Sehnsucht nach Alleinsein

Alter heißt, Verwandte, Freunde und Freundinnen zu verlieren. Die andere Seite der Münze: Ich werde anspruchsvoller gegenüber mir selbst und in Bezug auf andere. Jutta Mügge beschreibt diese Paradoxie.

Je älter ich werde, desto mehr spüre ich, dass die sozialen Netze, die ich mir im Laufe des Lebens geschaffen habe, einbrechen. Freunde sterben oder werden krank, sind nicht mehr mobil. Für manche wird das Autofahren in der Dunkelheit zur Last. Leere im Alltag und Alleinsein entsteht dann automatisch, auch weil gemeinsame Treffen, Verabredungen oder Begegnungen immer weniger werden. Entfernungen sind oft zu weit. Es bleibt mehr Zeit, in der ich alleine bin. Leere Stunden, die ich selbst füllen kann. Erstaunlicherweise kann ich das gut aushalten, obwohl ich gerne unter Menschen bin, mit ihnen auch etwas unternehme, gute Gespräche und Begegnungen schätze. Manchmal spüre ich den Wunsch, meinem Leben mehr Ruhe und Stille zu gönnen. Stille, die ich nur im Alleinsein erlebe oder wenn ich mit meiner Nordicwalking-Partnerin durch die Wälder streife. Wir können Stunden ohne Reden gehen, empfinden die Innerlichkeit, die Geräusche aus dem Wald, die Ruhe die sich langsam von außen nach innen einstellt und das, was daraus entstehen kann. Austausch unserer Gedanken, unseres Erlebens, unserer Wahrnehmung und Gefühle. Es sind Gespräche, die uns verbinden, die mich mehr verstehen lassen, wie die andere fühlt, erlebt und denkt.

Sich auf einer tieferen Ebene begegnen

Mich zieht es zu solchen Menschen, die sich mit dem Eigentlichem im Leben beschäftigen, die auch bereit sind, sich mit mir darüber auszutauschen, die von sich erzählen aber auch mir zuhören können, nicht immer nur von sich sprechen. Das ist oft gar nicht so einfach, weil es einen großen Redebedarf gibt. Ich erlebe nicht selten, dass ich zwar viel von anderen erfahre und höre, aber mich niemand danach fragt, wie es mir geht, was mich beschäftigt oder welche Erfahrungen ich zu einem Thema gemacht habe. Ich gehe dann aus solchen Begegnungen weg und frage mich schon, wer bin ich für den anderen? Interessiert er oder sie sich überhaupt für mich? Mir geht es dabei nicht um oberflächliche Gespräche über Krankheiten, Nachbarn oder Kochrezepte, sondern mehr um das, was in einer tieferen Schicht unter dem Alltäglichen liegt.

Was ist das? Wo finde ich das? Es sind die Themen, die sich mit den wichtigen Fragen nach dem woher und wohin meines Lebens beschäftigen. Auch die persönlichen aktuellen Erfahrungen, die geteilt werden, die Herausforderungen, die belasten oder die bearbeitet wurden, aber vor allem die spannende Auseinandersetzung über transzendente Fragen. Welcher Lebensphilosophie folge ich? Wie halte ich es mit dem Religiösen in meinem Leben? Was passiert nach meinem Tode. Wie kann ich meine letzte Lebensphase gestalten, ohne Anderen zu sehr zur Last zu werden? Wie kann es im Alter gelingen, nicht in Einsamkeit zu versinken? Durch solche Gespräche kann ich meine Sichtweise und meinen Horizont erweitern, bekomme Anregungen, erlebe dabei intensive, lebendige Begegnungen, weil sich die persönlichen Erfahrungen und Sichtweisen miteinander in Verbindung setzen. Meist sind es Menschen, die selbst aus den tieferen Schichten ihr Leben gestalten. Diese Beziehungen tragen auch, wenn man sich nicht ständig sieht. Deshalb hängt es im Alter, wenn meine Begegnungen weniger werden, schon davon ab, ob ich Menschen an meiner Seite habe, mit denen ich mich auf dieser tiefergehenden Ebene verbunden fühle. Dann ist Alleinsein, das sich zwangsläufig im Alter einstellen wird, nicht mehr so problematisch. Das Bewusstsein, mich innerlich mit anderen verbunden zu fühlen, schafft mir das Gefühl von Zugehörigkeit und Heimat.

Heimat ist für mich da, wo ich von anderen gewollt bin, geachtet, verstanden werde und wo auch schwierige Themen ausgesprochen werden dürfen. Es ist kein bestimmter Ort, mit dem ich Heimatgefühle verbinde. Wobei ich spüre, dass ich mich auch in der Natur, im Wald besonders wohl und zu Hause fühle. Allerdings gibt es doch einen heimatlichen Ort.

Im Garten allein

Wenn ich in meinem Garten arbeite, bin ich alleine, jedoch nicht allein, denn um mich herum lebt die Natur, die Vögel singen, der Specht klopft an die Bäume, der Wind streicht durch die Blätter, der Regen und die Sonne verwöhnen mein Gemüse. Die jungen kleinen Kröten hüpfen durch die Beete die Kohlweißlinge paaren sich im Flug, die Rosenkäfer, Bienen und Hummeln fliegen um mich herum. Pures Leben. Ich gehöre zu allem dazu. Ich bin ein Teil dieser Natur, ich bin aus ihr geworden. Deshalb fühle ich mich mit ihr verbunden. Im Garten, obwohl ich mich dort oft alleine vorfinde, bin ich nicht alleine, denn es ist immer einer da, diese Natur, die nichts von mir fordert, außer achtsam mit ihr umzugehen, die mich einfach sein lässt, die ihr eigenes Leben ganz unabhängig von mir lebt und gestaltet. Die Pflanzen und Tiere aus denen ich hervorgegangen bin. Ich kann diese Garten- und Waldluft tief einatmen, die Bäume spenden mir den lebensnotwendigen Sauerstoff und mit meinem Ausatmen gebe ich ihnen zurück, was sie dann wiederum verwandeln, damit ich atmen und leben kann.


Kategorie: Verstehen

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