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4. Advent: Auf der Suche nach einem Moment Weihnachten

Jeden Advent aufs Neue nehme ich mir fest vor, einen Gang runterzuschalten. Die besinnliche Zeit auch wirklich mit Entschleunigung und Achtsamkeit zu füllen. Und jedes Jahr aufs Neue scheitere ich am Dezember, der mittlerweile zum Marathon geworden ist.

Als Kind schien die Weihnachtszeit ewig zu dauern. Daran änderte auch nichts die Anzahl an geöffneten Adventskalendertürchen. Das Türchen Nr. 24 hielt nämlich immer etwas mehr als nur Schokolade bereit, daher konnte ich es auch kaum erwarten, bis es endlich geöffnet werden konnte. Der 24. Dezember selbst hatte gefühlt doppelt so viele Stunden wie jeder andere Tag im Jahr. Wie Kaugummi zogen sich die Stunden des Tages hin, bis abends endlich das Essen auf dem Tisch stand und die Geschenke ausgepackt werden durften. Die Tage danach hielten trotz diverser Besuche bei der Familie und den Feiertagsgottesdiensten genügend Zeit für das Weihnachtsprogramm im Fernsehen und zum Ausprobieren der neuen Spielsachen. 

Ein Monat im Dauerlauf

Heute scheint keine andere Zeit im Jahr zu kurz wie der Advent. Ich habe immer noch einen Adventskalender, doch mittlerweile lassen die offenen Türchen meinen Cortisolspiegel in die Höhe rasen. Wie gerne würde ich ein Adventswochenende gemütlich auf der Couch verbringen. Stattdessen pendle ich von Weihnachtsfeier zum Glühweintrinken mit den Schulfreunden. Im Verein steht die Nikolausfeier an, eine Einladung zum Adventskaffeetrinken habe ich auch angenommen und dann gibt es noch die ein oder andere Freundin, die ich seit Monaten nicht mehr gesehen habe, aber unbedingt vor Weihnachten noch treffen möchte. Ich höre im Auto die Weihnachtsplaylist rauf und runter und versuche durch Baumschmücken und Plätzchen backen ein bisschen in Stimmung zu kommen, doch tatsächlich bin ich Gedanklich eher beim Chaos in der Küche und den leeren Dekokisten im Flur, die wieder aufgeräumt werden müssen.

Auf der Arbeit warten noch ein paar kleine Problemchen auf eine Lösung im alten Jahr. Ich zähle sehnsüchtig die Tage bis zu meinem Weihnachtsurlaub, doch das bedeutet auch, dass urplötzlich die Feiertage anstehen, ohne dass ich überhaupt richtig im Advent angekommen bin.  

Drei Tage, zu viele Pläne

Kaum sind die Vorbereitungen an Heiligabend abgeschlossen und die Wohnung auf Vordermann gebracht, steht der erste Stern am Himmel, was bei uns ein Zeichen dafür ist, dass das Festessen beginnen kann. Oft fällt es mir schwer, das Gefühl von Weihnachten überhaupt richtig in mir aufzunehmen. Ich sehne mich nach diesem besonderen, fast magischen Gefühl aus der Kindheit. Nach einer Zeit, die langsamer vergeht. Drei Tage reichen dafür einfach nicht. Ich hätte gerne eine ganze Woche voller Weihnachten, nur um wirklich hineinzufinden.

Am ersten Feiertag ist die Wohnung voll: Meine Nichten probieren ihre neuen Geschenke aus, die Weihnachtsgans liegt schwer im Magen, der Wein entfaltet seine Wirkung – und die Geräuschkulisse erinnert an ein gut gefülltes Fußballstadion. Dann wünsche ich mir manchmal nichts sehnlicher, als einfach auf die Couch zu sinken, das analoge Weihnachtsprogramm einzuschalten und mich von denselben Sendungen berieseln zu lassen wie vor 10 oder 20 Jahren.

Doch der Terminkalender ist voll: Besuche und Einladungen wollen koordiniert, Mahlzeiten geplant und Zeitfenster abgestimmt werden. Brunch bei der Schwiegerfamilie, Kaffeetrinken mit der Oma, Abendessen mit Freunden. Meine soziale Batterie wird dabei ununterbrochen angezapft – und kaum merke ich es, ist Weihnachten schon vorbei.

Eine Stunde Weihnachten 

Ich suche jedes Jahr nach meinem Moment Weihnachten. Und ich finde ihn – in der Christmette. Diese muss nicht vorher koordiniert werden. Sie findet jedes Jahr zur gleichen Zeit, am gleichen Ort statt. Meist sieht man sogar jedes Jahr die gleichen bekannten Gesichter. Die meisten Besucher sind festlich gekleidet, die Tannenbäume am Altar leuchten, die Krippe ist liebevoll in Szene gesetzt. Nichts davon überrascht mich. Und vielleicht ist es genau das, was diesen Ort so besonders macht. Ich weiß, was mich erwartet. Ich muss nichts organisieren, nichts planen, nichts festhalten. Ich darf einfach da sein. Und wenn dann die Orgel einsetzt und laut, aus allen Pfeifen, „Menschen, die ihr wart verloren, lebet auf, erfreuet euch“ erklingt, wenn die Gemeinde versucht, mitzuhalten, und mir der Hals vom lauten Singen ein wenig schmerzt – dann spüre ich es wieder, dieses nostalgische Weihnachtsgefühl. Eine Stunde lang bin ich wieder in meine Kindheit versetzt. Für eine Stunde muss ich nirgendwo anders sein. Ich bin nicht Gastgeber, nicht Gast, nicht Organisator. Ich bin einfach nur da. Und vielleicht muss ich mir beim ein oder anderen Lied sogar eine kleine Träne aus dem Augenwinkel wischen.

Kerstin Barton


Kategorie: Analysiert

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