten mehr Getreide abliefern. Der Hunger wurde auch gezielt eingesetzt, um den Widerstand gegen die Kollektivierung zu brechen. Damit sanken die Ernteerträge noch weiter. Als Galizien und die Bukowina durch den Hitler-Stalin-Pakt im September 1939 an Russland fielen, wurden die Intellektuellen ermordet und deportiert. Der Krieg mit der unsinnigen Zerstörung von zivilen Zielen lässt den Ukrainern keine Alternative mehr zu. Da das letzte Band, was die Ostslawen verbindet, die Orthodoxie, vom Moskauer Patriarchen zerschnitten wurde, ist keine Institution und keine Gruppierung übriggeblieben, die die Zusammengehörigkeit der Rus, die ebenso in der Geschichte begründet ist, neu beleben könnte. Hätten Putin und Kyrill das Modell eines Staatenbundes gewählt, der nicht durch die Hegemonie eines der Partner beherrscht wird, hätte der Westen gar keine Chance gehabt, die Ukraine aus dem geplanten GUS, einer Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, zu lösen. Vor der Annexion der Krim wickelte das Land 60% seines Außenhandels mit Russland ab.

Die Westorientierung der Ukraine wurde vor allem durch die lange unter Habsburg und dann nach dem Ersten Weltkrieg zu Polen gehörende Westukraine entschieden. Die russischsprachige Ostukraine folgte dieser Richtung allenfalls zögernd, entschied sich aber nach der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass um. In einem weiteren Beitrag ist zu zeigen, dass auch diese Richtungsentscheidung, DemokratieundWestorientierung, durch die Geschichte nahegelegt wird.

 

Die hier vorgelegte Analyse zu den russischen Motiven und historischen Dynamiken verdanke ich zuerst den Beiträgen von Vladimir Pachkov. Er zeigte mir, dass wir eine völlige Fehleinschätzung Russlands deshalb erlegen sind, weil die Berichterstattung, vor allem im Fernsehen, an den politischen und kulturellen Vorstellungen der Russen und nicht nur Putins vorbeigeht. Russland ist erst zu verstehen, wenn man die westliche Brille ablegt. Wir sind doch immer wieder eingestimmt worden, dass es eine große Opposition gegen Putin gibt. Die müsste ja jetzt deutlich werden. Aber er genießt weiter eine große Zustimmung, weil er die Erwartungen der Bevölkerung bedient, Russland wieder in den Status einer Großmacht zu bringen.
Dass die Ukraine eine demokratische Tradition hat und anders als die Russen sich für die Orientierung nach Westen entschieden haben, wird von Andreas Kappeler in „Ungleiche Brüder, Russen und Ukrainer“ verständlich gemacht. Man muss mit ihm weit genug in der Geschichte zurückgehen. Sein Buch ist nicht nur jedem Journalisten empfohlen, sondern es souverän den komplizierten Stoff zur Darstellung bringt und weil es vom Mittelalter an eine interessante Geschichte erzählt. Nicht nur ist es das instruktivste Buch zur Dynamik des Ukrainekrieges, sondern insgesamt ein Buch, das sich zu lesen lohnt.   


Kategorie: Analysiert

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