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„Meine Schizophrenie“, ein biografischer Bericht

Die Kenntnisse über eine psychische Erkrankung vermitteln kaum das, was der „Leidende“, seine Angehörigen und das weitere Umfeld erleben. Schreibt ein Betroffener seine Geschichte nieder, vermischen sich oft Tatsachen mit für die jeweilige Krankheit typischen Gedankengängen. Klaus Gauger hat über seine paranoide Schizophrenie geschrieben und schafft es, Leser mit in seine Krankheit hineinzunehmen und die Welt der Psychiatrie zu verstehen. Der rote Faden, so spürt man beim Lesen, ist Respekt, der im „Gesundheitssystem“ oft nicht die oberste Priorität hat.

Ein psychisch Erkrankter kann Glück haben und gerät an einen guten Psychotherapeuten oder Psychiater, der offen mit der zu stellenden Diagnose umgeht und handelt. Genau hier liegt jedoch ein Problem. Klaus Gauger findet erst in Spanien Hilfe, weil dort gehandelt werden darf. Ein richterlicher Beschluss kann dort eine Behandlung nicht nur dann möglich machen, wenn Fremd- oder Selbstgefahr besteht, sondern wenn die Erkrankung schwer genug ist. Manchmal ist es einfach nötig, nach bestem Wissen und Gewissen Medikamente auch gegen den Willen oder die Einsicht des Erkrankten zu verabreichen. Das mag als Eingriff in die Freiheit des Einzelnen verstanden werden, doch nach der Lektüre des Buches von Klaus Gauger wird man hierzu eine differenziertere Einstellung entwickelt haben.

Der Prozess

Zu verstehen oder nachzuempfinden, was in einem Menschen vor sich geht, der an einer Schizophrenie erkrankt ist, scheint schon vom Wort her, das wir für den Erkrankten nutzen, geprägt zu sein, der Erkrankte wird als Patient bezeichnet. Man stellt sich ihn als einen Leidenden vor. Klaus Gauger jedoch formuliert dagegen sehr deutlich: „man muss sich den Psychotiker Klaus Gauger als einen glücklichen Menschen vorstellen, um Camus‘ berühmtes Diktum über Sisyphus zu zitieren.“ Selbstverständlich gibt es das Getriebensein, Halluzinationen, die Angst machen oder auch die Scham, weil man erkrankt ist. Die Gefühlswelt eines Schizophrenen ist, um es systemisch zu formulieren, allerdings auch schön und bunt. Auf der anderen Seite stehen die Angehörigen. Für die kann das Verhalten des Erkrankten zur Hölle werden, weil sie zu ihm keine Beziehung mehr finden und deshalb hilflos sind. Klaus Gauger reist in seinem Wahn um die halbe Welt, Eltern und Bruder wissen nicht, wo er gerade ist, ob er sich in Gefahr begibt. Sie schicken Geld, wenn sie darum gebeten werden und hoffen, dass der Wahnsinn ein Ende nimmt. Die Mutter wird darüber depressiv. Der Vater plagt sich mit Schuldvorwürfen. Auch hier wäre von den Ärzten eine größere Offenheit verlangt. Im Buch hat der Vater ein Nachwort geschrieben, in dem er beklagt, dass die Ärzte die Diagnose einfach nicht deutlich benennen. Eher kommt von unbeteiligten Personen eine klare Aussage zum Gesundheitszustand es Sohnes. Der Vater schreibt von einer möglichen Schuld, die nicht durch die Ratgeber oder die Ärzte weggeredet werden kann. Auch hier wäre eine Direktheit und Offenheit notwendig. Natürlich kann man bei den Eltern auch eine Schuld für die Erkrankung des Kindes finden. Beim Lesen des Nachworts gewinnt man auch den Eindruck, es hätte dem Vater geholfen, wenn er bei sich eine Ursache gefunden hätte. Einem Menschen die Mitschuld am psychischen Leiden eines anderen Menschen zu geben, bedeutet nicht gleichzeitig, ihn zu verurteilen, sondern ihm die Möglichkeit zu geben, das Ganze aufzuarbeiten und den Blick zu weiten, zu dem der Schizophrene in seinem Egowahn nicht in der Lage ist.

