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Der Kopf steuert die Gesundheit

Herzinfarkt und Krebs entstehen im Gehirn - durch Auslösen von Entzündungen. Die Gene müssen vom Gehirn aus aktiviert werden. Das geschieht nicht nur unbewusst. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass es von meiner Einstellung zum Leben abhängt, ob in mir die Entzündungsneigung gedämpft wird. Ich kann also meine Gesundheit bewusst beeinflussen. Das Zusammenspiel von Gehirn und Genen zeigt Joachim Bauer auf.

So wie ich mich selbst sehe, lenkt das Gehirn den Körper. Das Ich-Zentrum wirkt auf den Hypothalamus, der das entzündungsauslösende Hormon CRH (Corticotropin Releasing Hormon) aussendet. Entzündungen wiederum sind der entscheidende Faktor für Krebs, Depression, Alzheimer und Arterienverkalkung. Diese neuen Forschungsergebnisse bestätigen das Lebenskonzept der Klöster, ob in Asien oder im Westen. Weil hier Geist und Körper in einen Gleichklang gebracht werden, sind maßvolle Ernährung, Verzicht auf Fleisch entsprechend den Traditionen vor allem des asiatischen Mönchtums medizinisch bestätigt. Was in dem Gesundheitskonzept der Spiritualitäten nicht so betont wird, ist Bewegung. Sie ist der wichtigste Faktor für eine Verlangsamung des Alterungsprozesses. Joachim Bauer, emeritierter Medizinprofessor, stellt das Zusammenspiel von Gehirn, Botenstoffen, Hormonen dar und zeigt, wie die Gene, vom Selbstbild ausgehend, gesteuert werden, die in der Zelle die Entzündungsreaktion auslösen. Sein Buch „Das empathische Gen, Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen“ stellt neueste Forschungsergebnisse für Nichtmediziner so dar, dass Therapeuten wie Exerzitienbegleiter sich eine Vorstellung vom Zusammenspiel der Hirnregionen bis hinein in die Aktivierung der Gene in den Zellen machen können. Coaching und Ernährungsberatung profitieren ebenfalls entscheidend von den neuen Erkenntnissen. Das Buch erklärt auch, warum der Heilungserfolg wie die Änderung der Essgewohnheiten, Rauchen- und Alkoholentwöhnung das Selbst einbeziehen müssen. Denn von der Hirnregion, in der das Selbstbild und die Wertorientierungen „verwaltet“ werden, gibt es Verbindungen zu anderen Gehirnregionen, die die Körperfunktionen steuern. 

Die Topographie der Entzündungen

Das Bild, das sich jeder von sich selbst macht, ist im Vorderhirn verankert. Dieses steht mit dem Hypothalamus in Verbindung, der das Entzündungsgeschehen steuert. Dieser sendet über die Nervenbahnen Impulse, die Entzündungen auslösen wie auch Impulse, die den Entzündungsmechanismus in den Zellen wieder ausschalten.
Zwei Forscher sind auf die Idee gekommen, empirisch zu überprüfen, wie das Selbstbild messbar den Entzündungsmechanismus steuert.  Frederickson und Cole haben zwei Persönlichkeitsentwürfe mittels Fragebogen erhoben. Der eine Typ ist auf schnelle Bedürfnisbefriedigung und den eigenen Vorteil aus, der andere schiebt Wünsche auf, gibt seinem Tag eine Struktur, orientiert sich langfristig an Werten und hat seine Mitmenschen im Blick. Das Überraschende: Jeder der beiden Persönlichkeitsentwürfe zeigt ein anderes Entzündungsniveau. Bei der ersten Gruppe ist der Entzündungs-Status durchgehend höher als bei denen, die einem langfristigen Lebensentwurf folgen.
Der Einwand ist erst einmal berechtigt: Das ließe sich auch anders erklären, denn Menschen, die pro-sozial eingestellt sind, neigen eher dazu, auf ihre Ernährung und Zeitorganisation zu achten als die „Hedonisten“, die anders durch den Tag gehen, um unkontrolliert das aufzugreifen, was sich ihnen bietet und deshalb eher zu Entzündungsreaktionen neigen. Deshalb sind weitere Untersuchungen gemacht worden, indem z.B. in Kalifornien Senioren, die Kinder schulisch betreuen, am Beginn, nach drei und dann noch einmal nach 9 Monaten untersucht wurden. Das Entzündungsniveau ist während des gesamten Zeitraums gesunken.
Wie kann aber der Entwurf für das persönliche Verhalten Einfluss auf Körperzustände haben, die man zudem noch messen kann? Bauer stellt dieses diffizile Zusammenspiel auf nur 150 Seiten in erstaunlicher Lesbarkeit dar:  

