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Den Koran von der Bibel her interpretieren

In der 3. Sure findet sich eine Aufzählung der Propheten, die mit Jesus endet. Ausdrücklich sagt diese Sure, besonders auf ihn zu hören. Dann wäre der Koran von der Bibel her zu verstehen. Das legen auch mehrere Suren nahe, die z.B. die Biographie des Moses wie anderer biblischer Protagonisten referieren. Der Dialog mit dem Islam kann auf solidere Füße gestellt werden

Der Koran als direktes Wort Gottes

Nach dem Koran beten die Muslime zum gleichen Gott wie Abraham, Moses oder Jesus. Im Vergleich zu den Darstellungen der Bibel setzt der Koran andere Akzente, gerade bei der Person Jesu. Daraus kann Jack Miles die Konturen des Gottesbildes herausarbeiten, das den Islam prägt:
Der Koran setzt sich selbst als die Instanz, die das rechte Verständnis der Bibel vermittelt. Das scheint notwendig. Denn während die Bibel von meist anonymen Erzählern stammt, beanspruchen die Suren eine höhere Autorität, weil Allah im Koran selbst spricht und daher als Autor des Korans zu sehen ist. Er interpretiert die Geschichte der biblischen Protagonisten, so dass die Suren die Sicht Allahs auf das Geschehen wiedergeben. Muhammad gilt als derjenige, der die Sichtweise Gottes wiedergibt. An entscheidender Stelle, an der Gott mahnt, den Propheten zu gehorchen, die er gesandt hat, wird Muhammad allerdings nicht genannt. Der Koran würde damit die durch Moses, die Propheten und den Messias Jesus vermittelte Botschaft Gottes bestätigen, eben wie es in Sure 3,84 heißt:

„Sag: Wir glauben an Allah und (an das,) was auf uns und was auf Ibrahim, Isma´il, Ishaq, Ya´qub und die Stämme (als Offenbarung) herabgesandt wurde und was Musa, ʿIsa und den Propheten von ihrem Herrn gegeben wurde. Wir machen keinen Unterschied bei jemandem von Ihnen, und wir sind Ihm ergeben.“

Es werden also die drei Generationen im Buch Genesis, Abraham, Ismael und sein Bruder Isaak sowie Jakob genannt, dann Moses als Autor der ersten 5 Bücher der jüdischen Bibel und Jesus als die entscheidende Person der christlichen Bibel. Dass Allah die Suren Muhammad mitgeteilt, dieser sie im Gedächtnis behalten hat, dass der Prophet selbst nicht schreiben konnte und die Texte erst Jahre später aufgezeichnet wurden, ist Überzeugung des Islams.

Die Autorität des Korans

Wer also den Koran wie ein Muslim als direkt zu Muhammad gesprochenes Wort sieht, kann nicht anders, als diesem Buch eine Autorität zu geben, die über der der ursprünglichen biblischen Texte steht. Es ist also die literarische Form des Korans, die die Überzeugung der Muslime trägt, dass dieses Buch die authentische und damit letztlich gültige Botschaft von Gott ist.

Der Koran ist nicht Erzählung, sondern Ausdruck des Willens Allahs

Die Struktur der biblischen Erzählungen unterscheidet sich von den Suren in dem Verzicht des Korans, einen Spannungsbogen aufzubauen. Miles zeigt in vielen Vergleichen, wie der in der Bibel aufgebaute Erzählbogen in der Nacherzählung des Korans nicht die Dynamik menschlicher Handlungen, sondern die Umsetzung des Willens und die Lenkung durch Allah akzentuiert und damit zu einer moralischen Instruktion wird. Aus den unterschiedlichen Rollenbildern der Bibel, also Patriarch, Anführer wie Moses, Prophet wie Jesaja oder der Messias Jesus werden im Koran alle Protagonisten zu Propheten. Sie haben jeweils die gleiche Aufgabe, nämlich die Menschen zur Erkenntnis und dann zur Unterwerfung des einen Gottes zu führen, dem kein anderes Wesen „beigesellt“ werden kann.  
Diesen Vergleich verdichtet Miles auf den Seiten 125ff, nämlich um was es Gott in den Büchern der Bibel geht und was Allah im Koran anstrebt. Im ersten Buch der Bibel geht es Jahwe darum, dass der Mensch, vor allem der von ihm auserwählte Abraham Nachkommen erhält. Anders im Koran: Miles spricht von ‚“Allahs Wunsch nach ausdrücklicher menschlicher Verehrung.  Eigentlich könnte es ihm egal sein, … ob bloße Menschen ihn anbeten oder nicht. Aber die Sache quält ihn und die Folgen dieser Beunruhigung sind auf jeder Seite des Korans zu spüren.“ S.130

Wie wird Allah zum Autor des Korans:

Die im Koran zusammengestellten Texte sind wohl nicht ursprünglich in Arabisch verfasst worden, sondern wohl in Syrisch und Aramäisch. Dazu hat Kurt Bangert in seinem Forschungsbericht „Muhammad“ viele Belege zitiert. Woran hat der Koran sich dann aber orientiert, wenn er die Hörer in direkter Rede anspricht. Diese Sprachform findet sich im 5. Buch der jüdischen Tora, auch das Zweite Gesetz, „Deuteronomium“ bezeichnet. Im Deuteronomium spricht Moses wie Allah im Koran. „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig!“ in Kap. 6,4 könnte auch so im Koran stehen.
Jack Miles geht in seinem Buch „Gott im Koran“ noch von der Überzeugung aus, die die Entstehung des Korans eng mit der Biographie Muhammads verbindet. Liest man seine Darstellung der Protagonisten der Bibel zusammen mit den entsprechenden Suren des Korans, dann müsste nach dem von Bangert dargestellten Forschungsertrag der Koran eher von der Bibel her ausgelegt werden und nicht, wie es der Koran in seiner Sprechsituation beansprucht, die Bibel vom Koran. Wenn an 137 Stellen der Koran sich auf Moses bezieht, wird auch aus diesem Befund die Nähe zum Deuteronomium verständlich, das ebenso eine Interpretation der vier Bücher der Tora sein will. Es hat nicht wie die vorausgehenden Bücher einen anonymen Erzähler zum Autor, sondern Moses spricht zum Volk Israel, er deutet wie Allah im Koran die Geschehnisse und stellt auch die Rechtssatzungen zusammen, also das Gesetzbuch des Volkes Israel. Während die Bibel die Offenbarung und damit den göttlichen Ursprung durch Erzählungen und Worte menschlicher Protagonisten vermittelt, ist der Koran selbst Gottes Wort.

