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Deutscher Diesseits-Katholizismus

Wenn wir uns einige Zeit in eine mittelalterliche Kirche setzen, spüren wir einen anderen Katholizismus. Vor allem in Klosterkirchen hat sich eine Religiosität erhalten, die für Mönche und Nonnen über Jahrzehnte diese Kirchen zum Lebensmittelpunkt machten – sie lebten für eine jenseitige Welt. Wir haben seit Ende des Konzils die Kirche für die Gesellschaft, also für das Diesseits zu optimieren versucht. Eine Bestandsaufnahme des Zeitgeistes.

Das ist die Idee, die bei den Themen des Synodalen Prozesses ihr Ende gefunden hat.  Mit diesen Themen will die Katholische Kirche endlich den Anschluss an die Gesellschaft ihres Landes finden: Sexualität, Stellung der Frau, Macht. Über Priester wird unter dem Problem „sexueller Missbrauch“ nachgedacht, so wie Radrennfahrer erst einmal unter Doping-Verdacht stehen.
Wenn man, wie der Autor, die Dokumente gelesen hat, die die 220 Wanderer auf dem Synodalen Weg zustande gebracht haben, und mit den Themen im Hinterkopf eine mittelalterliche Zisterzienserkirche auf sich wirken lässt, spürt die ganz andere Religiosität, die nicht daran glaubt, die Welt zu einem Paradies machen zu können. Die folgenden Überlegungen sind durch die Kirche von Kloster Eberbach im Rheingau inspiriert. Deren weitgehend kahle Wände lassen den Raum voll zur Wirkung kommen. In Zentrum ihres Klosters lässt sich die Konzeption der Zisterzienser erspüren.

Räume der Jenseitsorientierung

Diejenigen, für die diese Kirche jahrzehntelang der Lebensmittelpunkt war, mussten sich mit anderen Themen beschäftigt haben als die, welche die Katholische Kirche in Deutschland umtreibt. Damit stellt sich die zentrale Frage, die Buddhismus und Hinduismus ebenso an die Zeitgenossen auch heute herantragen und die eine an Platon anknüpfende Philosophie bewegt:

                                 Auf was soll der Mensch seine Existenz gründen?

Es gibt seit Platon, den Upanischaden, seit Laotse, Konfuzius, Jesaja und Jeremia eine "Ortsangabe", wo der Mensch suchen soll: in einer anderen Welt. Anders als in der griechischen Religion wohnt Zeus mit seiner Familie nicht mehr auf dem benachbarten Berg, dem Olymp, sondern in einem Jenseits dieser Welt, in dem Meta der Physik. Von diesem Meta her sind die Kirchenräume entworfen, als eine Stadt, die sich vom Himmel herabsenkt, so das Bild, das das vorletzte Kapitel der Bibel in der Offenbarung des Johannes entwirft. Nach dieser Vision erstrahlt diese Stadt von göttlichen Licht. Das hat die Gotik mit ihren Fensterflächen zur Darstellung gebracht. Das war ihr mit der Physik der damaligen Epoche möglich, weil Licht nicht als etwas Materielles verstanden wurde, sondern als eine Realität, die direkt aus dem Himmel erstrahlt. Nach dem Zusammenbruch des Christentums in den Konfessionskriegen hat der Barock noch einmal Kirchen gebaut, die einen Blick in den Himmel eröffnen. Danach drehte sich der Fokus auf die Verbesserung dieser Welt. Nach einem kurzen Rückgriff auf das Christentum, ausgelöst durch die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, ist die bundesrepublikanische Gesellschaft inzwischen durch die Diesseits-Philosophien bestimmt:

Neomarxismus und Naturalismus

Bereits im 19. Jahrhundert und dann mit der Achtundsechziger-Bewegung ist eine andere Orientierung bestimmend geworden, die sich von der Philosophie des frühen 19. Jahrhunderts, dem Idealismus, abwendet. Karl Marx als der historisch einflussreichste Vertreter hat die Jenseitsorientierung nicht als Weg zur Erfüllung der menschlichen Sehnsüchte gesehen, sondern als Vertröstung. Die Religion und die Metaphysik galten ihm als Haupthindernis, die Welt, konkret die Wirtschaft, so zu gestalten, dass eine Vertröstung nicht mehr notwendig ist und die Religion sich damit als bloße Illusion erweist. Ein solches Versprechen schien möglich, wenn man die Sehnsüchte, die Menschen früher ins Kloster gezogen haben, zu Bedürfnissen uminterpretiert. Deren Erfüllung kann dann von der Politik gefordert werden. Die Erfüllung ihrer Bedürfnisse war bis ins 20. Jahrhundert allein der Oberschicht vorbehalten. Im Barock hat sie das mit Schlössern besonders eindrucksvoll demonstriert. Diese waren keine Zweckbauten wie die Hochhäuser, sondern waren für die vielen Feste entworfen, die der Adel feierte. In dieser Funktion werden sie auch heute weiterhin genutzt. Marx hat diesen Anspruch für alle erhoben - unter Bedingung, dass jeder durch seine Arbeit an dieser Welt mit baut. Das Versprechen für eine Welt, die Religion nicht mehr braucht, schien durch zwei Bereiche gegeben:

  1. Die Bedürfnisse, nicht zuletzt die Sexualität, dürfen nicht stranguliert werden, sondern müssen sich entfalten können. Für diese Forderung stellte der Freud-Schüler Wilhelm Reich die passende Theorie bereit. Die Unterdrückung der Sexualität habe den Menschentyp hervorgebracht, der für den Nationalsozialismus besonders anfällig war. Sex wurde so politisch aufgeladen. Der Synodale Weg greift diesen Gedanken auf, indem er Sexualität zum Hauptthema seiner Vorgaben macht.
  2. Die Wissenschaft, die für die Ingenieurskunst und die Medizin so viele Fortschritte ermöglicht hat, wird auch die Lebensfragen schrittweise klären und viele davon als überflüssig erweisen.
    Die heutigen Philosophen, die sich Naturalisten nennen, sehen die Fundamente der Philosophie nicht mehr durch die Vernunft gegeben, sondern durch die Naturwissenschaften. Damit entledigt sich die Philosophie der Aufgabe, die Freiheit zu gestalten und zu sichern. Denn Naturgesetze verlangen das nicht, sie wirken direkt, ohne dass Naturobjekte durch Argumente abwägen müssen, welche Entscheidung sie treffen. Diese Naturgesetze wirken blind. Deshalb hatten die Philosophen der Aufklärung zur Nutzung der Vernunft aufgerufen, weil diese die Freiheit von ihrer Blindheit befreit. Populismus ist genau die Folge fehlender philosophischer Betreuung der Freiheit, man spart sich den die Suche nach der besten Lösung durch Austausch von Argumenten. Man weiß ja schon, was richtig ist.

Die Theologen weichen der Auseinandersetzung mit der Diesseitsorientierung aus

In diese marxistisch und in die auf Naturwissenschaften reduzierte Vernunft ist die Kirche in Deutschland „gestellt“. In ihren theologischen Fakultäten hat sie die Philosophie schon länger marginalisiert. Man scheint sie auch deshalb nicht zu brauchen, weil die Sozialwissenschaften die Konzepte für die Optimierung der diesseitigen Gestalt der Kirche bereitstellen. Damit sind viele Themen, die die Kirchen früher erarbeitet haben, in andere Zentren der Gesellschaft übergewechselt, ob es um gelingende Beziehungen geht, die angemessene Sorge um die Kinder, Bildung, den Umgang mit Ängsten, die Vorbereitung auf den Sterbeprozess. Für den gesunden Lebensstil scheint Hildegard von Bingen die maßgebende Autorin geblieben zu sein. Das und die touristische Bedeutung der mittelalterlichen und barocken Kirchen zeigt, dass die Gesellschaft nicht so diesseitsorientiert geworden ist, wie es Marx prognostiziert hat und Kirchenleute mit dem Etikett „Säkularisation“ zu bestätigen scheinen.