Es geht um vier Themenbereiche:
1. Entzündungen, die doch Feindliches abwehren, bewirken durch Fehlsteuerung zugleich die tödlichen Zivilisationskrankheiten. So erfolgt die Ablagerung von Cholesterin erst, wenn die Adern innen entzündet sind. Bei Alzheimer-Kranken wurden entzündungsauslösende Botenstoffe gemessen. Krebs, eine Veränderung an den Genen, wird durch eine entzündete Umgebung wahrscheinlicher. Depressionen sind biologisch durch Serotoninmangel verursacht. Das erklärt sich so: Wie andere Neurotransmitter vermittelt Serotonin die elektrischen Impulse zwischen den Nervenzellen und beeinflusset auf diese Weise das Wohlbefinden. Entzündungen setzen Glutamat frei. Dieser verbraucht in hohem Maße die Aminosäure Tryptophan, aus denen die Nervenzellen auch Serotonin und Gaba herstellen. Da der "Rohstoff" durch Glutamat verbraucht wird, kommt es zu Serotoninmangel, welcher direkter Auslöser von Depressionen ist.
Altersdiabetes geht auf Zytokine, entzündungsauslösende Botenstoffe, zurück, die sich in Fettzellen, also in zusätzlichen Körperpfunden bilden.

2. Entzündungen entstehen nicht direkt, indem auf eine Zelle zu viel ultraviolettes Licht, Gifte oder ein Virus wirken, sondern durch Botenstoffe, Zytokine, die etwa 50 Gene dazu bringen, den Entzündungsmechanismus in der Zelle auszulösen. Weil die Zellen nicht direkt auf Fremdkörper, sondern auf Botenstoffe reagieren, erklärt sich, warum Entzündungen auch ohne äußeren Einwirkung entstehen. Vom Gehirn ausgelöst, werden Zytokine ausgeschüttet, die langandauernde leichte Entzündungen bewirken. Diese sind Ursache der Zivilisationskrankheiten.

3. Stress ist der Hauptfaktor, der Entzündungen auslöst. Da Stress zu Reaktionen nicht nur des Nervensystems führt, sondern auch die Ausschüttung von Hormonen in die Blutbahn, also von Cortisol und Adrenalin sowie parallel über Noradrenalin das Nervensystem erregt, ist der Übergang von der Psychologie in die Biologie des Körpers beschreibbar.

4. Das Lebenskonzept lässt sich in einem Areal des Vorderhirns lokalisieren. Es ist mit anderen Hirnregionen vernetzt, so dass es nicht nur Gedanken, sondern auch Körperfunktionen steuern kann.

Lese Tipp: Der Autor entwickelt die durch die Forschung ermöglichte Zusammenschau von Selbstbild, dessen Interaktion mit anderen Hirnarealen und die Steuerung der Gene auf den ersten 120 Seiten. Auf den folgenden 25 Seiten ist unter dem Titel „Carus Lecture 2021“ ein Vortrag abgedruckt. Dieser beschreibt die Zusammenhänge noch kompakter und kann als Einstieg gelesen werden.
Dem Buch ist eine weite Verbreitung gewünscht. Allen, die im Erziehungsbereich, in der Beratung und Weiterbildung oder als Therapeuten oder Exerzitienbegleiter tätig sind, eröffnet das Buch neue Horizonte.
Die Millennials und die Generation Z können sich mit ihrem Wunsch nach sinnerfüllter beruflicher Tätigkeit, Stressvermeidung und einer auf den Biorhythmus abgestimmten Lebensweise bestätigt fühlen. Stressvermeidung nutz auch den Unternehmen und Einrichtungen. Weniger Stress führt zu weniger Ausfällen wegen Krankheit und optimiert die Gehirnleistungen.
Noch erwähnt seien die Ausführungen des Autors, wie gegenseitige Akzeptanz, Kommunikation, unterstützende Erziehung und Bildung sich medizinisch positiv auswirken. Auch erklärt er die Bedeutung der Spiegelneuronen für das gegenseitige Verstehen.

