Michael besiegt den Höllendrachen, Vreden, Foto: hinsehne.net E.B.

Die Hölle – eine negative Anthropologie

Über die Hölle munkeln die Menschen der Abrahamitischen Religionen seit jeher. Aus einem ursprünglich dämmrigen Schattenreich der Toten haben sich im Laufe von Jahrtausenden unfassbare Modelle des Grauens entwickelt.

Das Unerträgliche ist ihr Merkmal. Das 22. Philosophicum Lech am Arlberg setzte sich in diesem Jahr mit der Hölle als Synonym für Kulturen des Unerträglichen auseinander:  Wo auf ewig Böse Bösen Böses antun.

Die Hölle ist erst einmal die Unterwelt

Unser deutsches Wort „Hölle“ geht dagegen zurück auf die germanische Sprachwurzel *hel, *hal und bedeutet verbergen. In der altnordischen Mythologie meint der Name der Todesgöttin Hel und der gleichnamige Ort in der Unterwelt „die Bergende, die Tote Aufnehmende“. In den romanischen Sprachen geht der Begriff für die Hölle, Inferno, auf das lateinische inferus zurück, das „unten“ oder „unterirdisch“ bezeichnet. Im Laufe vieler Jahrhunderte hat sich das ursprüngliche Schattenreich diversifiziert und den jeweiligen Zeitvorstellungen angepasst. Das unterirdische Schattenreich ist die eine Seite der Hölle und die unbeschreiblich grauenhafte heiße Folterkammer die andere. Ausgangspunkt war das religiöse Konzept von Hölle, das wesentlich nicht durch die Bibel, sondern durch den Volksglauben bestimmt wurde. Durch die Aufklärung wurde und wird das Konzept einer jenseitigen Bestrafung der Bösen durch Dämonen, die den Delinquenten nie mehr entkommen lassen, in Frage gestellt. Im Diesseits wurde die Hölle zur Metapher für das Grauen des Unerträglichen. Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann setzte sich mit der Hölle in der Religion und ihrer Adaption in der säkularen Welt auseinander.

Engelaufstand als Beginn der Hölle

Die Existenz der Hölle beginnt – nach einer Legende – mit dem so genannten Engelssturz: Unter Anführung des Erzengels Lucifer (= der Leuchtende) widersetzt sich ein Teil der Engel der Anordnung Gottes, vor seinem Ebenbild, dem Menschen, das Knie zu beugen. Sie fühlten sich höherwertig als der Mensch. Wegen ihrer Weigerung stürzte der Erzengel Michael die Rebellen vom Himmel zur Erde, wo sie sich, degeneriert zu Dämonen, in die unterirdische Verbannung und Verborgenheit zurückzogen.
Weniger die Juden, wohl aber die Christen und Muslime, haben aus diesem Grundmodell eine variationsreiche Hard-Core-Version entwickelt: Nach ihnen ist die Hölle erstens eine Imagination der Gerechtigkeit, das Äquivalenzprinzip einer vergeltenden Gerechtigkeit, sie gleicht aus, was auf Erden an Bösem getan oder an Gutem unterlassen wurde. Zweitens wird die Idee der Hölle gespeist aus dem Gedanken der Rache und Vergeltung. Wer in dieser Welt den Machenschaften von Übeltätern nicht entkommen kann, kann darauf hoffen, dass die Übeltäter nach ihrem Tod zur Rechenschaft gezogen werden – alle auf ewig und ohne jede Möglichkeit der Amnestie. Drittens folgt die Strafe der Übeltäter einem pädagogischen Prinzip, wonach die Strafe in einem erkennbaren Zusammenhang mit der Straftat steht: Wer sich befleckt hat, verglüht seine Flecken im reinigenden Feuer, ohne sich dabei je Erleichterung zu verschaffen. Wer seine Zunge dazu benutzt hat, seine Mitmenschen zu quälen, wird in der Hölle an seiner Zunge aufgehängt. Und dass selbst die Hölle mit der Zeit geht, belegt die Annahme, dass die Geschäftemacher mit der Energie, die die Natur zerstören und die Menschheit mit surrenden Rotoren quälen, in der Hölle selbst auf Rotoren geschnallt werden und sich auf Ewigkeit heulend und mit den Zähnen knirschend endlos im Kreise drehen.  

Visionäre Schau der Hölle

Die Bösen quälen also die ihnen zugewiesen Bösen mit Bösem, so zumindest hat das der Geisterseher Emmanuel Swedenborg (+ 1772) behauptet, dem nach eigenen Angaben ein Blick in die Hölle gestattet worden war. Aus Lichtengeln wurden gnadenlose Exekutoren einer jenseitigen Gerechtigkeit. Auf ewig wird nachgeholt,  was in der Zeit irdischer Existenz an Gutem versäumt oder an Bösem getan wurde. Der „high-way to hell“ ist bekanntlich mit guten Vorsätzen – die nicht umgesetzt wurden – gepflastert. Treibstoff für den Weg in die Fänge Lucifers sind die bekannten Laster und Sünden wie Hochmut, Neid, Selbst- und Ungerechtigkeit, Hartherzigkeit, Korruption, fehlende Nächstenliebe und natürliche jede Form von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Alle diese Sünden gipfeln in der verweigerten Gottesliebe, die dann ewige Gottesferne zur Folge hat.

