Auch wenn Kirche und Gesellschaft nicht mehr wissen, für was sie Theologie da ist. ChatGPT wird es ihnen zeigen. Das entspricht der Zuordnung der Geisteswissenschaften durch den Philosophen Odo Marquard. Er hat ihren Platz "hinter" den Naturwissenschaften gesehen. Daran müssen sich Theologie und Philosophie noch gewöhnen. Denn die mittelalterliche Universitätsidee, also alles Wissen in einer Institution zusammenzuführen, ist in den theologischen Hochschulen entstanden. Marquard sieht die Notwendigkeit der Geisteswissenschaften durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften gegeben. Seine Überlegungen stammen aus der Zeit vor Google, so dass die Geisteswissenschaften heute einen zweiten Schritt machen müssen, nämlich das Internet nicht nur zu nutzen, sondern sich seinem Universalitätsanspruch stellen. Wenn sie nicht ein Teil von Microsoft und Google werden wollen, dann müssen sie sich allerdings mit der Kultur beschäftigen, die mit Künstlicher Intelligenz nicht nur ihre Lehrmethoden infrage stellt, sondern auch der Gesellschaft suggeriert, dass sie "alles weiß". Noch sind die jungen Menschen von den Universitäten abhängig, wenn sie im Öffentlichen Dienst mit einem Master eine BATII-Stelle bekommen wollen.
Das Internet kann Texte nicht nur speichern, sondern selbst produzieren
Das Internet kann neues Wissen, das bisher von den Universitäten kam, auch aus anderen Quellen beziehen. Und warum soll man nicht damit rechnen, dass die nächste akademische Gründung von Microsoft auf der Basis von ChatGTP erfolgt? Diese Gedanken müssen sich die Medizin, die Ingenieur- und Naturwissenschaftlichen nicht machen. Aber neben den Geisteswissenschaften auch die Verlage. Wird man in 10 Jahren noch Bücher brauchen, um Historikerin, Lehrer oder Journalistin zu werden? Wenn sich Künstliche Intelligenz mit einer neuen Kultur verbindet, so wie einmal die Erfindung von Lettern mit einer neuen Idee, religiös zu sein verbunden hat, dann werden die Geisteswissenschaften, so wie jetzt die Theologie, auf den Prüfstand gestellt. Deshalb sollten die anderen Fächer der philosophischen Fakultät genauer hinschauen, warum die katholische Ausprägung der Theologie so in Bedrängnis geraten ist. Dafür seien hier zwei Zugänge vorgeschlagen:
- Was halten die Studienanfänger von den Geisteswissenschaften?
- Was kann KI nicht und sollte an den Universitäten forciert werden?
Mit einem Studium die neue Kultur gestalten können
Den Jungen wurden zwei Orientierungen mit auf den Weg gegeben:
- Es ändert sich sowieso alles, deshalb
- Orientiere Dich an deinem Gefühl. Studiere das, was Dir Spaß macht.
Dieser ratlose Rat hat zwei Konsequenzen: Abiturienten brauchen ein Jahr, um sich auf ein Studium festzulegen, nämlich anders als in der Schule sich ein Wissensgebiet so gründlich zu erarbeiten, um mit dem angeeignet Wissen ein Berufsleben zu bestreiten.
Das wird durch die zweite Vorgabe sofort infrage gestellt, nämlich dem Spaßgefühl zu folgen. Die gründliche Aneignung gelingt nicht ohne Frust, die als "Lustverlust" bezeichnet wird. Dieser tritt notwendig mit jeder nicht bestandenen Prüfung oder schlechten Note ein. So wechseln nicht nur viele Studierende das Fach, sondern ein Drittel verlässt die Universität ohne einen vorzeigbaren Abschluss. Das ist nicht nur die Kehrseite der Bildungspolitik, die neben dem Geburtenrückgang für den Fachkräftemangel verantwortlich ist, sondern auch eines riesigen Defizits der Geisteswissenschaften: Für die Gestaltung welcher Kultur bilden die Kulturwissenschaften aus, so dass junge Menschen sich nicht nur die Vergangenheit auskennen, sondern die kommende Kultur gestalten können? Hier ist an der katholischen Theologie abzulesen, warum sie kaum noch Studierende anzieht
Studium, ob Medizin oder Theologie, ist auf Anwendung bezogen
Um mit einem Studium später einen Beruf zu bestreiten, muss ich mit dem Studium etwas "machen" können. Das scheint auf den ersten Blick geregelt. Lehrer halten Unterricht, Pfarrer Gottesdienste, Kunsthistoriker kuratieren Ausstellungen. Allerdings lesen Digital Natives keine Bücher mehr noch nehmen sie an Gottesdiensten teil. Das Mittelalter entdecken sie über Computerspiele. Was für Zwanzigjährige Religion sein könnte, ist allenfalls in Konturen erkennbar. Die deutsche katholische Theologie, so ein indischer Doktorand, weiß sehr viel über die Vergangenheit, jedoch vermisst er ein Konzept, das die Theologie für die heutigen Gesellschaften erarbeitet hat.
