Advent, das ist die Zeit, in der ich wie in meiner Kindheit alles um mich herum mit allen Sinnen wahrnehme. Ich höre Weihnachtsmusik, sitze mittlerweile selbst am Keyboard und spiele Advents- und Weihnachtslieder, meine Nichte auf meinem Schoß, wie sie mit dem Englisch einer Vierjährigen versucht „Jingle Bells“ zu singen.
Ich rieche Zimt und Gewürznelken, Kardamom, Orangen und Glühwein. Spätestens nach dem dritten Blech Keksen wissen auch meine Nachbarn, dass sie da ist, die Vorweihnachtszeit. Erst dann werden Kekse zu Plätzchen. Die Orangen, die vor einigen Monaten noch meinen Sommerdrink garnierten, erinnern mich jetzt daran, dass es Zeit wird, den Stiefel vor die Tür zu stellen.
Ich sehe, wie sich die Menschen der frühen Abenddämmerung widersetzen und der Dunkelheit mit Lichterketten und Kerzen trotzen.
Ich fühle die Wärme des Lichts, wenn ich jeden Sonntag eine weitere Kerze am Adventskranz anzünde. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie die Kerzen am Adventskranz es in meiner Kindheit geschafft haben, die Zeit zu stoppen. Denn ein Adventssonntag mit dem langsamen Herunterbrennen der Kerze erschien mir damals um so viel länger als jeder andere Tag der Woche.
Früher war alles besser
Und dann ist da noch der andere Advent. Der Advent, in dem viele mit Sorge auf den Gaszähler schauen, weil Heizen wieder teurer geworden ist. Bei dem das Türchen des Adventskalenders keine Schokolade bereithält, sondern einen neuen Inzidenzhöchstwert. Die Zeit, in der Weihnachts- und Nikolausfeiern abgesagt werden. Zusammensein geht wieder nur mit Abstand. Der Advent, der mir schon im September verkauft wird, wenn Lebkuchen und Spekulatius in die Supermärkte einziehen. Die Weihnachtsgeschenke hätte ich eigentlich schon im Oktober kaufen müssen, weil sie wegen Lieferengpässen womöglich gar nicht bis Weihnachten ankommen. Dieses mulmige Gefühl. Wenn ich eine weitere Kerze am Adventskranz anzünde, sagt diese mir doch, wie schnell die Zeit rennt, wie viel noch bis Weihnachten erledigt werden muss und dass schon wieder ein Jahr vorbei ist, ohne dass ich alle meine Ziele verwirklichen konnte. Das ist der Advent, den ich als Erwachsene erlebe, der mich runterzieht, meine Stimmung und Psyche vergiftet. Der mich aber gleichzeitig daran erinnert, wie viel schöner, leichter und gesünder es ist, die Dinge manchmal als Kind zu betrachten.
Auch in erzwungener Besinnlichkeit steckt Sinn
Ich muss mich manchmal dazu zwingen, mir in meinem stressigen Arbeitsalltag bewusst die Zeit für die Bräuche und Gewohnheiten aus meiner Kindheit zu nehmen. Plätzchen backen, auch wenn ich eigentlich noch Tausend andere Dinge zu erledigen hätte. Selber Musik machen, auch wenn ich nach der Arbeit eigentlich nur meine Ruhe haben möchte. Mich aktiv an das Gefühl der Vorfreude zu erinnern, die früher den ganzen Dezember angehalten hat, hilft mir, meine Prioritäten weniger auf die stressigen Dinge zu konzentrieren, sondern auf die Erfüllenden. Die Freude über einen vollen Stiefel am 6. Dezember, auch wenn ich heute genau weiß, wer ihn gefüllt hat. Die Freude, ein neues Türchen am Adventskalender öffnen zu dürfen. Die Vorfreude, endlich wieder den Christbaumschmuck vom Keller in den dritten Stock schleppen zu dürfen. Advent, das ist Wahrnehmen mit allen Sinnen, das ist Zusammensein und gemeinsam Singen.
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