Den Koran wie ein gläubiger Muslim lesen

Miles hatte schon in der Einleitung dazu motiviert, die Texte aus der Perspektive von gläubigen Juden, Christen wie Muslimen zu lesen. Die Frage, ob es sich um Gottes Wort handelt, kann die Wissenschaft prinzipiell nicht beantworten, aber wie bei einem Roman oder Film kann sich der Leser in diese Beziehung hinein versetzen. Wer immer sich der religiösen Vermittlung widmet, wird durch die von Miles durchgeführten Vergleiche klüger und lernt zugleich seine Religion besser zu verstehen. Insofern hat Miles nicht nur den Koran mehr erschlossen, sondern auch die biblischen Texte.
Von den inzwischen vielen solide erarbeiteten Büchern über den Islam ist Miles deshalb der Vorzug zu geben, weil er die Texte sprechen lässt und mit wenigen Strichen aufzeigt, wie jeweils ein eigenes Gottesbild entsteht, das Judentum, Christentum und Islam dann doch bis in das religiöse Empfinden unterscheidet.  

Vier Themen, aus der Sicht der Bibel aufgegriffen
Wenn allein Moses 137 mal in den Suren erwähnt wird und Jesus als der letzte in der Reihenfolge der Propheten genannt wird, verlangt der Koran selbst, ihn nicht nur als letztgültige Interpretation der Bibel zu lesen, sondern in entscheidenden Fragen sich auf die Bibel zu beziehen. Vier dieser entscheidenden Fragen seien angerissen:

  1. Erlösung ist nicht zentrales Thema
    Jesus fordert Glauben, also Vertrauen, dass Gott den Menschen aus seiner Situation befreit, die wesentlich durch die Sünde geprägt ist. Die Konzentration auf die Verehrung Allahs lässt die Frage der Erlösung im Koran unbedeutend werden. So geht es in der Erzählung von Joseph, den seine Brüder nach Ägypten verkauft haben, weniger um die Rettung des Lieblingssohnes Jakobs, der dann in Ägypten seine Sippe in einer großen Hungersnot vor dem Tod bewahrt, sondern dass Joseph den Pharao zur Verehrung des einen Gottes hinführt. Ebenso wird die Hinrichtung Jesu nicht als Sühnetod verstanden, den er wegen der Sünden der Menschen erleidet.  In der Sure 4 heißt es über den Hergang der Kreuzigung:
    „Kein Wissen haben sie darüber, nur der Vermutung folgen sie. Sie haben ihn nicht getötet, mit Gewissheit nicht, vielmehr hat Gott ihn zu sich hin erhoben.“ Bereits die erste Sünde, der Biss in den Apfel, wird von Allah direkt vergeben und zieht nicht als Erbsünde ihre Spur durch die Geschichte. Es gibt auch kein Ringen um das Volk der Israeliten, sondern der Mensch wählt zwischen Verehrung des einen Gottes oder lehnt die Verehrung ab bzw. betet das Goldene Kalb an und handelt sich damit die Hölle ein.

  2. Die Gewalt
    Offensichtlich können sich Muslime auf den Koran berufen, wenn sie für Andersgläubige den in den Menschenrechten formulierten absoluten Schutz des Lebens aussetzen. Das ist nicht nur eine Frage im Islam, sondern auch im Christentum. Die Bibel geht hier einen langen Prozess bis zum Gebot der Feindesliebe, die jeden Menschen als ein Geschöpf Gottes achtet. Wenn Jesus im Koran mit der Autorität Gottes predigt, dann können seine Forderungen auch in die Interpretation von Koranstellen eingebracht werden, die in der Gegenwart für das konkrete Verhalten als Maßgabe gelten.


  3. Blasphemie
    Für Muslime ist eine Beleidigung Gottes wie auch des Propheten ein so schweres Vergehen, dass die Gläubigen engreifen müssen, um die Ehre Allahs und seines Propheten wiederherzustellen. Schon die jüdische Bibel überlässt die Bestrafung Gott, im Römerbrief des Neuen Testaments wird diese Lehre bestätigt: In 12,19f heißt es:
    Rächt euch nicht selber, liebe Brüder, sondern lasst Raum für den Zorn (Gottes); denn in der Schrift steht: Mein ist die Rache, ich werde vergelten, spricht der Herr. Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt.

Der Dialog mit dem Islam eröffnet den Theologen durch die Forschungen der Orientalisten ein großes Themenfeld

Links:
Kurt Bangerts sorgfältig überarbeiteter Forschungsbericht , der u.a. aufzeigt den: christlichen Wurzelgrund des Islams

Zum Thema Blasphemie hat der kürzlich verstorbene Mediävist Arnold Angenendt in einem Vortrag 2013 die Praxis des Christentums dargestellt Bestrafung der Gotteslästerer

Jack Miles, Gott im Koran, Hanser Verlag 2019, englisch 2018, 263 S.


Kategorie: Analysiert

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