Zu den Grundvollzügen christlichen – besser gesagt: religiösen – Lebens gehört das Gebet. Wer an Gott glaubt, der kommt ohne das Gebet schlechterdings nicht aus. Den Auftrag zum Gebet schreibt uns Christen Jesus selbst ins Stammbuch. Er selbst war ein Betender. Sein ganzes Leben war betende Existenz. Mich persönlich berührt immer wieder die Erkenntnis, die der sterbende Peter Wust (1884-1940) seinen Studenten am Ende seines irdischen Lebens mit auf den Weg gegeben hat. In seinem berühmt gewordenen ‚Abschiedswort‘ formulierte er folgende Zeilen:
Und wenn Sie mich nun fragen sollten, bevor ich gehe und endgültig gehe, ob ich nicht einen Zauberschlüssel kenne, der einem das letzte Tor zur Weisheit des Lebens erschließen könne, dann würde ich Ihnen antworten: ‚Jawohl‘ – Und zwar ist dieser Zauberschlüssel nicht die Reflexion, wie Sie es von einem Philosophen vielleicht erwarten möchten, sondern das Gebet. Das Gebet als letzte Hingabe gefasst, macht still, macht kindlich, macht objektiv. (Wust, P.: Ein Abschiedswort, 32010, 12f.)
Ja, in der Tat! Auch ich mache beim Beten diese Erfahrung: Beten ist Hingabe, Beten macht still, macht kindlich, macht objektiv. Darum verlebe ich kaum einen Tag ohne Gebet, kaum einen Tag, der nicht von der lebendigen Beziehung zu Jesus Christus geprägt ist. Von den vielen Formen des Betens, die Kirche kennt – vom Rosenkranzgebet über das Chorgebet bis hin zum persönlichen Stundengebet –, helfen mir vor allem zwei, die ich täglich zu üben versuche: Die persönliche Betrachtung und das Herzensgebet.
Zeit persönlicher Betrachtung
Selbst bin ich ganz von dem Einfluss der Benediktiner geprägt. Erste intensive Begegnungen mit dem Gebet habe ich in Klöstern und Abteien gemacht. Von Anfang an haben mich die Regel des hl. Benedikt, die Lebensweise und die Art des Betens der Mönche und Nonnen fasziniert. Für sie gehört es zu ihrem Alltag, neben dem täglichen gemeinsamen Chorgebet und der Lesung in der Heiligen Schrift auch persönliche Betrachtung zu halten. In dieser Zeit des intensiven persönlichen Innehaltens widmen sie sich ganz ihrer eigenen Beziehung zu Jesus. Ihnen gelingt das durch zwei Grundhaltungen, durch die sie und die Art ihres Gebetes sich auszeichnen: Hören und Schweigen. Auch ich halte mir jeden Tag einige Zeit der Betrachtung frei, in der ich still werde, mich von einem Wort der Heiligen Schrift inspirieren lasse und im Bewusstsein der liebenden Gegenwart Gottes zum Hörenden werde. Indem ich mich ihm hörend und schweigend zuwende, werde ich gleichsam zum Empfangenden, werde ich achtsam auf das Wort Gottes und meiner Mitmenschen, die ich im Alltag treffe. Für den hl. Benedikt ist diese geistliche Übung notwendige Voraussetzung für die Begegnung mit Gott. Er weiß, Gottes Stimme, die wie ein „sanftes, leises Säuseln“ (1 Kön 19,12) ist, vernimmt nur, wer selbst ganz still wird und hinhört.
Herzensgebet
Die zweite Form, die mein persönliches Beten bestimmt und sozusagen als Ergänzung der ersten gesehen werden kann, ist ein Gebet, das wir aus den Ostkirchen kennen: das Herzens- oder Jesusgebet. Im Grunde ist es ganz einfach. In den ‚Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers‘ erfahren wir, wie es geht. Bewegt von der Weisung, stets und ohne Unterlass zu beten (vgl. 1 Thes 5,17), macht sich der einfache und unbekannte Pilger auf den Weg, um immer tiefer in das Geheimnis des Betens einzutauchen. Immerzu wiederholt er die Worte „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner!“, jeden Tag, viele tausende Male, zunächst nur mit den Lippen, mit dem Verstand, schließlich mit der Stimme seines Herzens. Immer tiefer wird seine Liebe zu Jesus, immer größer seine Freude. Auch ich versuche mich nach dem Vorbild des einfachen Pilgers in diesem schlichten, aber wirkmächtigen Gebet zu üben, jeden Tag aufs Neue.
Ganz bewusst schreibe ich hier übrigens davon, dass ich mich im Gebet übe. Ich würde sogar sagen, dass ich nach Jahren des Betens immer noch nur ein Anfänger bin. Denn beten kann beschwerlich sein, kann Kraftanstrengung erfordern, kann trocken sein – zumindest erfahre ich es so. Was ich aber auch weiß: Das Gebet richtet auf, es verbindet mit Jesus und seiner Kirche, es schenkt Kraft und ist – wie Peter Wust schreibt – wirklich der Schlüssel zur Weisheit des Lebens und zu einem gelingenden Leben.
Philipp Thull
Weitere Berichte über das persönliche Beten hier: Neu beten
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