Die Physik erklärt das Böse nicht. Kathedrale von Amiens. Foto: hinsehen.net E.B.

atheistisches Missverständnis der Religion

"Es gibt keinen Gott." Das folgt für Stephen Hawkins aus den Erkenntnissen der Physik über die Entstehung des Universums. Die Religion ist aber keine Theorie über die Entstehung des Kosmos, sondern das Versprechen für ein gelingendes Leben. Sie hat es mit Schuld und Vergebung zu tun und nur in dem Zusammenhang über den Bau der Welt, ob nämlich das Böse im Bauplan vorgesehen ist.

Religion thematisiert nicht die Gesetze, die die Planetenbahnen mathematisch beschreiben, sondern wie der Mensch sein Zusammenleben regeln soll und seine Person entwickeln kann. Religion gibt es vor allem deshalb, weil das Böse die Geschichte bestimmt. Das Böse setzt Bewusstsein voraus. Diejenigen, die böse handeln, machen nicht nur einen Fehler, sondern wollen zerstören. Deshalb steht die Geschichte von Kain und Abel und nicht die Entdeckung eines Naturgesetzes am Anfang der Bibel. Erst in diesem Zusammenhang kommt die Frage nach dem Ursprung: War das Böse an der Schöpfung beteiligt, ist es eingebaut in die Strukturen und wie steht der Urheber des Weltalls zum Bösen? Die Frage, die vor allem Buddhismus und Christentum bestimmen, ist die, wie der Mensch vom Bösen loskommt. Wie kann er mit dem Bösen fertig werden? Immer geht es darum, wie der Mensch leben soll, denn aus ihm soll etwas werden, das eine Ewigkeit hält. 

Das Böse ist physikalisch nicht greifbar

In seinem Buch "Kurze Antworten auf große Fragen" kommen Holocaust, die Diktaturen, die Kriege, das Zerstörerische der gegenwärtigen Zivilisation, Mobbing, Mord und Totschlag nicht vor. Stephen Hawkins handelt über Urknall, ob es im Universum noch dem Menschen vergleichbare intelligente Lebewesen gibt, Zeitreise, künstliche Intelligenz, ob wir die Zukunft voraussagen können. Das Ansinnen der Atheisten ist vergleichbar dem Versuch, die Steine, das Holz der Türen, die Zusammensetzung des Mörtels zu untersuchen, um herauszufinden, was die im Museum aufgehängten Bilder darstellen oder die von einer Bibliothek ausleihbaren Bücher beinhalten. Es ist eine ganz andere Seins-Ebene, für die die Physik gar keine Erkenntnismittel hat. Ob Kunst, Literatur, Malerei, sie stellen das Menschliche dar, was die Besucher bewegt, was sie tun sollen, was ihr Leben erfüllt, woran sie scheitern. Darauf gibt es keine abschließenden Antworten. So wie die Steine nicht von den Gemälden im Museum reden, so auch nicht die Physik über das, was die Religion thematisiert. Die Fragen nach dem Ursprung des Weltalls werden deshalb nicht zur Ruhe kommen, weil der Mensch nach dem Warum seiner Existenz fragt, auch wenn Hawkins bereits im ersten Kapitel feststellte: "Meiner Ansicht nach lautet die einfachste Erklärung, dass es keinen Gott gibt. Niemand hat das Universum geschaffen und niemand lenkt unsere Geschicke." S. 62 Da fangen die Fragen doch erst an. Wenn es keinen höheren Geist gibt, dann bleibt die Frage genauso brennend, für was dieses Leben gelebt werden soll. Auch dafür scheint der Autor eine abschließende Antwort gefunden zu haben. Er schreibt auf S. 62f weiter: "Es gibt wahrscheinlich keinen Himmel und kein Leben nach dem Tod. Der Glaube an ein Jenseits ist lediglich Wunschdenken. Es gibt keine verlässlichen Belege dafür, und die Annahme widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ich denke, dass wir wieder zu Staub werden." Physikalisch klingt das wie eine objektive Aussage, als Antwort auf die Warum-Fragen, die schon Kinder stellen, erscheint mir diese Antwort zynisch. Seinen Zynismus bestätigt der Autor selbst. „Aber es gibt eine Form, in der wir weiterleben: in unserem Einfluss und in den Genen, die wir an unsere Kinder weitergeben“. Wenn der Mensch nicht für seine Person eine Antwort bekommt, sondern Kinder braucht, um seinem Leben einen Sinn zu geben, dann wird die Nachkommen zum Zweck für seine Vorfahren. Das war die Überzeugung unserer germanischen Vorfahren: Weiterleben durch den Ruhm als Kämpfer. Heute sind die Trophäen Nobelpreise. Führt aber nicht die moderne Physik unser Denken dahin, dass es einen Zustand geben könnte, der der Zeit enthoben ist.