Der Reinigungsort  Fegfeuer und der Ablass, auch bei Mozart und anders bei Marx

Für die, die es nicht gar so schlimm getrieben haben, die aber deshalb auch noch nicht reif zur Gottesschau sind, hat sich eine Zwischenstation nach dem Tod auf dem Weg in den Himmel entwickelt, ein Reinigungsort, der – ehe er zum Namen Purgatorium kam – refrigerium interim hieß, wie Tertullian (+ 220) schreibt. Dieses Rasthaus auf dem way to heaven wird im 6. Jahrhundert durch Papst Gregor den Großen in ein ignis purgatorium, ein läuterndes Feuer,  gewandelt, das jene Makel der Seele wegbrennt, die der Heiligkeit entgegenstehen.
In der Bulle Benedictus Deus wird 1336 die Lehre vom Ablass entfaltet. Das kirchliche Ablasswesen wurde dann im Jahr 1476 durch eine Päpstliche Bulle auf die Seelen im Fegefeuer erweitert. Ihnen konnte man nun die Ablässe durch Eucharistiefeiern, Gebete und gute Werke zuwenden. Im Diesseits erworbene Ablässe ließen sich so in das Jenseits transferieren, damit sie den Armen Seelen die Verweildauer im Fegefeuer verkürzten. Mit dem Slogan „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ bewarb der Dominikaner Tetzel das geniale vatikanische Geschäftsmodell zur Finanzierung des Neubaus der römischen Peterskirche. Diese Ablassausweitung und vor allem die sich dann entwickelnde, mit einer aggressiven Werbung verbundene Vorstellung, man könne die guten Werke durch finanzielle Leistungen kompensieren, waren nicht nur Kritikpunkte der Reformatoren.
Von Mozart bis Marx werden Konzepte geliefert, nach denen sich der Mensch in einem schmerzhaften Läuterungsprozess im Purgatorium wandeln und reinigen kann. Pamina singt: „Wir wandelten durch Feuergluten, / Bekämpften mutig die Gefahr“, nach dem sie sich mit Hilfe der Zauberflöte mit Tamino durch die Glut gekämpft hat. Während hier noch das reale Purgatorium vorausgesetzt wird, erklärt Karl Marx: „Und es gibt keinen andern Weg für euch zur Wahrheit und Freiheit, als durch den Feuer-bach. Der Feuerbach ist das Purgatorium der Gegenwart.“ Hier ist das religiös gedachte Purgatorium zu einer geistigen Übung geworden, die darin besteht, Feuerbachs radikale Religionskritik zu übernehmen, um der ewigen Verdammnis zu entgehen, die in einem Leben in der Lüge einer Ideologie besteht. Das Original-Purgatorium und seine Gebrauch als Metapher verbindet die Idee der Reinigung durch Feuer, das gar nicht zwangsläufig vorhanden sein muss.

Aktionsraum des Bösen im Jenseits und auf Erden

Die Hölle, jener unerträgliche Ort, gibt Auskunft über die Ängste und Sehnsüchte des Menschen und zugleich über seine Begierden und Phantasien. Die Hölle ist eine Art negativer Anthropologie. Die in der christlichen Ikonographie angebotenen grauenhaften Höllendarstellungen, sind einerseits selbst Inkarnationen des Bösen und weisen doch auf eine faszinierende Paradoxie hin: Solange Vorstellungen von Gerechtigkeit und Strafe noch mit diesen Folterqualen verbunden sind, können diese Phantasien in Wort und Bild uneingeschränkt und exzessiv ausgelebt werden – schließlich geht es ja um die Bestrafung des Bösen durch das Böse an Bösen. Und der Satan, der Fürst der Hölle, verkörpert genau diese Paradoxie: Die Hölle agiert da, wo im Namen der Gerechten und Guten das Böse frei agieren kann.
Das mag in der jenseitigen Hölle so sein; seit der Aufklärung ist die Hölle im Diesseits die Metapher für das Unerträgliche, für inhumane Zustände, die grausam, barbarisch, quälend sind. Unser Reden von der Hölle des Bürgerkriegs, der Lager, der Familie oder der Sucht beschreibt diese Unerträglichkeit. Hölle transformiert sich in all das, was wir als Menschen guten Willens nicht wollen können. Aus einem Ort transzendenter Gerechtigkeit ist der schärfste Ausdruck immanenter Ungerechtigkeit geworden. Geblieben ist neben dem Erfindungsreichtum an Grausamkeit die Vorstellung, dass hier Teufel in Menschengestalt tätig sind. Sie sind nicht mehr Vollzugsorgane einer transzendenten Gerechtigkeit, aber Ausdruck der furchtbaren Banalität des Bösen. Im Namen der irdischen Gerechtigkeit muss es bekämpft werden, kann dabei aber wieder selbst Höllen kreieren.

