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Der Materialismus braucht ein Update: eine neue Metaphysik

Die Naturwissenschaften haben uns im 20. Jahrhundert entscheidende neue Erkenntnisse gebracht. Der Raum kann sich krümmen, das Weltall stammt aus einem Urknall, das Atom ist kein Kügelchen, Energie ist die Grundsubstanz des Universums. Diese Welt muss von den Materialisten besser erklärt werden.

Materialistisch ist eine Philosophie, die sagt, alles bestehe aus Materie, also aus Atomen und Energiefeldern. Diese Aussage kann die Physik nicht machen, weil Naturwissenschaften nur Aussagen über etwas machen, was es gibt. Ob es Seele, ob es Geist real gibt, kann eine Naturwissenschaft nicht feststellen. Da die Physik die Materie inzwischen sehr viel deutlicher erklären kann, wird im Folgenden diese Naturwissenschaft befragt, ob sie die Aussage zulassen „Es gibt nur Materie“.

Warum Update mit der Philosophie?

Weil der Mensch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften nicht nur einfach zur Kenntnis nimmt, sondern für sich daraus Vorstellungen entwickelt, wie dieses Weltall sein könnte. Denn wir fragen uns: In welcher Welt lebe ich, auf was baut mein Leben auf, auf was kann ich mich verlassen? Für diese Fragen sind die Materialisten unter den Philosophen gefordert. Wer davon ausgeht, dass Materie die einzige Wirklichkeit ausmacht, muss auf jeden Fall seine Vorstellung von der Welt auf den aktuellen Forschungsstand updaten. Die Metaphysiker unter den Philosophen wie die Theologen müssen das auch. Denn die Vorstellung von der materiellen Welt spiegelt sich in ihrem Denken.

Welches Bild von der Welt wollen die Materialisten vorstellen?

Die Materialisten sind an vielen Punkten gefordert. Denn sie müssen das, was die Naturwissenschaften erkannt haben, zu einem Weltbild formen. Die Philosophie ist dazu da, dem Menschen darüber eine Orientierung zu geben, was die Naturwissenschaften entdeckt haben. Da das 20. Jahrhundert die bisherigen Vorstellungen von Atomen wie von dem ganzen Weltall revolutioniert hat, muss die Philosophie überprüfen, wie ihre Einsichten mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften weiter entwickelt werden müssen. Dabei arbeitet Philosophie mit den logischen Regeln, zu denen die Mathematik als Unterabteilung gehört. Mit diesen beschreiben sie die Gesetze, die physikalischen Vorgänge steuern.

Die Physik kann nicht klären, ob die Materie die ganze Wirklichkeit umfasst

Dass es um philosophische Fragen geht, wird bereits daran deutlich, dass die Physik die These nicht bestätigen kann, dass die gesamte Wirklichkeit nur Materie ist. Denn die Naturwissenschaften können mit ihren Instrumenten aus Materie nur über Materielles Auskunft geben. Sie können daher nicht sagen, ob die Materie alles ist, es also keine Wirklichkeit außerhalb von Raum und Zeit gibt. Auch müsste die These „Nichts außer Materie“ überprüft werden können, wenn sie nicht eine Behauptung bleiben soll. Das fordert die Methodik von den Naturwissenschaften. Nur die Theorie, die empirisch überprüft werden kann, taugt für weiteres Forschen. Ein weiteres kommt hinzu:
Dieses Weltall hat einen Ursprung, aus was auch immer. Das stellt an die materialistische Deutung eine entscheidende Frage, die sich nicht aus Forschungen, sondern aus der Logik herleitet. Wenn Materie die ganze Wirklichkeit ausmachen würde, müsste sie schon immer existieren. Wie ist dann der Urknall einzuordnen?
Im Folgenden wird an einigen Forschungsergebnissen gezeigt, auf was die Philosophie sich einen Reim machen muss, wenn sie mit ihrer Welterklärung nicht im 19. Jahrhundert stecken bleiben will.

Der Materialismus als Weltanschauung wird interessant

Meta- das „Über die Physik hinaus“ wird hier erst einmal als die Suche nach Bedeutung der Erkenntnisse der Naturwissenschaften verstanden. Es geht also darum, in welcher Welt wir eigentlich leben wir? Diese Frage macht den Materialismus wieder spannend, z.B. ob es mit der Materie unserer Nervenzellen möglich ist, über die Erkenntnisse der Naturwissenschaften hinausdenken zu können, indem die Gesetze durch die nicht-materielle Mathematik dargestellt werden können. Unser Gehirn kann z.B. die Vorstellung erzeugen, dass es noch weitere Universen geben kann, also über dieses Weltall hinaus in ein größeres Universum denken, in dem weitere Universen schweben. Ausganspunkt für ein aktuelles Weltverständnis sind mindestens folgende Punkte:

1.       Die Naturwissenschaften können nur dieses Weltall erforschen. Sie können daher nicht erkennen, ob und was sonst noch existiert. Deshalb können sie weder der Theologie noch der Religionsphilosophie ihr Thema nehmen, denn sie können nicht beweisen, dass es Gott nicht “gibt”, dem man mit unserem Gehirn näherkommen kann, wenn man philosophisch vorgeht oder mystische Erfahrungen macht.  

