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Das Paradies – im Himmel oder hier

Ostern redet vom Himmel als der Welt, wo alle das nicht vorkommt, was uns hier das Leben unerträglich macht. Dort herrschende Prinzipien, die Gott eigentlich schon für das gelungene Leben hier vorgesehen hatte. Aber war es nicht das Anliegen des Kommunismus und der Achtundsechziger, das Paradies hier zu verwirklichen?

Paradies auf Erden: machbar oder doch nicht?

Karl Marx und mit ihm der Kommunismus hatten diese Sicherheit nicht, dass die Mühen dieses Lebens in einer anderen Welt in Gelingen umgewandelt werden. Und warum diese Mühen nicht gleich für ein Paradies hier aufzubauen. Die Konsequenz, die er daraus gezogen hatn, war das Projekt Kommunismus: Das "Paradies" muss jetzt, hier auf dieser Erde in der Form der Kommunistischen Gesellschaft verwirklicht werden. Die Vorstellung eines geglückten Daseins in einer anderen Welt lenkt nur die Kräfte, die hier die Welt verändern könnten, in ein nicht-existierendes Jenseits ab. Die Konstruktion einer paradiesischen Gesellschaft schien mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften, der Ingenieurskunst und der Medizin in greifbare Nähe gerückt. Die Ideale des Kommunismus waren die gleichen, welche die Religion für den Himmel verspricht:

  •         Besitz trennt nicht mehr die Reichen von den Besitzlosen.
  •         Solidarität wird wie selbstverständlich gelebt und
  •         der Einzelne wird nicht mehr durch die gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber sich selbst
            entfremdet.

Die völlige Übereinstimmung mit sich selbst zu leben, verspricht sowohl der Kommunismus wie die Meditationspraxis der Religionen. Wie alles, was heilen soll, braucht es eine Diagnose. Marx sieht die Ursache für die Überwindung der inneren Gespaltenheit im Kapitalismus. Die Aufhebung der Selbstentfremdung wird dem einzelnen durch revolutionäre Veränderung der Gesellschaft versprochen. Der Mensch an sich ist mit sich im Reinen und wird erst durch die Gesellschaft in Abhängigkeiten verstrickt. Eine tiefgreifende Reform setzen Motivation, Kreativität, Gemeinschaftsgeist frei. Als die Studenten für ihre Vision aus der Arbeiterschaft keinen Zulauf erhielten, wandten sie sich der Psychoanalyse zu, auch ein Versprechen, die innere Zerrissenheit zu überwinden. Wer sich einer Therapie unterzieht, kann sich wenigsten als Einzelner aus der Entfremdung herauswinden. Heute sind Viele zu den viel älteren Therapien Yoga und Zen zurückgekehrt. Diese und andere Ausprägungen der meditativen Versenkung sind nicht mit den Selbst-Optimierungs-Techniken zu verwechseln, wollen sie doch den Meditierenden auf den Übergang in eine andere Existenzweise vorbereiten.

Die Kirche als Institution reformieren

Einen Nachklang des marxistischen Versprechens findet sich in den Papieren des Synodalen Prozesses der Katholischen Kirche in Deutschland. Man setzt nicht wie bei kirchlichen Erneuerungsinitiativen auf Bibelgespräche, Gebet, Gottesdienste, Wallfahrten, sondern auf einen Umbau der Institution. Wenn die Institution durch Demokratisierung von Machtmissbrauch befreit wird, kann das religiöse Leben wieder blühen. Das Menschenbild, das dieses Versprechen leitet, sieht den einzelnen von seinem religiösen Weg durch die Institution abgelenkt. Wie die marxistisch inspirierten Achtundsechziger werden die Protagonisten der anstehenden Kirchenreform scheitern, wenn sie allein auf einen Umbau der Institution setzen, der von den Achtundsechzigern als Marsch durch die Institutionen angegangen wurde. Das neue Lebensgefühl ha sich nicht eingestellt. Die Institutionen bleiben auf das Funktionieren begrenzt und damit menschen-unfreundlich, wenn es keine reifen Persönlichkeiten gibt, die die institutionellen Notwendigkeiten menschlich gestalten. .

Die alten Versprechen halten nicht mehr

Ob marxistisch, Fortschritts-gläubig, ob als Meditierende, wir leben im Zeitalter nach den weitreichenden Versprechen der sechziger und siebziger Jahre. Die Herausforderung ist nicht die Überwindung der Selbstentfremdung durch einen Umbau der Gesellschaft und Fortschritt durch weitere Technisierung. Es geht eine neu Bedohung, nämlich die Abwendung des Klimakollapses und die Rettung bedrohter Pflanzen- und Tierarten. Eine weitere Folge des technologischen Fortschritts, die uneingeschränkte Überwachung jeder digitalen Kommunikation durch wenige Technologiekonzerne, wird sicher zum Thema werden. Die nächste Revolution wird sich wahrscheinlich gegen die totale Kontrolle richten. Hier wäre das marxistische Konzept hilfreich, dass nämlich die ständige Überwachung, wenn sie bewusst wird, zur Selbstentfremdung der Nutzer deshalb führt, weil diese sehr viel subtiler gelenkt werden können als es bisher automatischen Staaten mit ihrer Geheimpolizei möglich war. Das Paradies ist in weite Ferne gerückt.

