Sonntag im Mai, Sonnenaufgang über der Ostsee Foto: hinsehen.net E.B.

Deshalb Sonntag: nicht wegen der Probleme

Könnten wir doch wirklich den Sonntag genießen. Stattdessen werden uns die Probleme an dem Tag, an dem wir nicht so eingespannt sind, erst richtig bewusst gemacht.

Die Sonntagszeitung, der Presseclub und Vieles, was in unser Wohnzimmer gespült wird, trichtert uns ein: Wir leben nicht in einer versöhnten Welt. Dabei geht ja der der letzte Tag der Woche auf die Feststellung Gottes zurück: "Er sah, dass alles gut war." Ja sogar sehr gut. Der Mensch fand sich in einem wunderschönen Garten vor. Die Christen erklärten dann den ersten Tag der neuen Woche zum Tag der Auferstehung und sahen in Christus die aufgehende Sonne. Aber welcher Prediger traut sich zu sagen, dass jetzt alles gut sei. Er muss, um ernstgenommen zu werden, die Probleme benennen. Wofür braucht man denn die Religion, wenn es keine Probleme gäbe. Zu sagen, die Welt sei in Ordnung, "glaubt" doch sowieso niemand. Ist das aber das Schicksal des Sonntags? Bleibt nicht doch eine anderer Blick. Immanuel Kant hat einen solchen eröffnet

Vertrieben aus dem Paradies

Der Ruhetag Gottes lag nach dem Bericht der Bibel vor der Vertreibung aus dem Paradies. Trotzdem wagen die Juden, am Sabbat mit Gott diesen Ruhetag weiter zu feiern. Nach dem Abschluss der Schöpfung war "die Welt noch in Ordnung". Die Probleme kamen erst mit dem Menschen. Genau das wird uns von den Medien am Sonntag vor Augen geführt und an konkreten Personen festgemacht. Ob Politiker, die Spannungen erzeugen, Kirchenoberen, die den sexuellen Missbrauch gedeckt, Banker, die die Kurse manipuliert haben, Pharmafirmen, die krebserregende Präparate in Umlauf gebracht haben. Gott musste den Menschen nicht aus dem Paradies vertrieben haben, dass schafft der Mensch auch alleine.

Die Welt anders anschauen

Der Sonntag mit seinen Medienangeboten zwingt uns, über die Welt nachzudenken. Natürlich erklären uns die Medien auch, wie die Probleme in Ordnung gebracht werden könnten, wenn denn die Politiker, die Bischöfe, die Pharmafirmen, die Geldleute und am Ende auch immer die Lehrer nur wollten.
Oder sollen wir von den Problemen abschalten, fernseh- und zeitungsfrei nehmen? Da wir einen solchen Tag in der Woche brauchen, nicht erst den jeweils zehnten, sondern den siebten Tag, sollte dieser Tag einen anderen Inhalt als die nicht gelösten Probleme der Woche haben. Denn gleich am Montag wird es sowieso wieder enger. Es gibt Termine, wir müssen dies und jenes erledigen, in der Schule, am Arbeitsplatz, beim Arzt erscheinen. Der Sonntag darf nicht zwischen die vielen kleinen Erledigungen eingeklemmt sein. Auch kann die beste Sonntagsgestaltung die Probleme nicht zum Schweigen bringen. Die Lösung muss im Perspektivwechsel liegen. Wir können alles auch von einem anderen Blickpunkt aus betrachten. Dann wird uns deutlicher, dass die Welt und sogar der  Mensch eigentlich gut konzipiert waren. Wir würden ja die Probleme gar nicht so empfindlich wahrnehmen können, wenn wir nicht die Ahnung eines paradiesischen Zustandes hätten. Denn woher wissen wir, dass es auch viel besser sein könnte. Da helfen die vielen grandiosen Naturfilme oder Dokumentationen über frühere Epochen. Ob wir uns in einer alten Kirche auf eine Bank setzen und den Raum auf uns wirken lassen, in ein Konzert gehen oder eine entsprechende Sendung im Fernsehen verfolgen, unsere Vorfahren haben doch auch Großartiges geschaffen. Aber es bleibt der beklemmende Blick nach vorne.

Immanuel Kant über das Gelingen

Wir wissen nicht, wie es am Ende ausgeht. Es gibt nur wenige Berechnungen, die die Wissenschaft anstellen kann. Wir haben allenfalls eine Ahnung, dass es gut ausgehen wird. Immanuel Kant hat dazu diesen Sonntagsgedanken entwickelt. Seine Grundthese: Es muss sich lohnen, ethisch zu handeln. Er sieht auf der einen Seite den Menschen als ein Wesen, das zur Vollkommenheit bestimmt ist. Damit erwirbt der Mensch einen Glücksanspruch, denn dem sittlichen Bemühen ist Glück verheißen. Würde das Glück wahllos verteilt, dann wäre der sittliche Anspruch hinfällig. Doch die Ethik fordert den Menschen, weil nur so sein Leben gelingt. Das ist die eine Seite. Die andere widerspricht dieser Überlegung. Denn der Mensch findet in dieser Welt dieses Glück allenfalls für kurze Zeitspannen. Deshalb braucht es eine andere Welt, in der das Glücksversprechen eingelöst wird. Kant nennt das nicht einen Gottesbeweis, sondern ein Postulat. Genau für dieses Postulat ist der Sonntag da.

Die hier kurz wiedergegebene Überlegung Kants findet sich bei Holm Tetens in dem Sammelband „transzendenzlos glücklich“ 
Tetens hat mit seinen Veröffentlichungen den Horizont der Religionsphilosophie wieder aufgerissen. Empfohlen sei auch das Reclambändchen „Gott denken, ein Versuch über rationale Theologie"



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