Altes lassen, um Neues anzugehen
Wie schwer fällt es doch am Beginn des Renteneintritts, sich von dem zu verabschieden, was mich 30 oder 40 Jahre lang beschäftigt hat. Viel Lebenszeit ist in diese Tätigkeiten geflossen. Sie haben nicht nur die Zeit in meinem Tagesablauf bestimmt, strukturiert und lebendig gehalten, sondern meinem Dasein auch Sinn vermittelt. Wenn es mir in jungen Jahren gelungen war, meine Berufung zu finden und zu leben, dann tritt jetzt ein Vakuum ein, das ich erst einmal schmerzhaft als Verlust erlebe. Dieses Vakuum spüre ich vielleicht als Unausgefülltsein. Ich muss das aushalten, denn das Neue, womit ich mir meine letzten Lebensjahre mit neuem Leben fülle, ist oft noch nicht in Sicht. Es sei denn ich habe bereits in meinem aktiven Arbeitsleben daraufhin gearbeitet. Das Neue, das mich für mein Alter zufrieden stellen soll, braucht Zeit, damit es wachsen kann. Bis dahin entsteht oft ein Gefühl der Leere. Nicht immer gestehe ich mir diese Leere ein, habe Geduld sie auszuhalten. Kann ich das Alte loslassen oder macht mir dieses Vakuum soviel Angst, dass ich mir noch eine Türe in die Vergangenheit offenlasse, noch mitmische? Diese Zwischenphase des Lassenkönnens und dem was sich dann als Neues herausfiltert, ist schwer zu ertragen, denn ich spüre auch die Sorge, dass sich da vielleicht gar nichts auftut. Aus früheren Erfahrungen in ähnlichen Situationen weiß ich jedoch, dass das Neue sich erst dann zeigt, wenn ich mich entschieden von dem verabschiedet habe, was vorbei war. Erst dann ist Platz für etwas anderes. Erst dann ist auch Platz für die nächste Generation.
Der nächsten Generation zutrauen
Mit meinem Wechsel in den Ruhestand kommt die nächste Generation zum Zuge. Die Jungen übernehmen den Stab. Solange ich da noch mitmische, können sie nicht mit ihrer vollen Kraft und ihren Ideen einsteigen. Ich behindere damit nicht nur meine Entwicklung, sondern auch die der Jungen. Die Stabübergabe setzt meine Nachfolger in den eigenverantwortlichen Stand, erst dann können sie richtig loslegen. Damit das gelingt, brauche ich Vertrauen in die Jungen. Traue ich ihnen zu, dass sie mein Erbe gut verwalten oder dass sie sogar meine Fehler ausmerzen? Mir muss klar sein: Sie übernehmen nur dann die Verantwortung, wenn ihnen das Feld auch offiziell übertragen ist. Ansonsten bleiben sie in der Warteschleife hängen. Das heißt nicht, dass ich nicht noch im Hintergrund da bin, wenn es brennt, wenn sie mich wirklich brauchen. Für meine Lebensphase aber ist es jetzt wichtig, dass ich loslasse. Das Neue, das für mich dran ist, kann ja erst wachsen, wenn ich dafür in mir auch den Platz frei räume.
High Heels passen nicht mehr
Alte Füße brauchen ein eigenes Schuhwerk. Da passen High Heels nicht mehr, genauso wenig wie die umgedrehte Kappe bei einem 70-Jährigen Kopf oder aber ich mache mich vor den Jungen lächerlich. Mit welcher Würde will ich den Jungen begegnen? Wie möchte ich von ihnen wahrgenommen werden? Will ich als alternder Mensch würdevoll behandelt werden, hängt das sehr von meinen Handlungen, meinem Umgang mit ihnen wie von meiner Ausstrahlung ab. Da spielt es eine große Rolle, ob ich einen eigenen Inhalt für mein Alter, einen eigenen Stil für meinen letzten Lebensabschnitt entwickle. Ein Inhalt, der mich von innen her zufrieden macht, mit dem ich eigenständig und unabhängig bleibe. Es soll etwas sein, das meinem Leben Sinn vermittelt. Finde ich meinen neuen Platz, meinen eigenen Stil im Alter, muss ich nicht von dem leben, was die Jungen zustande bringen. Deshalb brauche ich etwas Eigenes für mein Altersprofil. Etwas, das ich vielleicht schon immer gerne gemacht hätte, etwas das ich aus Zeitgründen lange Jahre vernachlässigt habe oder gar etwas, das meine soziale Ader fordert. Ein Ehrenamt adelt das Alter. Damit kann ich mir eine sinnvolle Aufgabe stellen, aber auch meine Begabungen aus meiner aktiven Zeit in anderer Form nutzen. Gleichzeitig unterstütze ich die sozialen, ökologischen, kulturellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft und entlaste die Jungen, denn sie haben für Ehrenämter oft zu wenig Zeit. Mit solchen Entscheidungen definiere ich auch bereits meine Rolle gegenüber meinen Kindern.
Nicht in die Pflegebedürftigkeit stolpern
Mit der Entscheidung für meine Aktivitäten im Alter entlaste ich auch meine Kinder, denn ich übernehme damit die Verantwortung für meine Zufriedenheit selbst. Da müssen die Jungen nicht ständig parat stehen, um mich zu unterhalten, mit mir etwas zu unternehmen oder sich Sorgen machen, ob es Mama oder Papa gut geht. Zur Entlastung der eigenen Kinder aber auch zur Befreiung meiner eigenen Ängste vor dem, wie sich mein Älterwerden entwickelt und was passiert, wenn ich nicht mehr kann, möchte ich auch das für mich rechtzeitig organisieren. Ich will selbst entscheiden, wie ich alt werden möchte, unter welchen Bedingungen ich auch in schwierigen Situationen noch alleine leben will. Dafür brauche ich einen realistischen Blick, denn wer am Berg wohnt, kann irgendwann nicht mehr gut spazieren gehen. Wer alleine lebt, braucht früher oder später Unterstützung. Was will und muss ich für diese Situationen entscheiden, ohne dass ich meine Kinder zu sehr in Anspruch nehme? Erst meine eigene Entscheidung entlastet sowohl mich als auch sie, denn ich übernehme selbst Verantwortung dafür, sie müssen nicht über mich verfügen, wenn ich nicht mehr alleine leben kann. Übrigens machen diese Entscheidungen für alle den Kopf frei und eröffnen neue Beziehungsfelder.
Weiterer Artikel:
Alter als neue Lebensphase erfordert auch viele Entscheidungen im Einzelnen. Wenn die Entscheidungen frühzeitig getroffen werden, kann ich selbstbestimmt alt werden
Das Alter eröffnet neue Horizonte – im versöhnten Blick auf mein Leben und dem Wohlwollen gegenüber dem, was wächst: alt geworden – und was jetzt
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!