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Ich muss über mein Leben entscheiden

Wir sollen entscheiden, im Kleinen und im Großen, z.B. welchen Beruf ich ausüben werde. Ich kann die Entscheidung nicht einem Berater oder einem Computerprogramm überlassen. Ich muss entscheiden, meine ganzen Person ins Spiel bringen. Wie kommen diese Entscheidungen zustande:

Mit den weittragenden Entscheidungen gebe ich mir selbst Gestalt, bilde meine Person aus. Denn nur ich kann die Verantwortung für die Weichenstellungen übernehmen, mit denen ich mein Leben auf ein bestimmtes Gleis setze. Dafür setze ich meinen Verstand ein, indem ich Vor- und Nachteile abwäge. Wenn am Ende die Alternativen auf dem Tisch liegen, muss die Entscheidung fallen, damit sich die ganze Vorarbeit gelohnt hat und ich nicht planlos, von Zufällen gesteuert, durchs Leben stolpere. Das erfordert Kraft und Risikobereitschaft. Wenn ich ein Studium anfange, bleibt das Risiko, ob ich die Prüfungen schaffe. Wenn ich eine Stelle antrete, dann kann ich mit Vorgesetzten und KollegInnen zurechtkommen oder auch nicht. Wenn ich dann noch mit meiner Berufswahl in der Unzufriedenheit lande, wird das Risiko deutlich, das ich eingehen muss. Damit die Berufswahl oder eine andere Entscheidung auch in schwierigen Phasen belastbar bleiben, müssen sie nicht nur in mein Denken, sondern in meine ganze Person eigepflanzt werden, damit sie sich wie ein Baum entwickeln und Früchte bringen kann. Mit meinen Entscheidungen forme ich meine Person.

Ich handle aus dem heraus, was ich geworden bin

Wenn ich in der Pubertät erstmals spüre, dass ich mein Leben in die Hand nehmen kann und mir die vielen Möglichkeiten deutlicher werden, dann bin ich schon eine Person, die für sich entscheiden kann. Ich muss mich für meine Zukunft von den Abhängigkeiten der Kindheit verabschieden. Mitnehmen muss ich aber das, was während meiner ersten Lebensjahre in mir gewachsen ist. Das ist oft mehr, als mir mit 15 Jahren bewusst ist. Meist erst später entdecke ich, dass sich in meiner Kindheit schon Vorstellungen geformt haben, die mich in der Entscheidung für eine Aufgabe, eine berufliche Perspektive leiten. Ich habe nämlich schon auf meine Umgebung reagiert, bevor ich sprechen konnte. Ich habe früh herausbekommen, wie ich andere dazu bringe, für mich etwas zu tun. Im Spielen mit anderen Kindern musste ich meinen Platz finden und verteidigen. Ich kann da anknüpfen, denn ich bringe aus meiner Kindheit schon eine Lebenspraxis mit und auch Vorstellungen, auf was es mir im Leben ankommen soll.

Jahre der Entscheidung

Wenn ich als Jugendlicher, als Abiturientin, als Zwanzigjähriger die Weichen für mein Leben stelle, dann kann ich auf etwas aufbauen. Ich sollte die Ansätze ausbauen, die ich bereits entwickeln konnte; weitermachen, wo ich mich entwickelt habe. Ich sollte da ansetzen, wo ich Energie freisetzen konnte und die Anerkennung anderer gespürt habe. Auch wenn der Schulabschluss, das Abitur wichtig erscheinen, die meisten stellen im Rückblick fest, dass es nicht die Schule war, obwohl wir seit dem 6. Lebensjahr die meiste Zeit mit Lernen verbracht haben. Gehe ich später in die Entscheidungsphase zurück, kommen mir Personen ins Gedächtnis, die mich gefördert, die mich angestoßen, auf ein Ziel hingewiesen haben. Bei manchen genügte es, dass sie da waren. Ich konnte an ihnen etwas ablesen. Ich kann feststellen, dass diejenigen meiner Lebensenergie Raum gegeben haben, von denen ich angeregt, gefördert, inspiriert wurde. Das zeigt sich an der Gegenprobe: Würde ich diejenigen vor mein geistiges Auge holen, die mir das Leben schwer gemacht, mich gebremst und gehindert haben, dann würden sie mir weiterhin Energie rauben. Sie haben bereits genügend Zeit von mir bekommen, zu viele Gespräche mit anderen sind gelaufen, damit wir die schlechten Erfahrungen verarbeiten konnten. Die unterschiedliche Wirkung anderer Menschen, stellen mich vor die Frage, ob ich auch jemand werden will, an dem sich andere orientieren können.

