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Der Corona-Lockdown stärkt meine Resilienz

Inzwischen liegen sechs Monate Corona Erfahrungen hinter uns. Monate mit Herausforderungen, die noch nie da waren. Ich musste wie viele andere Menschen auch psychisches Brachland betreten. Leere, da wo der „normale“ Alltag sonst die Zeit gefüllt hat.

Soziale Isolation

Für jeden von uns hat sich in dem halben Jahr viel verändert. Für Alleinlebende besteht auch nach wie vor die Herausforderung, mit dem Alleinsein zurecht zu kommen. Manche schaffen das gut, anderen fällt die Decke auf den Kopf, wieder andere haben das Gefühl, dass sie nicht mehr richtig leben, wenn die Kontakte fehlen. Dass auch Urlaube in Frage stehen oder Einladungen nur noch begrenzt stattfinden, Geburtstage nicht wie gewohnt gefeiert werden können, versetzt viele in ein Vakuum. Die Leere macht Angst. Wieder andere ignorieren Corona, selbst auf die Gefahr hin, sich anzustecken. Für unsere Kinder und diejenigen, die nicht unabhängig ihr Leben gestalten können, wie unsere Kranken und die bettlägerigen Senioren, ist Corona eine massive psychische Belastung, denn sie sind auf Kontakt, Unterstützung und Hilfe dringend angewiesen.
Was ist aber mit all denjenigen, die gesund im Leben stehen? Weshalb sind da so unterschiedliche Gefühle im Spiel? Muss das Alleinsein zwangsläufig Angst machen und zur Einsamkeit führen?

Einsamkeit ist nicht zwangsläufig die Folge von Alleinsein

Es ist ein extrem schwieriges Experiment, das wir augenblicklich zu meistern haben. Aber wenn wir genau hinschauen, dann ist Einsamkeit nicht zwangsläufig die Folge von Alleinsein. Ich kann mich alleine sehr einsam fühlen, wenn ich keine Kontakte habe, keine Kommunikation mit anderen pflege, kein soziales Netz mich auffängt, wenn um mich herum alles zusammenbricht. Ich kann mich aber auch in Gemeinschaft einsam fühlen. Wenn ich mich dort nicht unterstützt fühle, nicht gemeint, nicht gewollt bin oder mich überflüssig fühle. Wenn meine Person im sozialen Gefüge nicht vorkommt, wenn die Achtung meiner Person fehlt, dann entsteht schnell das Gefühl von Einsamkeit obwohl ich nicht alleine bin. Alleinsein lässt sich aushalten, wenn ich weiß, dass es Menschen gibt, für die ich wichtig bin, die für mich wichtig sind, zu denen ich eine Beziehung habe, mit denen ich mich verbunden fühle, die mit mir Kontakt auch über Distanz halten. Auch gläubige Menschen, die in einer vertrauten Beziehung zu Gott leben, fühlen sich meist nicht einsam. Manche zieht es sogar in das Einsiedlerleben. Jedoch auch wenn diese Bedingungen gegeben sind, bin ich nicht davor gefeit, in dieses Gefühl des Verlassenseins hineinzurutschen. Einsamkeit ist ein Grundgefühl des Verlorenseins, das tief in meiner Seele lebt. Jeder von uns kennt es. Wir haben sogar schon als Jugendliche Erfahrungen mit diesem Gefühl gemacht. Wir konnten uns aber auch daraus befreien.

Kann ich Einsamkeit überwinden?

