Meditieren heißt für mich, die tieferen Strömungen mitzubekommen. Diese fließen unter dem, was Zeitungen und Sender berichten oder was in den Social Media verhandelt wird. Das, was Menschen konkret bewerkstelligen, aufbauen, zerstören, speist sich aus diesen tieferliegenden Schichten. Da, wo Unzufriedenheit, der Eindruck, zu kurz gekommen zu sein, die Resignation „Es bringt ja doch nichts“, die Verzweiflung über den Zustand der Welt, Angst um die Zukunft wie auch die hoffnungsvollen Gefühle wirken. Früher haben die Menschen diese Kräfte als dämonisch erlebt. Ich fühle das manchmal wie einen kalten Wind, von dem ich mich nicht wegblasen lassen darf. Das heißt im Ernstfall beten: Das Hoffnungvolle wählen, glauben, dass unsere Hoffnngen nicht enttäuscht werden.
Blickerweiterung - jeden Tag
Wenn ich mich wie in einem Loch fühle, heißt Beten, den Blick aus diesen tiefen Gruben nach oben wenden. Gott lässt diese Welt nicht fallen. Er will aber auch, dass ich mich nicht in der Grube einrichte. Es kommt auf mich an, wo ich mich hinstelle, ob ich den Wind auf mich wirken lasse oder in Deckung gehe mit dem Spruch "was soll's, es bringt ja doch nichts." Für mich ist das Segelschiff das Bild, das mir das Leben am besten erklärt. Ich kann mit Rückenwind in Ruhe segeln. So etwas habe ich an vielen Tagen, an denen mich eine frische Brise durch die Aufgaben gleiten lässt. Ob in Kursen, beim Niederschreiben von Gedanken, beim Kochen oder auf dem Fahrrad - ich muss zwar etwas beitragen, aber das meiste bekomme ich gestellt, die Sprache trägt mich durchs Schreiben, die Methoden sind in den Kursen wie der Rumpf des Schiffes, der die Gruppe durch das Wasser trägt. Kochen heißt hauptsächlich, Gemüse schnibbeln, schälen, Gewürze dazu tun, das andere macht der Herd. Dann gibt es Tage mit steifer Brise und Sturm. Da heißt Segeln, gegen den Wind fahren, das Steuer fest in der Hand halten und den Gegenwind nutzen, um nach vorne gezogen zu werden. Der Geist Gottes wird als Wind erfahren, meist spüre ich ihn als sanften Rückenwind.
Ich lebe in einem Gebetsraum
Meditieren heißt auch, die Karten zu studieren. Daraus muss in meinem Kopf eine innere Karte werden, die mich durch das Leben leitet. Denn was in den Büchern steht, ist ja nur Weg- und Routenbeschreibung, den Weg, die Route muss ich dann in der Wirklichkeit finden. Es gibt kein Navy für meinen Lebensweg, da muss ich mich schon persönlich auskennen, mich mit den geistigen Landschaften vertraut machen. Es gibt so viele gute Gedanken, Sonaten und Fügen, Gemaltes und darin auch Gebete, die mich tragen. Andere haben auch ihre Herausforderungen bewältigt.
Menschen mit Gott verbinden
Als Priester ist Beten auch wie Handwerkszeug. Ob Taufe, Hochzeit, Beerdigung, im Beichtstuhl, ich verbinde Menschen mit Gott. Das heißt, sie in einen größeren Horizont einfügen. Den brauchen sie, wenn ihr Leben nicht im Kleinkarierten festfahren soll. Wie von selbst bete ich dann für andere.
Weil dieses priesterliche Handwerk nicht punktuell ausgeübt wird, sondern sich auf das ganze Leben der Menschen ausrichtet, fließt das Gebet für andere wie von selbst in meine Gedanken ein. Wir sind ja nie mit unserem Leben fertig und brauchen ständig die Blickerweiterung.
Das heißt dann für mich, dass ich auch ständig meinen Blick weiten und es Gott überlassen kann, dass es noch andere Lösungen gibt, als die, die mir einfallen. Den Blick offenhalten, dass es auch anders geht, das ist das tägliche Training. Da hilft mir die Bibel. In meiner Ordensgemeinschaft feiern wir täglich die Messe und haben damit jeden Tag neue Bibeltexte. Das ist ein erstaunliches Buch. Obwohl ich die Texte schon oft gehört habe, findet sich jeden Tag wieder etwas. Das ist nicht abgehoben, sondern alltagstauglich. Jesus hat uns Menschen genau beobachtet.
Kontemplation
In der letzten Zeit haben Jüngere die Kontemplation neu entdeckt. Matthias Schmidt hat es beschrieben. Das hat auf mich schon immer anziehend gewirkt. Ich habe früher Zen-Kurse mitgemacht und versucht, das völlige Abschalten in der morgendlichen Meditation zu praktizieren. Als „Lerche“ bin ich am Morgen jedoch nicht kontemplativ, ich kann mich zwar einsammeln, mir klarwerden, für was ich heute in der Welt bin, aber dann läuft mein Prozessor. Vom jetzigen Papst hörte ich, dass er sich abends noch eine Stunde in die Kapelle setzt. Das habe ich jetzt auch für mich entdeckt. Statt Tagesschau setze ich mich draußen auf einen ruhigen Platz und denke gar nichts. Ich habe eine Bank am Neckarufer. Ich schau auf das Wasser, das wie die Zeit einfach fließt, die Vögel ziehen meinen Blick nach oben. Ich nehme Abschied vom Tag. Ich schaue auch nicht auf die Uhr. An manchen Tagen bin ich erstaunt, wie lange ich gesessen habe. Zurück auf meinem Zimmer fahre ich den Computer nicht mehr hoch. Mich zieht es bald ins Bett, damit ich früh wach bin und möglichst jeden Tag etwas durchdenke, indem ich zwei Seiten auf die Festplatte bringe - so wie diesen Text.
Link: Matthias Schmidt: Warum ich schweigend bete
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