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Putin, der Chaosbändiger, hinterlässt Chaos

Putin hat das Chaos der Jelzin-Ära beendet und gilt als Garant für geordnete Verhältnisse. Weil er seine Kontrolle über das Land perfektioniert hat, droht dem Land ein schlimmeres Chaos, denn alle Personen, die von Putin in ein Regierungsamt eingesetzt sind, mit ihm ihre Autorität verlieren. Die Perfektion der Kontrolle hat das System destabilisiert. Das Katholische System ist ähnlich, aber nicht so bedroht.

Nichts passiert in Russland ohne Putins Zustimmung. Kein Mächtiger überlebt, wenn er sich gegen ihn stellt. Genau diese Machtkonzentration führt in die Machtlosigkeit und den Zerfall des Staates. Ein Untergebener Putins kann eine Kommandozentrale der Armee besetzen und gerade noch abgehalten werden, die Hauptstadt unter seine Kontrolle zu bringen. Das zeigt, dass Putin nicht mehr durchgreifen kann. Damit sind auch die in ihrer Machtaustrübung bedroht, die der Präsident in Regierungsämter eingesetzt hat.

Der Präsident, der allein Macht zuteilen konnte

Putin hat ganz Russland auf seine Person hin ausgerichtet. Der Gouverneur einer Provinz ist von Putin eingesetzt und daher nur Ausführender von dessen Entscheidungen. Wenn auch die Bürgermeister nicht durch Wahlen ihre Autorität ausüben, sondern weil sie von dem einen Bestimmter legitimiert sind, dann kann er seit dem Putschversuch nicht mehr mit der Durchführung seiner Anweisungen rechnen. Das Chaos, was dann entsteht, haben die Russen unter Jelzin erlebt. Da konnte ein Streifenwagen anhalten, einen Fußgänger oder Autofahrer mit der Forderung konfrontieren, ihn mit 500 Rubel davon abzuhalten, festgenommen zu werden. Putin hat dieses Chaos beendet und damit seine Macht stabilisiert. Er wird von der Mehrheit der Russen als der gesehen, der das Chaos in Schach halten kann. Das Chaos wird in der russischen Geschichte deshalb mit Demokratie verbunden, weil nach dem Ende der Zarenherrschaft der Bürgerkrieg stand und die Jelzin-Ära den Russen gezeigt hat, dass das Land einen Chaos-Bändiger braucht. Für westliche Länder ist es schwer zu verstehen, warum die Russen die Sicherheit und nicht die Freiheit an die erste Stelle setzen. 

Korruption hat das System von innen her ausgehöhlt

Ein solches, auf eine starke Führung orientiertes Land, wird durch Korruption nicht von innen so bedroht wie eine Demokratie. Eigentlich war Putin ungefährdet. Erst die Idee, einen Krieg gegen 40 Millionen Ukrainer zu entfesseln, konnte das System infrage stellen. Entscheidend ist jedoch, dass Putins System die Industrie vernachlässigt hat. Der Mangel an Munition, um den es in dem Konflikt zwischen Prigoschin und der Militärführung geht, ist direkte Folge der Korruption
Putin hat nicht nur mit der Vergabe von Posten regiert, sondern auch, indem er die Wirtschaft, vor allem den Rohstoffexport, unter seinen Leuten aufgeteilt hat. Alle finanziellen Transaktionen wurden von ihm genehmigt. Eine englische Journalistin hat das auf 600 Seiten nachgezeichnet, s.u.
Eine Abhängigmachen über Geld begründet kein Vertrauen, vielmehr werden die Oligarchen alles daransetzen, ihre Milliarden in Sicherheit, also ins westlichen Bankensystem zu bringen. Das ist mit 800 Milliarden Dollar schon geschehen. Dieses Geld hätte in Russland investiert werden müssen. Dann bräuchte die Wagnergruppe nicht die Befehlszentrale der Ukrainefront besetzen, um die Zuteilung von Munition in die Hand zu bekommen. Denn der Konflikt zwischen Wagnergruppe und Armeeführung eskalierte, als diese die Zuteilung von Munition drosselte, um die Söldner unter ihre Kontrolle zu bringen. Derr Abfluss von Geldern hat eine weitere destabilisierende Konsequenz.

Russland ist durch seine Exporte arm geworden

Wenn russische Touristen auf den Skipisten der Alpen auftauchten, wenn Russen die Immobilienpreise in London in die Höhe treiben und sich Yachten an der Côte Azur leisten konnten, schien Russland ein reiches Land zu sein. Jedoch haben Putins Leute nicht in Russland investiert, mit seinem Bruttosozialprodukt rangiert das Land im Mittelfeld der EU-Länder. Putin kann auf Dauer der Wirtschaftskraft der NATO-Länder nicht standhalten, in deren Bankensystem seine Leute hunderte Milliarden eingespeist haben. Diese hunderte Milliarden kann er auch nicht ausgeben, um Chips, andere Digitaltechnik noch die Waffen zu kaufen, die seine rückständige Industrie nicht liefern kann. 