Das Verschwinden des Fortschrittsoptimismus

Dass die Gesellschaft über den marxistischen Großversuch "Sowjetunion" ernüchtert ist, dass autoritäre Regime neu entstehen können, dass die Umweltproblematik durch den zu großen Erfolg der Technik verursacht ist, hat zu einem Einbruch des Fortschrittsglaubens geführt. Der Krieg in der Ukraine hat bei vielen die Hoffnung ausgelöscht, die Versprechungen der Demokratiebewegungen würden in eine stabile Friedensordnung münden.
Die Suche nach Antworten in einer anderen Welt und damit den Menschen in der Transzendenz zu verankern, ist auch in Nachmoderne Gesellschaften spürbar, allerdings ist die Gesellschaft noch nicht bei der Einsicht angekommen, dass der grundlegende Kampf nicht zwischen der jeweils besseren technischen Lösung und dem fortschrittlicheren Marketingkonzept besteht, sondern in dem Kampf zwischen Gut und Böse. Vielleicht bringen die Kriege diese Einsicht zurück.
Für das Überleben einer Bank hat Ulrich Lehmann dargestellt, wie gefährdend das Vertrauen auf die positive Dynamik der Marktkräfte ist und was auf dem Spiel seht, wenn Investmentbanker die Werte, die auch in anderen Bereichen für das Zusammenleben tragend ist, aushebeln. Für die atomare Bedrohung und den Cyber-Krieg finden sich ständig neue Berichte.

Der Cyberspace als die bessere Welt

Die Perspektive auf eine jenseitige Welt, die dem Menschen das einspielt, was er in dieser nur ahnungsweise erleben kann, wir nicht nur mit der Erfahrung des Geliebtwerdens verbunden, sondern im Cyberspace aufgebaut. Zumindest das Meta im Begriff „Metaverse“ bezeichnet nicht mehr wie Second World am Anfang des neuen Jahrhunderts ein Abbild dieser Welt, sondern eben ein „Meta“, das schöner, friedlicher als diese Welt ist. Zugleich wird aber für Cyberkriege gerüstet.
Unter diesem Gesichtspunkt einer anderen Welt können die Kirchen nicht nur als touristische Anziehungspunkte gesehen werden, sondern als frühere Entwürfe für ein „Meta“. Die Romanik hat im Zentrum des Gebäudes in der achteckigen Kuppel den 8. Tag der Auferstehung Jesu gesetzt. Sie nicht der römischen Basilika nicht ein drittes und viertes Seitenschiff angefügt, sondern diese durch ein Querschiff erweitert wurde. Die Kuppel ist nicht wie die der Renaissance eine Halbkugel, sondern steht mit ihren 8 Ecken für den 8 Tag, den Tag der Auferstehung und Vollendung. Die Glaspaläste der Gotik, die von himmlischen Licht erfüllt sind, der Barock, der einen Blick in den Himmel öffnet und auf dem Gemälde über dem Hochaltar meist die Aufnahme Mariens in den Himmel darstellt, sind ebenfalls Meta-Verse. Wenn die deutschen Katholiken sich meditierend in ihre Kirche setzen, können sie die den Blick von den immer noch nicht funktionierenden Kirchenstrukturen lassen und Transzendenz spüren. Sie brauchen den Zeitgenossen nur vorzuleben und aufzuzeigen, wie eine Jenseitsorientierung mehr zum Gelingen des Lebens beiträgt als die vielen Sitzungen, die die Gläubigen in eine quälende Dauerreflexion zwingen.

Link: Ulrich Lehmann; Wie können Banken in die Pleite rutschen? 
        Eine Philosophie, die in ihrer Metaphysik das Wirklichkeitsverständnis klärt, braucht die
        Theologie dringend, denn die Philosophie, nicht die Bibel trennt die Konfessionen:
        Ökumene: Es trennt nicht die Bibel, sondern die Philosophie



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