Die Menschen kehren nicht zu den Versprechen der Religion zurück

Nach dem Versiegen des revolutionären Elans kam es zu keiner Rückkehr zur Religion. Anders im Barock nach den Konfessionskriegen sowie in der Ukraine und Russland nach dem Ende des Kommunismus. Im Westen bleibt die Frage, die vor 200 Jahre aus der Erfahrung der Konfessionskriege erwuchs, was dem Gemeinwohl mehr nutzt, die Religion oder ihre Abschaffung. Die Abwendung von der Religion droht dem Islam in gleicher Weise, wenn Konfession zum Kriegstreiber wird. In Persien sollen sich schon die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung vom Islam abgewendet haben.
Die Achtundsechziger-Revolution hat die Hoffnungen auf diese Welt gelenkt. Der große Wurf ist nicht gelungen, aber die Politik verspricht viele kleine Reformen. Aber ist das zu erwarten? Nach den vielen Krisen und Kriegen der Geschichte konnte man einfach wieder aufbauen. Die Natur „machte weiter“ wie vorher, nur das von Menschen Gemachte musste repariert werden. Nach dem letzten Weltkrieg ist der Homo sapiens nicht mehr nur Teil der Welt, sondern er beherrscht die ganze Biosphäre. Das Leben aller Pflanzen und Tiere liegt in seiner Hand. Es sieht nicht so aus, als sei er dieser Verantwortung gewachsen. Was bewahrt die Menschheit vor einem Krieg um Wasser und Ackerböden? Nicht nur die Konfessionskriege zeigen, dass der Mensch am meisten durch den Menschen bedroht ist. Diese Bedrohung überschattet jede Hoffnung auf ein Paradies unter den Bedingungen des ungeklärten Kampfes zwischen Gut und Böse. Dieses Böse kommt nicht von außen in die Menschen.

Das Böse entsteht zwischen den Menschen

Wie das Böse in die Welt kommt, hat Renné Girard aus den Mythen herausgelesen. Er hat auch erklärt, dass es Mobbing war, das zum ersten Ritualmord führte. Rund um den Erball erzählen die Mythen das ähnlich. Das reale Sterben von Sokrates, Jesus und den vielen anderen wird in den Mythen immer wieder erzählt. Religion ist die Umwandlung des Mobbingopfers in einen erlösenden Helden. Religiöser Kult, auch die Karwoche, stellen nach Girard den Tod des Mobbing-Opfers dar, um weitere Opfer überflüssig zu machen. Indem die Tötung in Erzählung und Ritus vergegenwärtigt wird, verhindert das den erneuten Mord. Das ist überlebenswichtig für die Gruppe, denn jeder Mord stellt das Überleben des Stammes infrage.

Der Wunsch nach dem Paradies steht nicht infrage

Allein das Aufbrechen des Bösen lässt die Hoffnung nicht versiegen, dass es eine Wirklichkeit gibt, die ganz von Vertrauen und Gerechtigkeit getragen ist, in der die Anerkennung des anderen nicht infrage steht. Es wäre eine Welt, in der niemand den anderen bewusst verletzen, ihn nicht mit übler Nachrede belegen und schon gar nicht zum Feind erklären kann, der umgebracht werden muss. Einen Beweis für diese Welt gibt es von außen nicht, es sei denn, man schenkt den Berichten der Menschen Glauben, die selbst eine Nahtod-Erfahrung gemacht haben oder ihren verstorbenen Angehörigen begegnet sind. Sie leben mitten unter uns, ohne von ihrer Erfahrung zu reden. Es sind mehr als wir wissen, aber trotzdem nur wenige. Für uns, bleibt die Erkenntnis, dass wir die Vorstellung eines Paradieses in uns tragen. Sie bestätigt sich in ihrer inneren Evidenz, wenn wir den Prinzipien eines Sokrates, Jesu, Gandhis oder Martin Luther Kings folgen. Dann würde sich das Paradiesschon verwirklichen. Wir würden sie nicht in unserem Gedächtnis bewahren, wenn wir nicht auf die Sinnhaftigkeit eines solchen Lebensentwurfes setzen. Der Glaube, den Jesus gefordert hat, ist das Vertraue, dass Gott eine solche Lebenswelt mit uns bauen wird. Ein Zeichen dafür ist das Ausbleiben von Racheakten durch die Jünger Jesu. Anders in den vielen Bürgerkriegen. Im Nahe Osten dauern die Kampfhandlungen deshalb schon über 30 Jahre, weil die Toten aus den eigenen Reihen gerächt werden müssen. Jesus hat seinen Anhängern am Abend des Ostertages und dann nochmal eine Woche später Frieden versprochen und die Vergebung der Schuld – das für alle folgenden Generationen.    

Die zweite Infragestellung von Ostern durch den Darwinismus wird hier in ihrer Begrenztheit diskutiert: Ostern: Geist vorlaufend zur Materie


Kategorie: Analysiert

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