Dass Mohammed nicht der einzige Autor des Korans ist, die arabische Schrift erst entwickelt wurde und dem Buch eine längere mündliche Tradition vorausgeht, ist schon länger Konsens. Ob der Koran bereits unter dem Kalifen Uthman (644-656) zusammengestellt wurde oder erst unter ‘Abd al-Malik seine Form gefunden hat, bleibt nach heutigem Wissensstand offen. Da der Koran anfangs in 7 Fassungen überliefert wurde und es anfangs nur für die Konsonanten Schriftzeichen gab, führte das zu nicht wenigen schwer verständlichen Passagen in der heute von der Kairoer Azhar-Universität herausgegebenen Fassung. Diese Sicht des Islam ermöglicht eine viel größere Breite des Dialogs und kann die große Fremdheit verringern, die bis heute das Verhältnis zwischen Orient und Okzident belastet. Wenn die christlichen Wurzeln ernst genommen werden, hätte der Islam ganz andere Möglichkeiten, seine theologische Basis zu verbreitern und die Christen könnten Seiten ihrer Religion neu entdecken, die in Persien und auf der arabischen Halbinsel gelebt wurden.
‘Abd al-Malik einigt die arabischen Stämme - mithilfe des Islams
Kurt Bangert hat auf 940 Seiten den heutigen Stand der Forschung zusammengestellt, die fast nur auf Beiträge westlicher Orientalisten zurückgreifen kann. "Muhammad, eine historisch-kritische Studie zur Entstehung des Islams und seines Propheten“ kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass der Koran als Text und die Biografie des Propheten erst unter dem 9. Kalifen ‘Abd al-Malik 685-705 ihre verbindliche Form gefunden haben. Damit ergibt sich eine völlig andere Genese des Islams als sie bis heute von den muslimischen Theologen tradiert wird. Die sorgfältig erarbeitete Übersicht Bangerts ist 2016 erschienen. Erstaunlich ist, dass es keine Reaktionen der muslimischen Gelehrtenwelt gibt. Das Buch ist deshalb gut zu lesen, weil der Autor seine Gewährsleute nicht in den Anmerkungen zitiert, sondern Passagen aus deren Veröffentlichungen organisch in seinen Text einbaut.
Hier soll nur ein Faden der Forschungsergebnisse aufgegriffen werden, der für das Christentum und den Dialog mit dem Islam eine umstürzende Bedeutung hat: Mit dem Gesandten ist in vielen Suren und wie auch im Jerusalemer Felsendom nicht Mohammed angesprochen, sondern Jesus. Der Islam hat als Vorläufer christliche Gruppen, die nicht den ersten vier Konzilien folgten und stärker am Judentum festhielten. Diese siedelten sich außerhalb der Grenzen des byzantinischen Reiches an. Das wird u.a. an wichtigen Begriffen des Korantextes deutlich, die nicht aus dem Arabischen stammen. So leitet sich Allah wohl vom hebräischen Elohim, neben Jahwe ein weiterer Name für Gott, her. Das Wort "Koran" kommt wohl vom syrischen Wort für Lesen, s. Bangert S. 225f. Islam steht für das lateinische Concordia, eine Überwindung der Lehrstreitigkeiten, um den inneren Frieden zu stärken. Der strikte Monotheismus des Islam ist in diesen Gruppen vorbereitet und auch Reaktion auf die jahrhundertelangen Streitigkeiten, wie Jesus als Messias und Gottessohn zu verstehen ist.
Jesus wird an wichtigen Stellen angesprochen
Geht man davon aus, dass der Koran aus verschiedenen mündlichen Traditionen verschriftlich worden ist und erst mit dieser Verschriftlichung die arabische Hochsprache geformt wurde, dann kann an mehreren Stellen des Koran gefragt werden, ob nicht Jesus als der Gesandte identifiziert werden muss. Dass das Wort "Gesandter" nicht unbedingt Mohammed bezeichnet, diskutiert Bangert im Kap. VIII. detailliert. Hier seien nur Verse aus der 3. Sure, die die meisten Aussagen über Jesus enthält, zitiert:
Damals sprachen die Engel: "O Maria, siehe, Allah verkündet dir ein Wort von Ihm; sein Name ist der Messias, Jesus, der Sohn der Maria, angesehen im Diesseits und im Jenseits, und einer von denen, die (Allah) nahestehen (Vers 45)
Sie sagte: "Mein Herr, soll mir ein Sohn (geboren) werden, wo mich doch kein Mann berührte?" Er sprach: "Allah schafft ebenso, was Er will; wenn Er etwas beschlossen hat, spricht Er nur zu ihm: »Sei!« und es ist." (47)
Und Er wird ihn das Buch lehren und die Weisheit und die Thora und das Evangelium (48)
und wird ihn entsenden zu den Kindern Israels. (Sprechen wird er:) "Seht, ich bin zu euch mit einem Zeichen von eurem Herrn gekommen. …. ich heile den Blindgeborenen und den Aussätzigen und mache die Toten mit Allahs Erlaubnis lebendig, und ich verkünde euch, was ihr esset und was ihr in euren Häusern speichert. (49)
Und als ein Bestätiger der Thora, die vor mir da war, und um euch einen Teil von dem zu erlauben, was euch verboten war, bin ich zu euch gekommen mit einem Zeichen von eurem Herrn. So fürchtet Allah und gehorcht mir ; (50)
wahrlich, Allah ist mein Herr und euer Herr, darum dienet Ihm. Dies ist ein gerader Weg." (51)
Die Sure schildert, wie Jesus auf Ablehnung stieß und bleibt damit im Kontext des Volkes der Juden, von den Arabern ist nicht die Rede. Der Vers 51 wird Jesus in den Mundgelegt, denn in Vers 84 werden Propheten aufgezählt, als letzter Jesus, „‘Isa“, nicht aber Muhammad:
Sag: Wir glauben an Allah und (an das,) was auf uns und was auf Ibrahim, Isma´il, Ishaq, Ya´qub und die Stämme (als Offenbarung) herabgesandt wurde und was Musa, ʿIsa und den Propheten von ihrem Herrn gegeben wurde. Wir machen keinen Unterschied bei jemandem von Ihnen, und wir sind Ihm ergeben.
In Vers 144 wird erst Muhammad eingeführt. Diese lange Sure wird meist so interpretiert, dass Muhammad in diesem Text Aussagen über Jesus macht. Sie scheint aber aus einem christlichen Kontext zu stammen, in den erst gegen Ende Muhammad als Gesandter eingeführt wird. Bangert führt noch viele andere Stellen im Koran und aus anderen Überlieferungen an, die Muhammad Handlungen und Worte Jesu zuschreiben und ihn so Jesus nachbilden, so dass diese Texte von Jesus und nicht vom muslimischen Propheten sprechen.
Das erste repräsentative Bauwerk des Islams steht in Jerusalem
Die jüdisch-christlichen Wurzeln des Koran zeigt der Felsendom, der nicht in Mekka, sondern in Jerusalem auf dem Felsen errichtet wurde, der zur Zeit der Entstehung des Islams als Geburtsort Adams galt, an dem Abel und Noah opferten und zu dem Abraham seinen Sohn Isaak brachte, auf dem Jesus verhört und von dem er in den Himmel entrückt wurde. Muhammad soll von dort auf dem geflügelten Pferd geritten sein. Der vom Kalifen al-Malik erbaute Felsendom auf Jerusalems Tempelberg weist mit seiner längeren Inschrift auf Jesus hin: „Denn Jesus Christus, Sohn der Maria, ist der Gesandte Gottes und sein Logos.“ Zwei Abschnitte weiter wird gebetet: „Herrgott segne deinen Gesandten und Knecht Jesus, Sohn der Maria!“
Die Wortfolge MHMD im 2. Abschnitt der Inschrift deutet auf Muhammad hin, ist aber deshalb eher mit „als zu loben“ zu übersetzen, weil mit dem „Knecht Gottes und sein Gesandter“ Jesus gemeint sein müsste. Auch wird in den oben kopierten Versen, die erst nach diesen vier Konsonanten folgen, Muhammad nicht erwähnt. Der Ort, der Jerusalemer Tempelberg spricht auch für die Deutung, dass Jesus hier angesprochen wird. Weiter wurde die die Gebetsrichtung erst später von Jerusalem auf Mekka hingelenkt.
Warum ist der Islam anders entstanden als die Muslime es annehmen:
Der von Bangert detailliert referierte Forschungsstand und damit die Hauptfrage des Buches "Wer war Muhammad?" lässt sich weder mit den Mitteln der historischen Forschung noch mit literarischen Analysen beantworten. Die Hadithe, Berichte über und Aussagen von Muhammad, auf die sich die erste Biographie stützt, sind legendarisch, d.h. erst Jahrzehnte nach seinem Tod in frommer Absicht erfunden worden. Wegen der großen Zahl dieser Hadithe mussten muslimische Gelehrte versuchen, die echten von den unechten zu unterscheiden. Wenn im Koran vom Gesandten die Rede ist, ist meist nicht Muhammad gemeint.
Historisch als institutionelle Glaubensgemeinschaft wird der Islam mit dem Kalifen al-Malik geformt, der ein arabisches Staatswesen mit Arabisch als Verwaltungssprache, einem einheitlichen Steuersystem gebaut hat und den Koran, als Buch dem Judentum und Christentum ebenbürtig, eingeführt hat. Die Zusammenstellung der Suren wurde wohl von dem irakischen Provinzgouverneur al-Hadschadsch angelegt und an die anderen militärischen Zentren verschickt.
Christliche Gruppen, die am Judentum festhielten
Der christliche Wurzelgrund des Islam wird allerdings auch nicht deutlich fassbar. Zwar hat Johannes von Damaskus den Islam noch 100 Jahre nach dem Tod Muhammads 632 als christliche Sekte wahrgenommen. Es sind weiter die nach Arabien ausgewichenen christlichen Gruppen, die die ersten 4 Konzilien nicht anerkannten und daher aus der griechisch sprechenden Großkirche herausgedrängt wurden. Zu ihnen gehörten die Ebioniten, die die Gottheit Jesu wie auch Paulus ablehnten, weil letzterer die jüdischen Ritualgesetze außer Kraft gesetzt hatte. Die Nestorianer fanden im Persischen Reich Zuflucht. Weiter gab es eine Gruppe, die Abraham verehrte. Wie die religiöse Landkarte außerhalb des Byzantinischen Reiches im 6. Jahrhundert aussah, ist nur vage zu erschließen. Bestimmend war eine dreißigjährige Auseinandersetzung zwischen Byzanz und dem persischen Reich, welche beide in eine Schwächephase führte, so dass die arabischen Stämme dieses Machtvakuum besetzen konnten. Diese waren unter sich bis zur Einigung durch den Kalifen al-Malik in ständige Machtkämpfe verwickelt. Für diesen war die Religion unentbehrlich, um seiner Staatsgründung Stabilität zu verleihen. Welche Bedeutung der arabische Prophet bis zu dieser historisch greifbaren Institutionalisierung der Religion hat, ist nach dem Stand der Forschung kaum auszumachen. Dass der neue Staat eine eigene Religion braucht, um nicht Teil des griechisch geprägten christlichen noch des zoroastrischen persischen Reiches werden wollte, erscheint plausibel. Denn die verschiedenen christlichen wie die jüdischen Gruppen garantierten wegen ihrer theologischen Differenzen keine Stabilität. Ein allgemein gehaltener Monotheismus konnte eher die geistige Basis bieten. Einen solchen Konsens, mit dem man sich der Klärung der jahrhundertelangen Auseinandersetzungen um die Person Jesu entledigte, ist wohl die Ausgangssituation für die Entstehung des Islams. Das zeigt sich auch an der Geschichte des Islams. Er ist von innen heraus nicht durch theologische Differenzen gefährdet, sondern durch die Machtkämpfe.
Die Bibel erklärt den Koran, nicht umgekehrt
Die intensive Erforschung der Genese des Islam durch westliche Orientalistik stellt das Bild, das der Islam von seiner Entstehung gezeichnet hat, in den meisten Punkten infrage. Da in der Konsolidierungsphase des Kalifats viele Dokumente vernichtet wurden, um Eindeutigkeit herzustellen, ist die Quellenlage sehr begrenzt, um die Fragen zu klären, die der Überblick von Bangert eröffnet. Für die christliche Theologie und den Dialog mit dem Islam reichen die Ergebnisse aus, um einmal die Theologie auf ein neues Gebiet zu lenken und mit einem anderen Verständnis in den Dialog zu gehen.
Das Verhältnis, zwischen Muslimen einerseits Christen und Juden andererseits wird vom Koran so definiert, dass das Christentum sich dem Wahrheitsanspruch des Korans unterwerfen muss und von diesem beurteilt werden kann. Wenn aber der Wurzelgrund des Korans durch die Differenzen zwischen christlichen Gruppen vorgegeben war, dann muss der Koran vom Christentum her verstanden werden, zumal er sich direkt auf Jesus als Gesandten bezieht. Dialog würde dann heißen, dass christliche Theologen den muslimischen Kollegen die Bedeutung von rätselhaften Aussagen des Korans erklären. Bangert liefert dazu mehrere Beispiele.
Theologischer Dauerstreit entwertet die Person Jesu
Die christlichen Konfessionen können am arabischen Kulturraum ablesen, was das Ergebnis nicht beigelegter Auslegungsfragen ist:
Die theologischen Differenzen, die nicht geklärt werden, sollen eigentlich das Profil der jeweiligen Gruppe schärfen. Die Abgrenzung gegen die anderen reitet auf der Attitude: Unser Verständnis der Person Jesu ist nicht defizitär, sondern ist zutreffend. Solange man im Streit liegt, kann jeder darauf pochen, im Besitz der Wahrheit zu sein. Wenn die Gläubigen und die Politik des Streites überdrüssig geworden sind, einigt man sich auf die kleinste gemeinsame Formel und verwischt damit die Konturen des Christlichen, um bei einem allgemeinen Monotheismus zu landen. Das ist nach den Konfessionskriegen bereits zu beobachten gewesen. Die seit Jahrhunderten gepflegten Gegensätze zwischen Orthodoxie und lateinischem Christentum und dann noch innerhalb der lateinischen Variante haben das gleiche Ergebnis wie auf der arabischen Halbinsel: Es kommt zu einer eher allgemeinen Vorstellung von Gott, die die Bedeutung der Person Jesu an den Rand drängt. Er wird zum Propheten.
Das Religionsverständnis des Orients aufnehmen
Während das am Judentum festhaltende Christentum weitgehend untergegangen bzw. im Islam aufgegangen ist, trägt der Islam deren Erbe weiter. Denn das östliche Christentum ist weniger an den Glaubensinhalten orientiert als an der den Alltag prägenden rituellen Praxis, so wie sie für das Judentum bestimmend ist.
Bangert formuliert die tiefgehende Differenz im Verständnis der Religion zwischen West und Ost so: „Während das europäische Christentum in vieler Hinsicht eine philosophisch-spekulative Theologie entwickelte (wer und wie ist Gott?), suchte das orientalische Christentum eher den jüdischen und judeo-christlichen Gedanken zu bewahren, wonach der Glaube nicht in erster Linie ein „Fürwahrhalten“, sondern ein „Mit-Gott-Wandeln“, als eine Glaubenspraxis ist.“ S.752
So bezieht der Islam seine religiöse Kraft weniger aus theologischen Überzeugungen, sondern aus den wohl aus der persisch-zoroastrischen Kultur übernommen fünf Gebetsaufrufen, der Wallfahrt nach Mekka und den Reinigungsriten. Der Katholizismus war früher stärker durch vergleichbare Riten bestimmt. Die christliche Gebetspraxis kennt die drei Gebetszeiten am Morgen, am Mittag, am Abend, zu denen die Glocken geläutet werden. Der hl. Franziskus hat dafür den "Engel des Herrn" eingeführt, die Erinnerung an dieVerkündigung und die Geburt des Messias.
Zwei Fragen an die Forschung: Religiöse Praxis und der Islam als Religion
- Wie kommt es zu der Sprechsituation des Koran. Der Autor ist nicht wie Moses oder Lukas ein Mensch, sondern Allah selbst. Damit beansprucht der Koran für sich höchste Autorität. Woher leitet sich dieses Autoritätsverständnis her? Hier ist das bestimmend Neue zu lokalisieren, das den Koran zu einer Autorität hat werden lassen, die unangreifbar ist. Für die Muslime ist der Koran aus sich heraus Angesprochen werden durch Gott.
- Wenn der Islam die Gründung eines Kalifen ist, wie ist es trotz dieser Funktionalisierung für den Machterhalt eines Herrschers zu einer Religion geworden, die die Muslime in eine Beziehung zu Gott führt?
Links:
Ralph Ghadban weist ebenfalls auf die christlichen Wurzeln des Islams hin. Er zeigt weiter, wie durch den Arabischen Frühling eine Auseinandersetzung um den Koran und die Hadithe sich Bahn gebrochen hat. Ralph Ghadban, Allahs mutige Kritiker, Herder 2021
Die Studie über Jesus im Koran von Mouhanad Khorschide und Klaus v.Stosch, Der andere Prophet – Jesus im Koran müsste entsprechend dem Forschungsstand zur Entstehung des Korans gänzlich umgeschrieben werden. Nicht erklärt der Koran Jesus, sondern Jesus ist der Gesandte, Muhammad kommt unter den Aufzählungen der Propheten gar nicht vor.
Bestätigt wird die These von Mouhanad Khorchide, dass der Islam von den Kalifen für ihren Machterhalt missbraucht wurde. Der Autor setzt allerdings voraus, dass es den Koran vor den Kalifen bereits gab. Vieles deutet darauf hin, dass die Kalifen Uthman oder erst al-Malik dafür sorgten, dass aus mündlicher Überlieferung ein Text entstand: Zur Besprechung von Gottes falsche Anwälte – der Verrat am Islam
Kurt Bangert, Muhammad, eine historisch-kritische Studie zur Entstehung des Islams und seines Propheten, Springer-Fachmedien, Wiesbaden 1916, 940 S.
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