  1. Relativitätstheorie: Es gibt Raum und Zeit nur in diesem Weltall und damit erst seit diesem Universum. Daraus folgt: 
  2. Die Materialisten sind keine Naturwissenschaftler, sondern denken über die Physik hinaus, also Meta-Physiker.

Zu 1: Wenn alles nur Materie wäre, dann wäre das menschliche Erkennen auf dieses Universum begrenzt. Denn wie soll ein aus Atomen bestehendes Gehirn mehr denken als dieses Universum, zumal die Instrumente der Naturwissenschaftler aus Materie bestehen. Die Physik mit ihren Instrumenten kann nicht darüber Auskunft geben, ob es noch etwas Weiteres gibt. Eine Folgerung aus der Allmeinen Relativitätstheorie ist nämlich, dass Raum und Zeit erst mit der Materie gegeben sind. Es gibt also keinen größeren Raum, in dem andere Universen mit unserem existieren. Raum und Zeit enden an den Grenzen dieses Weltalls.

Zu 2: Weil das Weltall sich ausdehnt, schließt man auf einen Anfang, Big Bang, Urknall genannt. An den Urknall selber kommt man mit aus Atomen bestehenden Messinstrumenten nicht heran, weil Atome erst entstehen konnten, als die Energie sich ausbreitete und überhaupt erst Raum für Atome freigab. Der Urknall explodierte nicht in einen vorhandenen Raum und hatte auch keine Zeit, in die er eintauchte, sondern schuf sich selber den Raum wie das Nacheinander der Zeit. Das legt nahe, dass es eine raum- und zeitlose Wirklichkeit um uns herum geben könnte. Das stellt den bisherigen Materialismus in Frage, denn wieso können Atome in Form von Nervenzellen sich etwas vorstellen, was es gar nicht geben kann. Woher haben unsere Nervenzellen diese Fähigkeit?

Zu 3: Die Aussage, außer Materie gebe es nichts Weiteres, ist keine Feststellung, die die Physik treffen kann, denn sie kann nur über dieses Weltall Auskunft geben. Das ist beim Geistigen anders. Indem der Geist die Materie erforscht, setzt er voraus, dass es neben ihm selbst noch etwas Anderes, nämlich Materie, gibt. Da die Erkenntnisse der Physik in mathematischen Gleichungen darstellbar sind, nutzt die Forschung ein Verfahren, das nicht wie die Instrumente der Naturwissenschaften auf dieses Weltall begrenzt ist, sondern in jedwedem Weltall gilt. Mathematik ist daher im Meta, dem Überhinaus der Physik, angesiedelt.
Für die Philosophie bleibt die Möglichkeit von Freiheit eine drängende Frage. Da Freiheit nicht messbar ist, können weder Physik noch Biologie mit ihren Methoden feststellen, ob es Freiheit gibt oder nicht. Da Freiheit in Materie stattfindet, würde dies eine Art Antimaterie erfordern. Denn die Naturgesetze besagen ja gerade, dass der Mensch nicht über die Geltung dieser Gesetze entscheiden kann. Wenn Materialisten erklären, Freiheit sei nicht möglich, dann definieren sie allerdings eine Dimension des Menschen einfach weg, die für die Selbstverwirklichung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Das ist eine zu billige Lösung. Zumal dann Kriege physikalisch, nämlich von Atomen hervorbrachte würden. Vor den Materialisten liegen wichtige Aufgaben, wenn wir tatsächlich Frieden wollen.

Die hier angerissenen Fragen sind mir aufgegangen, als ich Kapitel für ein Buch formulierte. Dieses ist hat den Titel: „Zwischen Urknall und Ewigkeit, Materialismus – Evolution - Theodizee – Eucharistie“. Diese Themen werden gründliche durchdekliniert. Es stellt sich sogar bei dem strittigen Punkt zwischen beiden Konfessionen, bei der Eucharistie, heraus, dass nicht die Bibel trennt, sondern die Philosophie. Denn die katholische Theologie beruht auf dem Begriff von Materie des 13., die evangelische auf der Erkenntnistheorie des 14. Jahrhunderts Eine Frage klärt die Physik eindeutig: Was die Christen „Ewigkeit“ nennen, kann es in diesem Weltall nicht geben.

Eckhard Bieger, Zwischen Urknall und Ewigkeit, Materialismus, Evolution, Theodizee, Eucharistie, Aschendorff, Münster 176 S. € 176; S. 24,90 Euro


Kategorie: Verstehen

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