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Besser verstehen mit beiden Hirnregionen

Was hören wir, wenn wir jemandem im Gespräch zuhören? Hören wir mit derselben Hirnhälfte, von der aus der andere spricht? Wenn er seine persönlichen Erfahrungen mitteilt, seine Emotionen zum Ausdruck bringt und wir dann rational analysieren, fühlt er sich nicht verstanden. Wir funken mit verschiedener Wellenlänge.

Wenn die rechte Hirnhälfte unseren weiten Erfahrungshorizont wie unser Gefühlsleben abdeckt und die linke unsere Logik und das Handeln steuert, dann ist in Gesprächen nicht immer sicher, ob die Gesprächspartner mit der gleichen Hirnhälfte reden oder sich zuhören. Was passiert dann?

Verständigung auf der Ebene der rechten Hirnhälfte

Wenn jemand aus seinen Erfahrungen berichtet, über sein Leid klagt, seine Not formuliert, seine Angst artikuliert oder seine Vorstellungen, Unsicherheiten, Sehnsüchte anspricht, erzählt er aus der rechten Hirnhälfte. Das ist meist an den Sätzen erkennbar. Wenn er über sich spricht, wie es ihm geht, wie er etwas erlebt hat, dann bildet er Sätze mit Ich habe ..; Ich war … Er, sie redet in Ich- Aussage. Er spricht aus der Hirnseite, in der er seine emphatischen Qualitäten, seine Erlebnisfähigkeit, sein Verstehen für den anderen, die Bereitschaft, sich sozial zu engagieren, ausgebildet hat. Mit dieser Seite nimmt er auch vieles von dem wahr, was er fühlen aber nicht unbedingt sehen kann. Wenn ich als Gesprächspartnerin auch mit meiner rechten Hirnhälfte zuhöre und von mir etwas in Ich–Aussage mitteile, begegnen wir uns auf der gleichen Gesprächsebene. Ich verstehe, was ihn freut, belastet, was ihn umtreibt, was er erlebt hat. Ich muss ihn nicht korrigieren, ihn nicht auf Fehler aufmerksam machen, nicht zurechtweisen, ihm keine Vorschläge unterbreiten, noch ihm einen wissenschaftlichen Vortrag halten. Ich kann seine Erzählung aushalten, kann mit ihm fühlen. Dafür muss ich meine rechte Hirnhälfte aktivieren.
Kenne ich mich selber in meinen Gefühlen gut aus, sind mir meine Erfahrungen vertraut, kann ich meine Sehnsüchte und inneren Bewegungen selber auch spüren und artikulieren, trage ich zu einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre bei, weil ich dem anderen auf der gleichen Gesprächsebene begegne. In solchen Gesprächen geht es weniger um Fakten, sondern mehr um persönliche Lebenssichten, Erfahrungen, Erlebnisse und Ereignisse. Durch die Äußerungen in Ich–Aussage erfahren die Gesprächspartner vieles von dem, was ganz persönlich ist, was sich nicht in Sachbüchern findet, aber in Romanen thematisiert wird.

Verständigung auf der Ebene der linken Hirnhälfte

Vergleichbares geschieht natürlich auch, wenn ich von meiner linken Hirnhälfte aus über Sachthemen wie die Belege für die Buchhaltung oder über den Kauf eines neuen Autos ins Gespräch komme. Da rede ich dann über etwas aber nicht von mir. Ich spreche aus meiner analytischen, logischen, mathematischen Hirnseite. Das ist die linke. Hört mein Gesprächspartner mir dann auch auf der linken Seite zu, kann ich mit ihm ein konstruktives, sachliches Gespräch führen. Er kann mir Vorschläge machen, welches Auto weniger Sprit braucht, welche Fehler sich vielleicht in die Buchhaltung eingeschlichen haben, wir können ein Sachproblem von allen Seiten beleuchten, und Korrekturen vornehmen. Auf dieser eher sachlichen Ebene geht es um das, was umgesetzt wird. Wir reden nicht von uns selbst, wie es uns geht, sondern über einen Tatbestand oder eine Sache. Da wird meist in der man-Form gesprochen. Ich spreche aus der Distanz zu mir. Ich rede über etwas, das ich gelesen, gehört habe, Leute die ich getroffen habe, mein Wissen, das ich mir angelesen habe oder über das, was „man“ so denkt und sagt.
Die linke Hirnseite ist auch die pragmatische Seite, die nicht viel Aufhebens von Dingen macht. Sie ist dazu da, dass ich handle, Dinge in die Tat bringe. Im Gespräch bleibt es deshalb zwischen den Personen auch eher sachlich und damit auch distanzierter. In solchen Gesprächen geht es nicht um meine oder seine Person, nicht um unsere Befindlichkeiten oder persönlichen Erlebnisse. Es geht um eine Sache. Gefragt ist die für den Sachverhalt spezifische Kompetenz des anderen. Auf dieser Ebene erfährt der andere wenig über mich, was mich innerlich bewegt, was mir Sorgen bereitet, woran ich zu knabbern habe. Das gehört auch nicht in dieses Gespräch. Es würde sogar stören, weil es die Umsetzung behindert.