Ich bin oft alleine, aber fühle mich eher selten einsam und dennoch überfällt mich manchmal „das arme Dier“. Dann ist die Versuchung groß, dass ich mich bemitleide, wie arm ich doch dran bin. Auch kann ich mich so richtig in den psychischen Schmerz hineinsteigern. Damit wird aber nichts besser. Damit ich nicht im Selbstmitleid verschwimme, hilft mir der genaue Blick auf die Situation. Wie sieht sie aus? Weshalb ist es so gekommen? Was kann ich tun? Mit dem genauen Blick auf das, was mich so niederdrückt, kann ich meine Gefühle realistischer betrachten. Damit gelingt es mir, die andere Seite der Medaille zu sehen. Denn jede Situation hat zwei Seiten. Welche Chance, welche Entwicklungsmöglichkeit liegt jetzt gerade in dieser Situation? Ich kann die Erfahrung nutzen, um mich zu stabilisieren, meine Widerstandskräfte zu stärken. Corona, wenn ich die Auflagen ernst nehme, zwingt mich dazu, mich psychisch zu stabilisieren, gerade weil die Anregungen von außen fehlen. Jede schwierige Situation im Leben, die ich bewältige, indem ich sie mir genau anschaue und bearbeite, hilft mir  neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken, womit  ich immer belastbarer werde. Ich lerne, mehr auszuhalten, ohne innerlich zu verhärten. Jede bewältigte Situation stärkt nicht nur meine Resilienz, meine Widerstandskraft, sondern auch mein Selbstwertgefühl, eine Grundvoraussetzung für Resilienz. Sie ist meine Stütze in der Krise, denn da brauche ich diese innere Kraft, um nicht abzustürzen.

Neues Lernfeld

Jede Krise, die ich bewältige, bringt mich in meiner Entwicklung einen Schritt weiter. Sie macht mich reifer, stärker in meiner Psyche. Sie schenkt mir mehr Lebensenergie. Sie ist nicht abhängig davon, ob von außen etwas da ist das mich stimuliert, denn die Energie kommt aus meinem Innern. Ließe ich mir diese Herausforderungen abnehmen, würde ich nicht entdecken, was ich kann, was ich mir zutraue, was ich aushalte. Dafür brauche ich nur den Willen, lernen zu wollen. Damit entwickle ich auch die Ausdauer für das Neue. Corona nimmt mir nichts ab. Im Gegenteil, ich muss jeden Tag durch alle Gefühlsschwankungen hindurch, um mit den Einschränkungen fertig zu werden.
Die Bewältigung dieser Aufgabe aber bedeutet für uns alle auch die Chance, in unserer Persönlichkeit zu wachsen.

Wie kann ich meine Widerstandskraft stärken?

Wie belastbar ich in Krisen bin, hängt von meinen Erfahrungen und meinem Eigenstand in der Welt ab. Je besser ich mich kenne, das heißt meine Handlungen reflektiere, sie verstehe, desto selbstbewusster kann ich durchs Leben gehen. Je direkter ich schwierige Situationen bearbeite, sie nicht in mein unbewusstes Handeln verdränge, desto mehr psychische Kompetenz kann ich mir aneignen. Kenne ich mich, weiß ich Dinge einzuschätzen, kenne ich die Konsequenzen? Mit Meditation, durch Literatur, in Gesprächen mit engen Freunden kann ich das Wissen über mich erweitern, denn ich sehe mich ja nur mit meinen Augen. Meinen blinden Fleck sehen andere. Ich kann also durch Austausch über das, womit ich für den anderen hilfreich, aber auch schwierig bin, viel über mich erfahren. Auch Sport ist immer ein Mittel, um in ein Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Seele zu kommen. Dabei spielt auch Ernährung eine wichtige Rolle, denn wenn ich zu satt bin, mich ungesund ernähre, werde ich auch träge. Es sind kleine Schritte im Leben, die ich gehen kann. Persönliche Entwicklung ist kein Weitsprung, sondern eher der Trippelschritt auf dem Lebenspfad. Achtsamkeit für meine Schritte hält mich auch in der Aufmerksamkeit für das, was geschieht.
Wenn ich dann noch am Abend den Tag reflektiere, kann ich erkennen, welche Korrekturen ich vornehmen will. Denn meine psychische Ausgeglichenheit hängt weitestgehend davon ab, wie achtsam ich mit den Herausforderungen des Alltags umgehe.


Kategorie: Verstehen

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