Der Blick über den Erkrankten hinaus

Klaus Gauger schafft es, bei seinen Schilderungen die soziale Dimension seiner Erkrankung deutlich zu machen. So sind psychisch Erkrankte den Schlechtigkeiten anderer Menschen ausgesetzt, sie sind eine leichte Beute für Bauernfänger, sie werden ausgenutzt. Ein psychisch Erkrankter ist nicht nur durch seine Erkrankung eingeschränkt, sondern auch dadurch, dass er sozial isoliert wird, dass es schwer ist, mit einer „Psycho-Vorgeschichte“ eine Arbeitsstelle zu finden. Oft werden Erkrankte, die kognitiv voll auf der Höhe sind, in eine „Behindertenwerkstatt“ geschickt, in der sie Schrauben sortieren müssen. Das ist entwürdigend. Ebenso ist mit Scham behaftet, was jemand in seinem Wahn veranstaltet hat. Er hat Menschen beleidigt, geschlagen, diffamiert, er kann dies für sich zwar im Nachhinein als Teil seiner Krankheit sehen, doch vor den Anderen schämt er sich. Den anderen fällt es verständlicherweise auch schwer, solche Vorwürfe und Angriffe einfach zu vergessen.

Was hilft

Klaus Gauger vertritt in seinem Buch die eindeutige These, dass die medikamentöse Einstellung das Wichtigste bei der Behandlung seiner paranoiden Schizophrenie war. Das kann man sicherlich ein wenig anders sehen und der Autor selbst gibt einige Hinweise dafür, was Erkrankten sonst noch hilft. „Der Abstand zwischen Arzt und Patient scheint mir in Spanien ebenfalls kleiner zu sein. Die Psychiater sind dort meistens nicht jene >Halbgötter in Weiß< wie in Deutschland – sondern eben Menschen wie du und ich.“ Es reicht nicht, ein „richtiges“ Medikament zu verabreichen, es muss auch darauf geachtet werden, dass die Nebenwirkungen erträglich sind und nicht weitere Schäden verursachen. Bei Klaus Gauger war es der Appetit, der zu einer erheblichen Fettleibigkeit führte und damit zu einem negativen Selbstbild. Es war auch die fehlende Libido, wodurch der Wunsch zur Kontaktaufnahme reduziert war. Ganz am Anfang hätte geholfen, wenn die Psychiater offen und ehrlich über die Diagnose gesprochen hätten und psychoedukativ vorgegangen wären, wenn sie mit den Eltern gesprochen hätten und diese Ansprechpartner gehabt hätten. Vor allem und das ist für die im Gesundheitswesen Tätigen beschämend, bedarf es des Respekts und eines freundlichen Umgangs mit dem Erkrankten und seinen Angehörigen. Klaus Gauger spricht dieses Defizit sehr deutlich an, er verfällt jedoch nicht in einen vorwurfsvollen Ton. Es geht ihm auch nicht darum, einen Rundumschlag zu machen. Man könnte das deutsche Krankenwesen, den Einfluss der Pharmaindustrie, die zum Teil unwürdigen Handlungsweisen der Krankenkassen, die fehlende politische Konsequenz usw. an den Pranger stellen, doch ist es das Anliegen von Klaus Gauger, die Welt, in der psychisch Erkrankte und deren Umfeld gefangen sind, nachvollziehbar zu machen. Dass dabei auch die Defizite und desaströsen Zustände im Gesundheitswesen spürbar werden, liegt in der Sache.

Fazit: Ich konnte das Buch nicht weglegen, meine, durch die Lektüre etwas mehr von der Welt eines psychisch Erkrankten verstanden zu haben und wünsche, dass viele dieses Buch lesen: Erkrankte, damit sie sich wiederfinden und selbstbewusster fühlen können; Angehörige, damit auch sie Stärkung erfahren; Ärzte, Psychologen und Pflegepersonal, damit sie mehr als ihren Job machen, ehrlich und freundlich sowie respektvoll sind; Verantwortliche in Politik und Gesellschaft, damit sie spüren können, für wen sie Gesetze, Verordnungen und Wirtschaftspläne machen und zuletzt auch Forscher, die durch wirksame Medikamente ohne große Nebenwirkungen erheblich zum Wohl psychisch Erkrankter beitragen können.

Eine Seelenkrankheit stellt Fragen nach der Seele

Klaus Gauger, 2018. Meine Schizophrenie. Freiburg im Breisgau: Herder   20 Euro


Kategorie: Gelesen

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