Ort der Ausweglosigkeit

Die Säkularisierung der Hölle ist älter als ihre theologische Differenzierung. Bereits in der Antike war der Gedanke bekannt, die Hölle sei nichts anderes als die Konfrontation des Menschen mit sich selbst. Lukrez etwa kennt die Idee, dass die in der Unterwelt leidenden mythischen Figuren, Erscheinungsformen menschlicher Verirrungen sind, die Hölle aber der Ausdruck der Angst, aus der es kein Entrinnen gibt: „Jeder versucht, vor sich selbst zu fliehen, offensichtlich ohne es zu  können, sich zu entkommen, doch bleibt er an sich gefesselt, ob er will oder nicht und beginnt sich selbst zu hassen.“ Zweitausend Jahre später wendet Jean-Paul Sartre diesen Gedanken zu einer Parabel für das Leben in einer Gemeinschaft. Die Hölle, das sind die anderen, heißt es bei ihm in der Schlussszene des Stücks „Geschlossene Gesellschaft.“ Nicht der Einzelne wird sich zur Hölle, sondern die aneinander geketteten Menschen können sich nicht aus ihrer Bindung befreien. Das Teuflische daran ist nicht nur die Ausweglosigkeit, sondern dass gar kein anderer Zustand denkbar ist.
Was macht die Hölle unerträglich? Im Gegensatz zum Purgatorium hat die Hölle keinen Ausgang. Diese Ausweglosigkeit macht das Unerträgliche unerträglich. Alles Leid, aller Schmerz will seiner eigenen Logik nach vergehen, ein Ende haben. Nur Lust will Ewigkeit. Wenn der Schmerz nicht mehr aufhören kann, kehren sich die Verhältnisse von Lust und Leid um – und markieren damit den Eintritt in die Hölle. Der Gedanke ewiger Wiederkehr des Unerträglichen löst unsägliches Grauen aus.
Hölle heißt: Nicht loskommen können, gefesselt, gebunden zu sein. Wenn sich Menschen gegenseitig das Leben zur Hölle machen, schwingt das Wissen um eine Bindung mit, die eine demütigende, wechselseitige Abhängigkeit ohne eine Möglichkeit des Entkommens beinhaltet. Man kann nicht anders, selbst wenn man wollte. In der unerbittlichen Repetition findet sich ein höllisches Element. Der Wiederholungszwang ist jene Fessel, die noch das Lustvollste zum Unerträglichsten macht, was durch den pathologisierenden Begriff der Sucht nur unzulänglich beschrieben wird.
Die antike Unterwelt kannte noch das höllische Prinzip der Verweigerung von Sinn. Sisyphus und Tantalos erleiden diese Qualen der Sinnlosigkeit ihres Tuns. Anstrengungen, die sich immer wieder als vergeblich erweisen, evozieren höllische Zustände, die als Parabel des menschlichen Daseins aufgefasst werden können.
Für die Höllen der Imagination und die lustvollen Vergeltungsphantasien der Dichter gilt, dass sie mit dem Satz „Es ist genug“ geschlossen werden können. Höllische Zustände in dieser Welt werden sich dagegen wohl kaum ausrotten lassen.  Die Hölle lässt sich in der Familie finden, deren Mitglieder man sich nicht aussuchen kann, aber ertragen muss. Drogen verbinden Himmel und Hölle: aus dem Himmels des Rausches kann der Süchtige stante pede in das Grauen des Entzugs geraten.

Ist die Hölle leer?

Wie die Hölle der Christen aussieht, wer sich in ihr aufhält, kann man mit Hilfe der Bibel nicht erkennen. Die Phantasien der Volksfrömmigkeit sind überholt. Gegen sie hilft das Wissen darum, dass die Erlösung jedem, gerade auch Sündern, zugesagt ist, wenn sie umkehren, sich zu Christus bekehren. In seinem Gleichnis vom Guten Hirten hat Jesus erklärt, dass er jedem verlorenen Schaf nachgehen wird. Vielleicht werden wir einmal im Jenseits erstaunt feststellen, dass die Hölle menschenleer ist. Manche Theologen sind sich nicht einmal mehr sicher, dass sich Judas Iskarioth dort aufhält. Wer die Hölle nicht als Ort, sondern als Zustand selbstgewählter Gottesferne versteht, gerät nicht in die Gefahr, sich in mittelalterlichen Phantasien zu verlieren.


Kategorie: Analysiert

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