Gespräche über beide Hirnhälften zur Entscheidung führen

Beide Hirnhälften brauchen einander. Insbesondere in Entscheidungssituationen ist die Integration beider Hirnhälften notwendig.
Das, was die rechte Hirnhälfte zur Entscheidung eines Sachproblems leisten kann, muss vor der Umsetzung auf den Tisch. Jede wichtige Entscheidung, ob das ein Autokauf oder eine Reise ist, die Wahl des Studiums oder der Hauskauf, braucht erst einmal das Gespräch über die Vorstellungen, Erfahrungen, die Bedenken, die Wünsche, bevor ich die Realisierung plane.
Lasse ich die Erfahrungswerte oder das Erfahrungswissen außen vor, bleibt mein Bauchgefühl unberücksichtigt. Dieses Bauchgefühl ist nicht irrational, vielmehr verfügt es über einen anderen Zugang zur Entscheidung. Denn in diesem Gefühl sind Erfahrungen, die Einschätzungen anderer, und auch die Erinnerung an frühere Fehleinschätzungen präsent. Weil sehr Vieles in das Bauchgefühl fließt, ist es nicht so fassbar wie z.B. der Preisvergleich bei einem Autokauf oder die Vorstellung, wo ich mit diesem Studium einen Arbeitsplatz finde. Wenn die rechte Hirnhälfte nicht berücksichtigt wird, dann kann eine Entscheidung logisch richtig erscheinen und sich trotzdem als Fehlschlag erweisen. Wenn das Bauchgefühl nicht in die Entscheidung eingeflossen ist, sind auch die inneren Widerstände nicht berücksichtigt. Die Umsetzung einer nur logisch entwickelten Entscheidung kann dann schnell scheitern. Bei uns selbst wie in Gremien können wir immer wieder beobachten, dass eine Entscheidung nicht zustande kommt, weil immer wieder Bedenken auf den Plan kommen. Oder ich sage etwas zu und mache es trotzdem nicht. Da fehlt die Energie. Ein Gremium stimmt ab, die Umsetzung bleibt liegen. 

Was passiert, wenn die Ebenen durcheinander gehen?

Wir können es gut in den Talkshows beobachten, was dann abgeht. Da legt ein Gesprächspartner Fakten auf den Tisch, um sachlich über diese „Tatsachen“ zu diskutieren.  Wenn ein anderer dann aber nicht auf der linken Hirnhälfte antwortet, sondern mit seiner rechten Hirnhälfte nicht auf das Sachproblem eingeht, sondern von seiner eigenen Betroffenheit spricht, dann entsteht eine ungute Anspannung. Schafft es die Moderation nicht, beide auf die gleiche Gesprächsebene zu bringen, entsteht Streit. Sachgespräche kann ich durch emotionale Beiträge aushebeln oder anheizen. Gespräche über Persönliches verstummen meist, wenn die Gesprächspartner anfangen zu analysieren, zu bewerten oder auf das Faktische ausweichen. 

Ich Aussagen - man-Aussagen

Wer in Ich-Aussagen redet, spricht von sich und seiner persönlichen Sicht. Da spricht meist die rechte Hirnseite. Wer in der man-Aussage redet, spricht über etwas oder jemanden. Das kann natürlich auch er selber sein, aber dann versteckt er sich hinter dem Wörtchen man, verallgemeinert seine Aussage, um sich nicht so zu zeigen. An der Sprache lässt sich deshalb auch schnell erkennen aus welcher Hirnhälfte wir sprechen. Wenn es mir in Gesprächen gelingt, mit meinen Gesprächspartnern auf der gleichen Ebene zu sprechen, trage ich dazu bei, dass Gespräche fruchtbar werden können. Die einen fühlen sich in ihren Gefühlen, ihren Ängsten wie in ihren Sehnsüchten verstanden, die anderen können miteinander an der Lösung eines konkreten Problems arbeiten.

 

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Kategorie: Analysiert

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