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Deshalb Sonntag: Abstand vom Unerledigten

Der Alltag zwingt uns, ins Einzelne zu gehen, genau zu rechnen, den Fehler zu finden, auf die Minute pünktlich zu sein. Anders der Sonntag, der Tag ist dem engen Zeitkonzept enthoben, um den Blick zu weiten. Denn das menschliche Gehirn ist für Größeres gebaut, es fasst den ganzen Kosmos.

Wir landen im Sonntag noch mit dem ganzen Unerledigten im Gepäck. Sollen wir die Steuererklärung nicht angehen, das Fahrrad reparieren, uns durch eine schwierige Thematik durchbeißen? Der Sonntag als Libero-Tag, den wir als Reserve für das einsetzen können,  was uns in der Woche durchgegangen ist, was wir vielleicht noch einholen können, was unbedingt erledigt werden muss. Wie kommt man da heraus? Das Arbeits- und Bewegungsverbot der jüdischen Sonntagskultur ist uns zu strikt. Aber wir können eine Kultur bauen. Einige Phänomene zeigen verschiedene Wege, wie wir den Geist so weiten können, dass er nicht an dem Alltäglichen kleben bleibt

Sport als befreiender Ausgleich

Erstaunlich ist die Verlegung der Spiele der Profimannschaften mit der Gründung der Bundesliga auf den Samstag. Als Fußball noch  Ausgleich für die Belastungen des Kumpels wie des Industriearbeiters leistete, als er noch Spiel und nicht Ernst war, passte er sehr gut in den Sonntagnachmittag. Seit er Arbeit von dafür hochbezahlten Spezialisten wurde, gehört er als Unterhaltungsangebot "zum Abschalten" auf den Samstagnachmittag. Es bleibt aber für den Sonntag der persönliche Sport, um dem Körper das Abschütteln von den Zwängen zu ermöglichen. Das ist nicht nur Burnoutprophylaxe, sondern befreit auch den Geist aus der angespannten Sitzhaltung am Schreibtisch oder im Auto. Wir können so unser Gehirn freisetzen, das ja für Größeres konzipiert ist, denn es ist fähig, bis zu den Grenzen des Weltalls zu gelangen, es kann Philosophie treiben, den Menschen in seiner Kreativität wie in seinen Niederlagen betrachten. Sonntags braucht es die Blickerweiterung, dass wir nicht bloß für das Funktionieren ausgestattet sind, sondern alles wahrnehmen sollen.

Musik ordnet die Welt

Ein Sonntagsphänomen ist die Bachkantate. Sie wurde jeweils für den Sonntagsgottesdienst komponiert und einstudiert. Auch wenn sie heute vom Tonträger läuft, sie befreit den Geist, der noch in den Unwirtlichkeiten festhängt, durch ihre Klarheit. Die Welt hat eine Ordnung, die trotz der vielen Misstöne im Ganzen zu einer großen Harmonie zusammenklingt. Musik gehört zum Sonntag und, wie neben der Kantate, die großen Messen, ob der uralte Choral oder die Kompositionen der großen Künstler. Allerdings werden die Messen in den katholischen Gottesdiensten kaum noch gesungen, so dass auch das Repertoire der Kirchenlieder geschrumpft ist. Es fehlt der große Rahmen, in dem erst die Frohe Botschaft zum Klingen gebracht werden könnte

Kult

Die religiöse Sonntagskultur scheint dahin zu sein. Der Gottesdienst, einst als Sonntagspflicht, die von Gott eingefordert wird, ist nicht zu einer Veranstaltung der Freiheit geworden. War der jüdische Sabbat Teilnahme an Gottes Sechstagewerk und der christliche Sonntag das Hineingenommenwerden in den Sog der Auferstehung, scheint er heute ein Auslaufmodell. Es ist der katholischen Kirche in Deutschland mit der Liturgiereform nicht gelungen, das Pflichtmodell in ein Freiheitsereignis zu überführen. So reguliert die alte Liturgie war, sie hatte mehr Glanz. Deshalb muss die zentrale Funktion des Gottesdienstes, den Sieg des Guten durch Gottes Kraft zu verkünden, von anderen Institutionen wahrgenommen werden.

Das Böse bedroht auch den Sonntag

Der große Krimi im Ersten aller Fernsehprogramme ist nicht nur eine geniale Entsprechung dieses Programms, das sich aus dem Mosaik der neun regionalen Sender zusammensetzt, sondern auch das kompensiert, was die Gottesdienste nicht mehr leisten. Denn das Böse stellt auch den Sonntag infrage. Zumindest darf Gott durch die Macht des Bösen nicht infrage gestellt werden. Die jüdisch-christlichen Tradition zeigt, dass Gott nicht daran scheitert, die Welt aus ihrer Verstrickung in das Nichtige herauszuholen. Diese religiösen Zusicherungen überzeugen nur noch eine Minderheit. Die Mehrheit braucht eine Instanz, die verspricht, das Böse zu eliminieren. Trotz privater Konkurrenz und dem Abruf-Fernsehen auf YouTube bleiben Tagesschau und Tatort als Garanten, dass die Welt nicht ganz aus den Fugen gerät. Der Tatort muss auf dem Sonntag liegen, denn eine Instanz muss garantieren, dass der Mörder dingfest gemacht wird. Was die Kirchen kaum noch schaffen und die Politik glücklicherweise nicht mehr versucht, übernimmt das Fernsehen, nämlich den Sieg über das Böse zu proklamieren.

Auch am Sonntag nur Defizite?

Eine Phänomenologie der Sonntagsbeschäftigungen bleibt erst einmal in den Defiziten hängen. Wir haben als Gesellschaft eine verbindliche Sonntagskultur aufgegeben. Wahrscheinlich gibt es eine solche Kultur nur mit der Religion. Das heißt für den einzelnen Bewohner dieser Kultur, den arbeitsfreien Tag selbst zu gestalten, um mehr Weite zu gewinnen, Freiheit freizusetzen, sich dem zuzuwenden, was mehr Bewunderung verdient, für Schönheit zu danken. Die Elemente sind da, wie in vielen anderen Lebensbereichen ist es dem Einzelnen überlassen, diese für sich zusammenzusetzen.

Sonntag - nicht wegen der Probleme



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