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Deshalb Sonntag: Kultur schützt Freiheit

Der Alltag hält uns in unseren Verpflichtungen, wir fühlen uns oft wie angekettet. Pflicht ist aber nicht der ganze Mensch. Er ist für weitere Räume geschaffen. Die Freiheit erlaubt ihm, sich von seinen Pflichten zu distanzieren. Kultur ist die ständige Neubestimmung des Menschen. Deshalb Kultur besonders am Sonntag.

Wir müssen auf unser Leben schauen, damit wir Kurs behalten. Dafür sind die Abende der Wochentage da. Der Rückblick auf den Tag ermöglicht mir, nachzujustieren. Jedoch verengt der Alltag immer mehr den Blick. Es muss Stunden geben und möglichst einen Tag in der Woche, an dem ich den Blick wieder weiten kann. Die Juden haben uns den Sabbat geschenkt. Da ist Raum, sich neu als Mensch zu finden. Da wird der Mensch selbst zum Thema. Kultur ist diese ständige Beschäftigung mit dem Menschen, wer er ist, was mit ihm geschieht, was er erhoffen kann. Sich selbst in den Blick nehmen, über das eigene Leben nachdenken, ihm durch Entscheidungen eine Richtung geben, das ist Freiheits-Praxis

Freiheit ist Wurzelgrund der Kultur

Weil jeder selbst sein Leben „leben“ muss, er selbst sein soll und sich daher nicht von anderen leben lassen darf, bietet die Freiheit nicht nur die ruhige Fahrt auf dem eigenen Lebensschiff, sondern auch ständig neue Konflikte. Ich muss immer wieder mein Eigenes retten. Andere haben ja auch berechtigten Anspruch auf mich, aber nicht jeder und nicht immer. Auch wenn ich mein Leben erst verwirklichen kann, wenn ich mit anderen spreche, etwas unternehme, mich auseinandersetze, es ist im Letzten mein Leben, das meine volle Aufmerksamkeit braucht. So ist der Sonntag auch dazu da, mich diesen Konflikten zu stellen. Die Romane wie die Theaterstücke und das Kino leben von den Konflikten. In Skulpturen und Gemälden begegne ich mir selbst. Biografien zeigen mir Möglichkeiten auf, mit Konflikten umzugehen, aber auch, wie Menschen an Auseinandersetzungen scheitern. Es geht ja um das Gelingen meines Lebens. Am Sonntag erkenne ich, dass die reine Pflichterfüllung dafür nicht reicht

Die Auseinandersetzung mit dem Misslingen

Kultur heißt auch, mit dem Misslingen, mit dem Scheitern umzugehen. Familiendramen, Arztserien und des Deutschen Lieblingsgenre, der Krimi, thematisieren auch das Scheitern. Deshalb hat der Tatort am Sonntagabend seinen festen Platz im psychischen Haushalt seiner Zuschauer. Mord ist immer Scheitern, des Ermordeten wie des Mörders. Da es keine Wiederherstellung der Situation vor der Tat gibt, hat der Mord etwas Definitives. So ergeht es uns auch mit vielen unseren Niederlagen: Es ist definitiv nichts mehr zu machen, eine Freundschaft, eine Partnerschaft ist zerbrochen, das Geld ist „futsch“, das Projekt gescheitert. Eigentlich kann man das nicht mehr ändern. Da bietet der Krimi eine kleine Öffnung in eine bessere Welt. Denn wenn der Mörder gefunden ist, hat wenigstens das Erste Fernsehprogramm die Welt wieder in Ordnung gebracht. Wenn auch unsere Niederlagen bleiben, wir können uns am Montag wieder unseren Aufgaben stellen, weil es eine Instanz gibt, die für Gerechtigkeit sorgt. So ist der Krimi ein Hinweis, dass wir auf die Idee der Gerechtigkeit nicht verzichten wollen.

Hoffnung auf eine andere Welt

Wir sind eigentlich wie Fische. Wir schwimmen zwar in einem riesigen Weltall, jedoch ist unser Erkenntnisvermögen in diesen Kosmos eingebunden. Auf viele Sonntagsfragen finden wir keine Antwort. Jedoch wissen wir, dass dieses Weltall nicht alles sein kann. Schon wenn wir uns als Materialisten verstehen, blicken wir ja von außerhalb in diese Welt. Für Tiere stellt sich diese Frage nicht, denn sie haben wohl keine Idee davon, dass sie wie der Mensch mit seiner Geistigkeit Anteil an einer anderen Welt haben. Wie für die Fische ist es auch für uns mühsam, die Welt jenseits von Raum und Zeit zu verstehen. Zumindest verstehen wir, dass die Zahlen nicht an diesen Kosmos gebunden sind, die Gleichungen würden auch in anderen Welten das gleiche Ergebnis auswerfen. Die Geltung logischer Regeln ist nicht an diese Welt geknüpft. Das Zahlensystem führt uns in die Welt jenseits der Glasscheibe, in die die Fische ja blicken können.
Es gibt die Ahnung, die in keiner Generation verloren geht, dass wir durch die Glaswand eine andere Welt erkennen können. Wir wissen sogar, dass es außerhalb unseres Kosmos' noch etwas gibt. Einmal können wir als Zählende uns noch andere Universen vorstellen. Es kommt noch mehr von außerhalb, z.B. die Idee der Gerechtigkeit. Sie kann nicht aus der Evolution stammen, denn die funktioniert nach Zufall und rigoroser Auslese des Überlebensfähigsten. Das „Erwachen des Geistes" hat der Menschheit aus dem Gespür von etwas Größerem zu Ritus, Kunst, Religion, Philosophie geführt. 

Zum Verhältnis von Freiheit und Ideen



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