Die Naturalisten erklären den Menschen nur halb, ihre Brücke führt nicht ans Ufer der Freiheit. Foto: hinsehen.net E.B.

Die Naturalisten schädigen die Demokratie

Es sind Philosophen, keine seriösen Naturwissenschaftler, die Philosophie auf Ergebnissen der Naturwissenschaften aufbauen wollen. Das genügt für die Demokratie nicht. Demokratie heißt, freiwillig auf Macht verzichten und sogar abzutreten. Das ist gegen die „Natur“, denn "von Natur aus" werden gewählte Präsidenten zu Diktatoren, ob in Russland, der Türkei, in China und in vielen anderen Staaten.

Völker wurden meist von nicht von einer Gruppe regiert, sondern von einem Herrscher. In Rom gab es einen Senat, der zwei Konsuln einsetzte. Cäsar machte sich zum Alleinherrscher, dann gab es nur noch Kaiser. Auch im 21. Jahrhundert gibt es die Ablösung einer Versammlung durch einen Einzelherrscher. Es braucht jeweils Denker, die eine andere Staatsform konzipieren. Die heutigen Republiken sind durch die Philosophen der Aufklärung entwickelt worden. Deshalb steckt in der Genetik der Demokratie Philosophie.
Demokratie ist die Staatsform, in der die Freiheit der Bürger an oberster Stelle steht. Wenn die Naturalisten die richtige Konzeption von Philosophie verfolgen, müsste die Staatsform, die menschliche Freiheit am meisten freisetzt, aus Physik u.a. anderen Naturwissenschaften ihre Gestaltungsideen beziehen? Aber da geraten die Naturalisten sogleich in einen inneren Widerspruch. Denn die Naturwissenschaften kennen nur Gesetze, die einfach wirken und keine Freiheitsdimension, die die Naturvorgänge steuert. Wenn sie z.B. nicht aus den Gesetzen der Physik erklären können, warum ein Land gegen ein anderes Krieg führt, sprechen sie allenfalls von Zufall. Der ist aber nicht Freiheit, also bewusste Entscheidung. Wenn also die Naturvorgänge die Basis der Freiheit wären, dann müsste die Freiheit von den Naturgesetzen gesteuert werden. Die führen bei Revierkämpfen von Trieren aber nicht zu einem Dauerkrieg. In Wolfsrudeln hört ein Kampf auf, wenn eines der männlichen Tiere dem anderen seine Halsschlagader zeigt. Diese Beißhemmung gibt es bei Menschen nicht. Der Mensch braucht dafür die Vernunft. Deshalb haben Kant und andere Philosophen der Aufklärung zum Gebrauch der Vernunft motiviert, nicht zuletzt, um Kriege als sinnlos zu erkennen. .

Aber wir sind naturhaft aus der Evolution hervorgegangen

Wenn Freiheit aus den Naturvorgängen erklärbar wäre, dann würde sie naturhaft wirken, also von den Gehirnzellen gesteuert, so wie Kohle einfach verbrennt, ohne mit Argumenten dazu gebracht zu werden und wie der Motor nicht darüber nachdenken muss, ob er beschleunigen soll, wenn der Fahrer auf das Gaspedal tritt. Wenn aber die Freiheit aus dem Naturvorgang „Evolution“ entstanden ist, müsste sie dann nicht wie die Kohle oder ein Motor direkt einem Naturgesetz folgen? Wenn die Naturwissenschaftler diese Gesetze finden würden, dann könnte man auch den Widerstand gegen ökologische Maßnahmen einfach ausräumen und sogar die Kriegspartien mittels Physik, Chemie oder durch ein Hormon dazu bringen, mit dem Töten aufzuhören. Aber der drohende Klimakollaps oder der gerade ausgebrochene Krieg sind keine „Naturereignisse“, sondern durch Entscheidungen von Menschen ausgelöst. Sie können eben nicht naturhaft erklärt werden, so wie das Verschwinden der Saurier auf den Einschlag eines großen Meteoriten zurückgeführt wird.  Es sind Entscheidungen des Menschen, die gegen die Natur gerichtet sind, denn vom Klimakollaps ist die ganze Biosphäre betroffen und Kriege zerstören ganze Landstriche. Allerdings wirkt die Freiheit innerhalb der Natur:

Der Mensch ist zum großen Teil ein Naturwesen

Aus primitiven Einzellern entwickeln sich Mehrzeller, schließlich Säugetiere und dann noch Menschenaffen, von denen sich eine Art, der Mensch, noch einmal weiterentwickelt hat. Nur 10% der Gene, die den Menschen vom Schimpansen unterscheiden, können dafür verantwortlich sein. Das ist "von selbst gegangen", denn auch ohne Eingriffe von außen ist aus den Menschenaffen der Mensch hervorgegangen, der sich inzwischen die ganze Welt unterworfen hat. Die Sprache könnte sich parallel dazu entwickelt haben, weil die Laute, mit denen Schimpansen-Männchen und bei den Bonobos Frauen ihre Horde lenken, nicht mehr ausreichten, um Gruppen über 50 Angehörige zu leiten. So lautet eine Hypothese, wie sich aus der Lautverständigung des Tierreiches die Sprache entwickelt haben könnte. Das Sprachvermögen hat im Gehirn ein Areal, so dass es keine Schule braucht, um sich diese Fähigkeit anzueignen. Diese wird erst notwendig, wenn das Schreiben gelernt werden soll, weil die Fähigkeit dazu im Gehirn nicht angelegt ist. Ohne Schrift gibt es nur ansatzweise Philosophie.

Die Sprache ist das Objekt der Philosophie

Mit der Sprache entwickelte sich auch der Gebrauch der Vernunft, deren Produkte Bibliotheken und das World Wide Web füllen. Dafür müsste die Schrift entwickelt werden, die unentbehrlich ist, um durch Dekrete einen Staat zu lenken, Gesetze zu formulieren und durchzusetzen. Auch Verträge sind in Schriftform besser zu handhaben, als wenn Stammesangehörige, deren Gedächtnis trainiert wurde, in ihrem Kopf die Vereinbarung wortgetreu speichern. Der Schriftgebrauch ermöglichte auch die effektivere Weitergabe von Wissen - nicht nur über die Naturvorgänge, sondern auch die Geschichte der eigenen Gruppe und dann des eigenen Volkes. Es gibt also einen Übergang von der Natur in eigenes Denken, das die Sprache nicht zuletzt deshalb braucht, um Gedankengänge zu entwickeln. Dieser kurze Blick auf die Evolution zeigt, wofür die Philosophie da ist und was ihr Untersuchungsobjekt ist. Wie die Physik die Elementarteilchen, die Energiefelder, die Atome zum Thema hat, so die Philosophie die Sprache und das, was mit der Sprache gedacht werden kann. Aber auch die Philosophie vollzieht sich in der Natur:

Es ist sind Neuronen, die sprachfähig machen

Die Vernunft ist auch eine Eigenschaft der Materie, denn sie bedient sich der Gehirnzellen, vor allem in den beiden Hälften des Vorderhirns. Diese Fähigkeit zu erforschen, ist das Feld der Philosophie. Das Instrument dafür ist nicht der Teilchenbeschleuniger, sondern das Denken selbst. Die den Naturgesetzen vergleichbaren Regeln für das Denken sind in der Logik vorgegeben. Diese gelten aber nicht nur für diesen Kosmos, sondern für jede mögliche Welt. Damit führt die Philosophie über dieses Weltall hinaus. Deshalb kastrieren die Naturalisten die Philosophie, indem sie die Philosophie auf die Gesetzmäßigkeiten einengen, die die aus Atomen, Photonen u.a. Elementarteilchen bestehende Materie lenken. Sprache hat andere Regeln, die in Grammatikbüchern dargelegt wird, als das, was in Physik- und Chemiebüchern steht. Diese Regeln lassen sich auch nicht aus der Physik oder Chemie ableiten, sondern aus der Fähigkeit der Sprache, etwas über diese Naturgesetze zu sagen oder diese in der Physik durch mathematische Gleichungen darzustellen. Über die Beschreibung der Natur hinaus gibt es „naturhaft“ im Menschen den Wunsch, etwas über den Ursprung dieser Welt und damit über die eigene Herkunft zu erfahren. Das gehört inzwischen auch zum Forschungsgebiet der Physik, die feststellen musste, dass es neben der sichtbaren Welt eine noch größere, uns nicht sichtbar werdende gibt, die Dunkle Materie wie auch die Dunkle Energie. Die Physik reicht jedoch nur bis zum Urknall, die Philosophie kann über den Urknall hinaus fragen, was „Wirklichkeit“ ist und warum es überhaupt etwas gibt. Diese Felder der Philosophie werden von den Naturalisten nicht mehr beackert. Damit schließen sich diese Philosophen von der Universität aus, die ja keine Frage ausschließen soll. Denn zu behaupten, es gäbe kein "über die Physik hinaus", also keine Meta-Physik, ist schon dadurch widerlegt, dass die Logik nicht ein Hirngespinst ist, sondern sich täglich verifizieren lässt, so wie die Newtonschein Gesetze oder die Relativitätstheorie nicht bloße Theorien sind, sondern sich empirisch bestätigen. Wenn Mathematik als Teil der Logik verstanden wird, dann werden die Naturvorgänge, vor allem der Physik, durch mathematische Gleichungen, also mit einem Regelsystem beschrieben, das nicht nur für diese Welt funktioniert. Damit stellt sich die Frage, ob der Mensch ein "Über diese Welt Hinaus" braucht, um sein Leben zu gestalten. Die Antwort liegt in der Freiheit. Da diese Fähigkeit erst einmal leer ist, muss sie inhaltlich ausgestattet werden. Die Naturalisten sagen, dass sie dazu alles in den Naturwissenschaften finden. Stellen wir diese Behauptung mit der Frage auf die Probe, ob die Demokratie aus Naturvorgängen entstanden sein kann.

Demokratie kommt nicht einfach aus der Evolution

Demokratie musste errungen werden und ist immer wieder gefährdet, wenn das Naturhafte sich durchsetzt. Naturhaft ist die Tendenz der Mächtigen, ihre Macht zu vergrößern und, um ihre Stellung zu sichern, Konkurrenten zu entmachten. Das lässt sich in vielen Ländern aktuell beobachten. Eigentlich müssten die Naturalisten diese Vorgänge begleiten, entsprechen diese doch der Natur, die in Tierhorden auch jeweils einen oder eine Mächtige installiert. Die Errichtung und der Erhalt demokratische Abläufe geht dagegen nur, wenn Machthaber Macht abgeben müssen. Die Regel, die das sichert, ist die Gewaltenteilung, dass der Regierungschef sich Entscheidungen des höchsten Gerichts unterwerfen muss. Nicht nur seine Finanzmittel werden vom Parlament bewilligt, sondern es setzt ihn ein und kann ihn auch abberufen.
Das Parlament ist deshalb der entscheidende Funktionsträger der Demokratie, weil es für die Freiheit der Einzelnen steht. Diese Freiheit des Bürgers kann nicht im Fokus der Regierung stehen, denn diese will, dass bestimmte Projekte umgesetzt werden und ist auch fast immer der Initiator von Kriegen. Wenn nur die Regierung etwas bestimmen kann, verlieren die Bürger immer mehr Freiheiten und die Polizei wird immer wichtiger. Wenn es ein Parlament gibt, dessen Mitglieder nicht vom Machthaber, sondern von den Bürgern ausgewählt werden, dann ist dieses Parlament immer gefährdet, weil die Regierung über die Polizei und das Militär bestimmt. Diese Regierungsform gab es bereits in der Antike, auch wenn nur die etablierten Familien griechischer Städte und die römischen Senatoren diese Funktion ausüben konnten. Beide Male sind die Parlamente entmachtet worden. Aber der Gedanke ist geblieben. Im späten Mittelalter wurden diese Konzepte wiederaufgenommen und philosophisch damit begründet, dass das Volk Träger der staatlichen Machtausübung ist. Wilhelm von Ockham hat bereits im 14. Jahrhundert geschrieben, dass der Kaiser nur deshalb Gesetze erlassen kann, weil er vom Volk dafür die Vollmacht erhalten hat. Die Schule von Salamanca hat dann 200 Jahre später die Konzeption der Volkssouveränität weiter ausgearbeitet. Die Philosophen der Aufklärung haben die heutige demokratischen Konzepte entwickelt, sie haben sich dabei nicht auf Naturvorgänge berufen, sondern auf die Vernunft. In der Geistesgeschichte der Bundesrepublik hat Jürgen Habermas den demokratischen Prozess nicht auf die Auswertung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gegründet, sondern auf den Austausch von Argumenten, also der Vernunft einsichtigen Zusammenhängen. Wenn dieser Bindung an die Vernunft von der Philosophie aufgegeben wird, können „Naturvorgänge“ sich ungehindert entfalten und die Herrschaft übernehmen. Das ist der Wirtschaft gelungen:

Wie der Naturalismus die Dominanz der Wirtschaft zementiert

Eine Ausgeburt des Naturalismus ist der Neoliberalismus, der dem Markt so sieht wie ein funktionierendes Ökosystem, dass seine eigenen Gesetze entwickelt, die man nur wirken lassen muss. Diese Gesetze werden von den Volkswirtschafts-Fakultäten und den entsprechenden Instituten erforscht. Diese Dominanz erklärt u.a., warum die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden oder die ökologischen Notwendigkeiten nicht umgesetzt werden. Lässt man nämlich die Marktdynamiken wirken, dann werden Umweltauflagen zu Kostenfaktoren, die man ausschalten muss. Das führt dann dazu, anstatt Strom und Wärme direkt aus der Sonneneinstrahlung zu gewinnen, von Russland Erdgas zu beziehen. Das exportierende Land kann dann mit den Deviseneinnahmen den Unterhalt und die Ausstattung eines großen Heeres finanzieren. Folge dieses Denkens sind erhebliche Kosten für das eigene Militär, so dass allein 100 Milliarden Euro für den Ankauf von Waffen benötigt werden. In Naturvorgängen die Kräfte zu finden, die die Dynamik dieses Marktgeschehens bremsen, ist nicht zu erwarten, denn die Wirtschaft ist eine durch menschliche Vernunft hervorgebrachte Zivilisationsleistung, die viel effektiver mit der Vernunft gesteuert wird als durch noch zu findende Naturgesetze. Mit der Vernunft muss man kein Elektronenmikroskop noch einen Teilchenbeschleuniger einsetzen, sondern bekommt die Lösung direkt präsentiert. Es ist nicht die Dynamik des Marktgeschehens, sondern vorausschauende Vernunft, die ein ökologisches Wirtschaften nahelegt und eine bessere Friedensordnung entwickelt, die das Entfachen eines Krieges schwerer macht. Zugleich würde eine ökologisch orientierte Gesellschaft nicht so leicht auf die Idee kommen, Krieg zu führen. Denn diese würde eine Verschwendung von Ressourcen, die ein Krieg immer mit sich bringt, sehr viel weniger attraktiv finden.

Es braucht eine vernunftbasierte Philosophie, die nicht auf Effektivität der Wirtschaft, sondern auf Freiheit zielt. Diese wird demnächst, hier in hinsehen.net, vorgestellt.


Kategorie: Analysiert

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