ChatGPT ist in das Innere der Geisteswissenschaften vorgedrungen
Waren bisher Buchhaltung u.a. zahlenbasierte Studiengänge Objekt der Datenverarbeitung, werden inzwischen die Sprachen und alle textbasierten Wissenschaften von den digitalen Techniken kolonisiert. Wie ChatGTP das Feld der Theologie besetzen kann, wird an den Prüfungen deutlich: So rüstet diese Theologie ihre Studierenden mit dem aus, was in der Christentums-Geschichte bisher gedacht und praktiziert wurde. Sie hat sich auf das zurückgezogen, was man über das Glaubensdenken und die Glaubenspraxis früherer Generationen wissen kann - und sich mit ihren Handbüchern und Lexika genau auf die Algorithmen zubewegt. Wird sie von diesen jetzt gefressen? Auch alles weitere Wissen, das sich in Texten und Abbildungen niederschlägt, ist Futter für die Rechenprogramme. Die Verlage sollten es selbst verwerten und nicht einfach Microsoft schenken. Denn ChatGPT wird wohl kaum den Bücherverkauf ankurbeln.
Was KI nicht hat und nicht kann
Hier wird dann deutlich, warum Odo Marquard den Geisteswissenschaften ihren Platz als Reaktion auf die Naturwissenschaften freiräumen konnte. ChatGPT wurde bereits als Herausforderung für alle Textarbeiter verstanden. Inzwischen wurde sogar eine Zukunft entworfen, in der KI nicht nur wie jetzt schon die Kontrolle, sondern auch die Steuerung übernimmt jedes Einzelnen wie der Gesellschaft übernimmt. Sie wurde als gleich gefährlich wie die Atombombe erklärt. Inzwischen haben Informatiker die Grenzen dieser Rechenkünstler aufgezeigt. Diese "wissen" im Unterschied zu Denkapparaten, die mit Bewusstsein ausgestattet sind, nicht, was sie schreiben. Das, was ChatGPT ausdrückt, ist errechnet. Diese Denkmaschine arbeitet nur in Zahlen umgesetzten Texte rechnerisch durch und ist nicht in der Lage, mitzureden, was das Ergebnis bedeutet. Schon gar nicht können sie darüber nachdenken, was Menschen können, welche Rolle sie in dem Gesamt der Kultur spielen und wo sie überhaupt ihren Platz erhalten sollen. Jeder Arzt und Lehrer weiß da. Sie können nur warten, was mit ihnen gemacht wird, denn einen eigenen Willen haben sie nicht. Darüber sich zu verständigen, was mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, den daraus entwickelten Techniken wie den medizinischen Verfahren geschehen soll, wird inzwischen durch eine Technik dringlicher, die direkt in den Bereich der Geisteswissenschaften hineinreicht. Während die Einordnung der Künstlichen Intelligenz bereits der Rechtswissenschaft aufgedrängt wird, scheinen die Geisteswissenschaften noch nicht bemerkt zu haben, was mit ihren Berufsfeldern geschieht, wenn Algorithmen nicht nur Englisch, sondern auch Geschichte und Predigen schreiben „können“. Die Geisteswissenschaften müssen initiativ werden, sonst bleibt die Diskussion über die Auswirkung in ChatGPT - wie seit November zu beobachten - auf die Kompetenz der Informatiker beschränkt. Der Beitrag der Geisteswissenschaftler kann nicht bei der Feststellung stehenblieben, dass die Maschinen kein Bewusstsein haben und auch nicht haben werden. Als Kulturtechniken werden die Text- u.a. zahlenbasierte Maschinen ihren Platz zugewiesen bekommen. Die Geisteswissenschaften sollten das nicht den Juristen und Informatikern allein überlassen. Einige Fragen zeichnen sich schon länger für die Theologie ab.
Themen, die KI für die Theologie setzt
- Junge Menschen haben das Smartphone zu einem Körperorgan gemacht, das sie mit ihrem Freundeskreis verbindet, sie im Nachrichtenfluss mitschwimmen lässt und den größten Teil der benötigten Informationen mit wenigen Klicks bereit hält. Sie fühlen sich "viel näher dran" und machen Erfahrungen Verbundenheit, die bereits in der Theologie des Heiligen Geistes reflektiert werden.
- Gottesdienste werden inzwischen mehr über den Bildschirm mitgefeiert als durch Anwesenheit in einer Kirche. Das könnte faktisch heißen, dass 100 Kirchen in Deutschland reichen, in denen Gottesdienste mit der Gestaltungsintensität und Sorgfalt gefeiert werden, die dann auch auf dem Bildschirm zur Mitfeier anregen.
- Für die Berufsausübung ist nicht nur Wissen notwendig, das die Fakultäten und Hochschulen in den Prüfungen abfragen. Wenn dieses Wissen direkt mit dem Handy abrufbar bleibt, hat die Prüfung nicht mehr den Stellen- und Erlebniswert wie früher. Sie „macht“ die Studentin, den Studenten nicht mehr zu Theologen, wenn er, wenn sie nur über das verfügt, was jeder auch selbst im Internet abrufen kann. Was wäre eine Prüfung, die tatsächlich einen Rollenwechsel herbeiführt. In der Katholischen Kirche war die erfolgreiche Prüfung nur Voraussetzung, bis in die siebziger Jahre ist man erst Theologe durch die Priesterweihe„geworden“. Die ungeklärte Rolle der Laientheologen haben die Fakultäten nicht als ihr Problem gesehen. Jetzt fehlen ihnen die Studierenden und ChatGTP hat die Funktion der Prüfung weiter entwertet.
Die Liste der aktuellen Fragestellungen ist hier nur angefangen. hinsehen.net wartet auf weitere Beiträge. Schreiben Sie uns.
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