Menschen verschwinden – in Straflagern und in die NATO-Länder

Nur Vertrauen kann ein Land stabilisieren, wenn dessen staatlichen Strukturen zerfallen. Dieses ist durch die Willkür der russischen Justiz unterminiert. Gut ausgebildete junge Leute, die Entscheidendes für die Entwicklung des Landes beitragen könnten, sind durch Justiz an ihrem Einsatz für ihr Land gehindert oder arbeiten inzwischen in der digitalen Industrie und anderen Entwicklungsfeldern der Nato-Staaten. Es sind Hunderttausende, die Russland für seine Entwicklung dringend bräuchte.
Aber auch diejenigen, die vom System profitiert haben, dürften wenig zur Überwindung einer Krise beitragen, zumal sie ihr Geld im Westen angelegt haben anstatt ihr Land voranzubringen. Diese Kehrseite des Systems wirkt destabilisierend. Das Vertrauen ist auch dadurch unterminiert, dass nicht wenige der Reichen verschwunden sind. Wie soll das auf Verhinderung von Chaos ausgerichtete System weiterhin diese Aufgabe erfüllen, wenn der engste Kreis nicht durch Wohlwollen und Verantwortungsbereitschaft für das Land, sondern durch Geld und Einschüchterung dem alleinigen Machthaber folgt. Allerdings wird die Krise, in die Putin sein Land hineingeführt hat, zur Wahl des Kandidaten führen, der verspricht, das Chaos zu bändigen.

Russland hat wenige Ressourcen, um die Krise zu bewältigen

Es ist nicht zu erwarten, dass ein System, das durch sich verschärfende Kontrolle schwindendes Vertrauen ersetzt und damit Verantwortungsbereitschaft eher zum Weg ins Gefängnis bahnt, diese die Krise, die es selber produziert hat, sich aus dem drohenden Chaos herauswinden kann. Auch wenn die Mehrheit der Russen weiter der Propaganda folgt, dass die inneren Schwierigkeiten durch Agenten des Feindes herbeigeführt wurden, wird das nicht nur zum Autoritätsverfall des Staatspräsidenten, führen, sondern all derer, die er eingesetzt hat. Zu allem trägt der Westen bei:

Der Westen hat keine Strategie für Russland entwickelt

Putin hat einen großen Teil des Erlöses russischer Rohstoffexporte im Westen angelegt. Die Banken, nicht zuletzt die Deutsche Bank, haben dieses Geld angenommen und für Putin und seine Oligarchen angelegt. Das ermöglicht zwar den Regierungen der NATO, den Zugriff auf diese Milliarden zu blockieren. Geld, das man nicht ausgeben kann, ist nichts mehr wert. Zugleich hat der Westen damit ein politisches System gestützt, das durch Geldzuwendung funktioniert. Dass ein solches System, das Verantwortungsbewusstsein nicht fördert, sondern bestraft, gefährlich werden kann, haben die Thinktanks, die Politologen, die Diplomaten und dann auch die Politiker nicht ernst genommen. Die Ostseepipeline zeigt, dass sogar die SPD auf der kapitalistischen Geige mitgespielt hat. Anders als die russischen Medien, aber im Effekt in gleicher Weise hat die westliche Berichterstattung das System stabilisiert. Denn Putin brauchte nur die Tagesschau und die heute-Nachrichten zu verfolgen, um sich in seiner Rolle als alleiniger Bestimmer bestätigt zu fühlen, Russland war und bleibt in der westlichen Berichterstattung das Putin-Land. Wir müssen uns aber um die Russen bemühen, so wie die USA sich um die Deutschen bemüht haben, um sie von der Demokratie zu überzeugen. Das ist nicht in allem glücklich verlaufen, aber ohne den Rückhalt der USA hätte Adenauer Deutschland nicht in die westliche Staatengemeinschaft eingliedern können. Muss die USA Vergleichbares für die russische Bevölkerung jetzt auch übernehmen oder ist Deutschland nicht mal dran, nicht bloß Gas von Russland zu beziehen, sondern sich für die Menschen zu interessieren. Interesse haben wir schon nicht für die Ukraine aufgebracht. Verfolgt man die Berichterstattung der Medien, dann kleben sie auch jetzt an den Ereignissen und alles wird daraufhin befragt, was es mit Putin macht. Kein Wunder, dass die russischen Bürger keine Hinwendung zum Westen wollen, wenn sie von deren Medien schon wie Menschen zweiter Klasse dargestellt werden. Wer nur von dem einen Russen redet, degradiert die anderen zu Klonen dieses Einen, der als Chaosbändiger groß wurde und mit seinem Kontrollwahn das nächste Chaos vorbereit hat. Unsere Medienwelt wird von US-Filme und den Unterhaltungskünstlern dieses Landes ausstaffiert. Wann lohnt es sich für das Kino oder das Fernsehen, russische Filme zu zeigen? Das werden sie machen, wenn wir die ansehen. Deutschland klebt mit in seiner Berichterstattung jedoch weiter an den Tagesereignissen, zählt lieber Panzer als sich mit den Vorstellungen der Russen über ihr Land zu beschäftigen. Diese Beschäftigung mit Russland wird den Menschen nicht helfen, sich für den Vorrang von Rechtsstaatlichkeit zu entscheiden und die Überwindung der Korruption als Voraussetzung für eine sich entwickelnde Wirtschaft zu erkennen. Wir müssen uns um jeden Russen einzeln bemühen.

Zur Katholischen Kirche

Es gibt eine Parallele, die das katholische System mit dem russischen und auch dem französischen hat: Die entscheidenden Posten werden von der Zentrale besetzt, also die Bischofsstühle wie die Präfekten der französischen Departements. Im Vergleich zu den evangelischen Kirchen macht das eine regionale Einheit der Katholischen Kirche abhängig vom jeweiligen Papst. Da der Papst die Zusammensetzung des Kardinalskollegiums bestimmt, das seinen Nachfolger wählt, bleibt er auch über seinen Tod hinaus einflussreich. Es gibt jedoch wichtige Unterschiede, die das katholische System gegen eine Strangulierung durch die Kontrolle der Zentrale etwas besser schützt, aber nicht ganz. Unter dem frommem Pius X. baute der Vatikan ein Spitzelsystem auf, das die Bischöfe in ihrer Rechtgläubigkeit und Vatikantreue überwachte. So wurde der Trierer Bischof von einer Ordensoberin „beschattet“. Der Nachfolger dieses Papstes konnte die Überwachung einstellen, ohne dass seine Stellung dadurch gefährdet wurde. Dafür können folgende Punkte benannt werden:
a. Die Bischöfe, die der Papst ernennt, gewinnen ihre Autorität nicht vom Papst, sondern durch die Weihe. Faktisch kann der Papst, anders als Putin, auch die Bischöfe, die er eingesetzt hat, nicht einfach absetzen noch durch Mord aus dem Weg räumen. Das würde sofort die Stellung des Kirchenoberhaupts unterminieren, wenn die Bischöfe Angst haben, bei Fehlverhalten gleich abgesetzt oder umgebracht zu werden.
b.  Der Vatikan kann nicht durch Geld Einfluss nehmen. Mit 300 Millionen Jahresetat ist er auf die Bischöfe angewiesen, dass diese etwas abgeben.

Der deutsche Katholizismus positioniert sich gegen den Vatikan und setzt sich damit n eine Verliererposition. Diese Kirche ist in Rom kaum noch durch überzeugende Persönlichkeiten im Vatikan vertreten. Die anderen Länder interessieren sich nur noch für das Geld der deutschen Kirche. Auch der geistige Einfluss liegt beim Vatikan. Die Dokumente des Synodalen Weges werden nicht gelesen, die des Papstes dagegen von der Weltöffentlichkeit positiv zur Kenntnis genommen. Die Wanderer auf dem Synodalen Weg sind dem Irrtum verfallen, dass ihre Kirche, die über viel Geld verfügt, durch Neuverteilung der Entscheidungsbefugnisse ihre Lebenskraft zurückgewinnen kann. Als Kultureinrichtung müsste sie Macht über Gedanken ausüben. Leere Kirchen am Sonntagmorgen zeigen, dass mit Geld und den damit finanzierten Planstellen keine Macht mehr verbunden ist.

Buchempfehlung: „Putins Netz“ ist das Buch, mit dem das System Putin verstehbar wird. Es zeichnet den Berufsweg des Präsidenten vor allem in seiner finanziellen Expansion nach, wie einfach es war, durch Steuerforderungen Chodorkowski zu enteignen, wie die lukrativen russischen Rohstofflieferanten langsam vom Kreml übernommen und zu Geldquellen des KGB und Putins Oligarchen wurden, wie die russische Mafia mitspielen konnte, wie die Deutsche Bank mittels Geldwäsche Milliardenbeträge in das westliche Bankensystem schleuste, Trump seit den 90iger Jahren mit Putins Leuten kooperierte und 2004 vor der Insolvenz gerettet wurde. Daran war auch die Deutsche Bank mit 4 Milliarden, wohl russischem Geld, beteiligt. Gerade an dieser Vernetzung zeigt sich, dass Putins System sehr viel mehr auf Geld setzt und damit für den Kapitalismus kompatibler wurde als das Sowjetsystem. Leider wird Gerhard Schröder zu wenig gewürdigt. Wer das Buch gelesen hat, wundert sich darüber, dass deutsche Journalisten Putins Psyche zu verstehen suchen, um den Ukrainekrieg zu erklären. Es wäre sehr viel erhellender, die Machtstrukturen offenzulegen. Dafür muss man sich bei Belton allerdings durch 600 Seiten durcharbeiten:

Chatherine Belton, Putins Netz, Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste, Harper Collins 2020 deutsch beim gleichen Verlag 2022.


Kategorie: Analysiert

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