Den Menschen nicht von den Genen, sondern vom Kopf her denken

Für das Menschenbild ergeben sich deutliche Hinweise, wie die Einheit von Leib und Seele konkret zu sehen ist. Was auch für Burnout gilt: Der Mensch wird nicht von den Organen, sondern vom Kopf her gesteuert. Die Zusammenhänge werden wahrscheinlich noch deutlicher, wenn die Funktionen des Nervengewebes, das den Darm umhüllt, mehr erforscht sind. Es sind nicht die Gene, die krankmachen oder Gesundheit versprechen. Diese schaffen nur die Bedingungen. Wenn die Psychosomatik schon lange den Einfluss der Psyche auf den Körper voraussetzt, gibt die Verbindung von Hirnforschung und Genetik, die Bauer darstellt, lang gesuchte Antworten, wie die unterschiedlichen Systeme zusammenwirken.  
Der Mensch wird vom Kopf her gesteuert. Der Leib bringt, auch durch die Gene, bestimmte Dispositionen mit, die wie Muster zu sehen sind. Die meisten dieser Muster entstehen erst während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren. Es kommt darauf an, wie die Gene in Gang gesetzt werden. Das Zusammenspiel von Geist und Leib erfolgt über die Nerven. So bewirken nicht-materielle Einflüsse, wie z.B. ein Brief vom Finanzamt, Reaktionen von Gehirnregionen, die mit anderen vernetzt sind, die dann Körperreaktionen auslösen. Dass Entzündungen eine so zentrale Rolle für die Zivilisationskrankheiten spielen, sind erst Erkenntnisse der letzten Jahre. Die geistige Ebene im Menschen, in der er seine Sicht von der Welt und für sein Leben entwickelt, kann im Stirnhirn lokalisiert werden. Durch die Vernetzung der Hirnregionen nimmt das Selbstnetzwerk auf die Steuerung der Körperfunktionen Einfluss.
Hier ist darauf hinzuweisen, dass der Titel „das empathische Gen“ nicht durch die zentrale These des Autors gedeckt ist. Empathie wird vor allem durch die Spiegel-Neuronen ermöglicht, nicht durch einzelne Gene.

Wie die technische Zivilisation die Gesundheit beeinflusst

Offensichtlich werden wir zur Dämpfung des Entzündungsniveaus nicht allein über den Körper angeregt, sondern über die Kultur gesteuert, konkret über die Wertvorstellungen, denen wir folgen. Die spirituellen Schulen der Religionen werden durch die Forschungsergebnisse in Vielem bestätigt. In den Klostergemeinschaften hat das Meditieren offensichtlich eine differenziertere Wahrnehmung der Körperreaktionen ermöglicht. Für unsere durch Leistungsanforderungen und Technisierung bestimmte Zivilisation heißt das, dass es nicht nur Autoabgase, die Betonmassen, die chemische Belastung der Lebensmittel sind, sondern der Stress, den das soziale Umfeld ausübt. Der Abbau von Stress, weniger Fleisch, mehr Bewegung und eine prosoziale Einstellung würden die Gesundheit effektiver erhalten als die Verabreichung von Medikamenten. Gesundheit bleibt damit nicht ein Thema der naturwissenschaftlich orientierten Medizin, sondern muss von den Kulturwissenschaften einbezogen werden. Dazu folgt ein weiterer Beitrag.  

Im Alter muss sich die Seele mehr um den Körper kümmern - wie der Alterungsprozess, also vor allem die erhöhte Entzündungsneigung, durch Bewegung u.a. Aktivitäten aufgefangen werden kann. Hier zum Weiterlesen

 

 


Kategorie: Gelesen

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