Die Frage nach Gott zielt auf eine Welt, die anders ist als unsere

Würde man die Frage, ob es Gott gibt, wissenschaftlich angehen, müsste man erst einmal fragen, wie Menschen auf die Idee gekommen sind, dass es einen Urheber nicht nur des Weltalls gibt, sondern auch von jedem einzelnen. Mit dem Fachwissen der Physik ist darüber nichts zu sagen, denn Hawkins beschreibt selbst, dass die Instrumente, mit denen die Physiker Erkenntnisse gewinnen, über die Grenzen dieses Weltalls nicht hinausreichen. Weiter besagen die Erkenntnisse der Physik, dass Raum und Zeit nur in diesem Kosmos gegeben sind. Es gibt vor dem Urknall keine Zeit und keinen Raum. Unsere Vorstellung funktionier allerdings nicht so wie die Relativitätstheorie. Wenn wir uns vorstellen, dass dieses Weltall vor 13,5 Milliarden Jahren entstanden ist, denken wir uns immer eine Zeit davor. Diese Vorstellung entspricht nichtmehr der Wirklichkeit, in die die Physiker im 20. Jahrhundert tiefer eingedrungen sind. Daraus folgt aber nicht, dass ich nicht in einer anderen Wirklichkeit, in der keine Uhr läuft, nicht doch existieren werde. Dass es diese andere Wirklichkeit gibt, davon berichten nicht wenige Menschen, die durch eine Nahtoderfahrung oder, was wohl häufiger vorkommt, durch Begegnung mit einem kürzlich Verstorbenen, eine Erfahrung dieser anderen Wirklichkeit machen konnten. Ich habe selbst vier Menschen getroffen, die von einer solchen Erfahrung tief geprägt sind. Ehe man zu der Gewissheit kommt, dass es außerhalb dieses Kosmos nichts mehr gibt, das für meine Existenz von Bedeutung wäre, sollte man diese und andere Phänomene prüfen. Diese andere Wirklichkeit muss, so verlangen es die Erkenntnisse der Naturwissenschaften, nicht der Zeit unterworfen sein. Das sehen die Religionen seit jeher so. Selbst Hinduismus und Buddhismus, die von Wiedergeburten ausgehen, versprechen eine Befreiung aus dem Räderwerk der Zeit. Auch eine andere Tatsache auf der Ebene der Physik, die Unumstößlichkeit der Naturgesetze, muss nicht so gedeutet werden, dass Gott gar keinen Einfluss mehr auf diesen Kosmos haben kann. Die fraglose Gültigkeit der Naturgesetze heißt gerade nicht, dass alles festgelegt sein muss. Wir können sie als Hinweis dafür sehen, dass eine höhere Macht die Freiheit des Menschen will.