Ausstrahlung gewinnen

Ich könnte selbst jemand werden, der andere fördert, inspiriert, anderen Kraft abgibt, damit sie sich zu einer Entscheidung durchringen. Eine solche Ausstrahlung gewinne ich, wenn ich in einer Aufgabe aufgehe, wenn es „meine Sache“ ist, die ich betreibe. Wir treffen jeden Tag auf Menschen, die für uns etwas tun, weil sie nicht nur eine Tätigkeit ausüben, sondern einen Beruf haben. Sie brauchen keinen Druck von außen oder hohe Bonuszahlungen, damit sie etwas bewegen. Etwas in ihnen hat „gezündet“. Wahrscheinlich gibt es für jeden Menschen eine solche zündende Vorstellung, was er, was sie aus ihrem Leben machen könnten. Ich gerate damit in eine andere Sphäre. Ich studiere nicht etwas oder mache nicht eine Lehre, weil andere das auch tun, sondern entdecke eine Aufgabe, eine Herausforderung, die mich braucht. Dabei kommen zwei Bewegungen zusammen: Menschen, die mich kennen, spüren, dass ich bei dem angekommen bin, was mich erfüllen wird. Ich selbst spüre meine Einmaligkeit. Ich bin irgendwie angestoßen, gerufen und erkenne, dass es zu mir passt. Die Herausforderung von außen eröffnet mir eine Tür, die mir die größere persönliche Entwicklung verspricht. Das, was mich lockt, wird nicht einfach sein, aber es fasziniert mich so, dass ich die Bedenken, die eigenen und die der anderen, über Bord werfen kann.  

Der Lebensauftrag betrifft mein Inneres

Die Aufgabe, die berufliche Tätigkeit muss nicht spektakulär sein. Eltern haben diesen einmaligen Auftrag für ihre Kinder. Sie „nehmen“ ihr Neugeborenes an, fühlen sich verantwortlich und sind mit ihren Gedanken bei ihren Kindern. Jemand kann seine Kneipe so führen, dass die Menschen sich nicht nur versorgt sondern akzeptiert, wieder erkannt, gefragt fühlen. Am Tresen geschieht in solchen Wirtschaften Seelsorge. Die Pfarrer und Pfarrerinnen können ja nur einen kleinen Bereich der Seelsorge abdecken. Oder die Verkäufer und Verkäuferinnen, die Kundinnen und Kunden helfen, dass sie in der gekauften Kleidung gut aussehen, die Ärzte, die ihre Patienten durch die Krankheiten begleiten. Auch  diejenigen, die keine Karriere machen wollten und dann doch mit einer Leitungsaufgabe betraut wurden, deren Lasten sie schultern müssen. Es sind nicht nur die Künstler, die Bleibendes schaffen, auch diejenigen, die ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht haben, gestalten unsere Lebenswelt.

Einmaligkeit bestätigt Freiheit

Entscheiden ist also nicht nur die Festlegung auf eine der Möglichkeiten, sondern zielt auf Einmaligkeit. Das ist in der Freiheit selbst begründet. Wenn ich aus hundert Automodellen eines auswähle, bin ich noch wie die anderen, die die gleiche Wahl getroffen haben. Originell, d.h. ich selbst werde mit dem Auto erst zur Person, wenn ich die Ziele auswähle und das Auto dorthin lenke. Ein Handy macht mich so lange mit allen Nutzern gleich, so lange ich das abrufe, was Instagram, Facebook, Google mir auf den Bildschirm holen. Erst wenn ich mit dem Smartphone fotografiere, eine besondere Beobachtung mitteile oder etwas erzähle, bin ich es, der als Person erkennbar wird. Ich kann einen Beruf wählen, den viele andere auch ausüben. Erst wenn ich eine Note einbringe, die nur ich zustande bringe, verwirkliche ich meine Freiheit. Es ist wohl so:

Erst mit der Einmaligkeit werde ich Person und verwirkliche das, was in meiner Freiheit angelegt ist. Freiheit besteht nur oberflächlich darin, dass ich unter 100 Automobilen wählen kann. Wirklich frei werde ich, wenn ich einen Fingerabdruck hinterlasse, der nur von mir kommen kann. Wenn jeder von uns eine einmalige Iris hat, dann muss das auch für meine Person gelten.

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Kategorie: Verstehen

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