Die menschliche Freiheit braucht eine stabile Welt

Wir verwirklichen unser Leben, indem wir etwas säen und ernten, ein Haus bauen, Waren von A nach B bringen. Wir brauchen also etwas, was wir berechnen, in die Hand nehmen können. Wir brauchen auch, wenn wir mit dem Zug oder dem Flugzeug wohin kommen wollen, verlässliche Ankunftszeiten. Würde sich unsere Umwelt ständig ändern, also der Herbst vor dem Sommer kommen, würde Hamburg plötzlich südlich von München liegen, müssten wir uns ständig auf neue Verhältnisse einstellen und kämen nicht zu dem, was wir selbst vorhaben. Das Covis-19-Virus hat uns gezeigt, was mit einer Welt passiert, die nicht mehr verlässlich ist. So etwas wie die Staus auf den Autobahnen gäbe es dann in allen Lebensbereichen. Damit entfällt das zentrale Argument, welches Gott aus dem Ursprung des Universums herausdividiert. Nach Hawkins lautet dieses Argument so: Der Kosmos hat sich, entsprechend den ihm mitgegebenen Naturgesetzen aus sich alleine entwickelt. Für Gott gab es damit keine Möglichkeiten einzugreifen. Man könnte auch in eine ganz andere Richtung denken: Weil Gott die Freiheit des Menschen will, hat er die stabilisierende Wirkung der Naturgesetze dem Weltall mit auf den Weg gegeben. Diese Erklärung macht Gott zu einem Ingenieur, das ist natürlich nur ein ungenügendes Denken. Ungenügend ist aber nicht die Feststellung, dass sich die menschliche Existenz von der Freiheit her entscheidet. Die Naturgesetze, die oft als Argument dienen, der Mensch können gar nicht frei sein, sind in ihrer immer gleichen Wirkung für die Ermöglichung von Freiheit unerlässlich. Daraus ergeben sich zwei Denkwege, denen nachzugehen es sich lohnt:

1. Da die Freiheit kein physikalisches Phänomen ist, kann sie auch nicht durch die Naturwissenschaften erklärt werden. Dazu Unsere Freiheit kommt nicht aus der Natur

2. Gott, wenn es ihn gibt, ist die sichere Instanz, die meine Freiheit garantiert, denn die Menschen und auch kein Staat garantieren im Letzten meine Freiheit. 
Unverfügbar: Einzigartigkeit – Würde - Freiheit

Schwieriger ist die Frage nach dem Bösen. Viele Menschen fragen sich, wieso ein Gott nicht eingreift und das Mobbing, die Kämpfe und Kriege einfach unmöglich macht. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Gerade deshalb gibt es die Religion, dass es nämlich eine andere Welt gibt, von der das Böse ausgeschlossen ist. Mehr dazu: Das Böse

Theodizee - die Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen

Nachtrag zur Theorie der Quantenfluktuation:
Zur Entstehung des Kosmos aus dem Nichts: Die These von Hawkins "Niemand hat das Universum geschaffen" wird so erklärt: Aus der Quantenfluktuation entsteht immer wieder Universen. Da mit solchen Eruptionen genauso viel positive wie negative Energie entsteht, sinken diese wieder in sich zusammen. Durch Zufall ist das mit unserem Kosmos nicht passiert. Er ist deshalb so leer, so dass wir mit dem Fernrohr bis in die entlegensten Sphären schauen können, weil etwas mehr positive Energie übrig geblieben ist. Die Philosophie, vor allem Hegel, hatte schon ähnliche Vorstellungen entwickelndes nämlich, dass dem Positiven ein Negatives entgegensteht. Die physikalische Vorstellung scheint aber auch nicht einfach zuzutreffen, weil inzwischen von dunkler Materie ausgegangen wird. Die Physik ist nicht abgeschlossen. Damit bleibt auch die Frage nach Gott offen. 

Buchempfehlung: Sehr viel gründlicher als Stephen Hawkins informieren Harald Lesch und Josef F. Gaßner über den Stand der Physik wie auch über die Evolution des Lebendigen in „Urknall, Weltall und das Leben: Vom Nichts bis heute Morgen“


Kategorie: Verstehen

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang