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Werte oder warum lebe ich noch?

Wir sind darauf angewiesen, dass die Anderen sich an die Verkehrsregeln halten, mich nicht betrügen und überhaupt leben lassen. Warum sollten sie das tun? Weil es unvernünftig ist, so sehr verkürzt, Jürgen Habermas. Putin hat gezeigt, dass man das nicht „muss“. Wie kommen aber dann Werte zur Geltung?

Muss man wie früher Gott als den Weltenherrn mit Endgericht für wirklich halten, um „nicht zu töten”, „die Wahrheit zu sagen”, „andere nicht zu übervorteilen”. Wo kommt aber die Verbindlichkeit her, wenn sie nicht von einer höheren Macht in die Ordnung dieser Welt eingestiftet worden ist. Denn diese Gebote wirken nicht wie die Schwerkraft von selbst. Der Staat bräuchte ein Heer von Spitzeln und Polizisten, um den Einzelnen zu schützen und gleichzeitig von den gleichen Untaten abzuhalten.

Die Vernunft sollte den Werten Geltung verschaffen

Jürgen Habermas hat sich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt und dafür die ganze Geschichte des Denkens abgesucht, woher die Geltung von Werten herkommt. Seine Ausgangsposition lässt sich in etwa so formulieren: Wenn dieser Kosmos und in ihm der Mensch für sein Zusammenleben nicht von einer höheren Macht eine verbindliche Ordnung erhalten hat, dann muss er sich nicht unbedingt an die in seiner Kultur verankerten Regeln halten. Er kann sich als frei von diesen Regeln verstehen. Habermas hofft, abermas hofft. dass die Vernunft den Menschen dazu bringt, diese in den Geboten formulierten Werte zu befolgen. Das hat nach zwei Weltkriegen in Europa im Großen und Ganzen auch funktioniert, bis Russland in die Ukraine einmarschiert ist und die Mehrheit der Russen das immer noch für richtig hält. Das zeigt:
Der Schutz des Anderen entspricht der Vernunft. Jedoch reicht die Einsicht nicht, dass die Geltung dieser Schutzvorschriften, das sind die in der Verfassung als Menschenrechte grundgelegten Werte, von jedem anerkannt werden. Die Würde des Menschen wird gerade von Präsidenten nicht geschützt, sondern ständig verletzt. Die Korruption in der Mehrzahl der Staaten zeigt, dass gerade politisch Verantwortliche durch Missachtung ethischer Normen den größten Schaden anrichten. 

Vernunfthoffnung endete in Gängelung

Die Hoffnung, dass die Vernunft zu einem besseren Zusammenleben führt, hat durch eine ständig wachsende Zahl von Vorschriften zu einer Abhängigkeit von staatlicher Überwachung geführt, die die Bürger in die Arme der Protestparteien getrieben hat. Wie gewinnen die Vorgaben, die als 10 Gebote oder Menschenrechte formuliert sind, Geltung?

Nur der Einzelne scheint der Einsicht zu folgen

Im Einzelnen ist es wohl ein längerer, innerer Entscheidungsprozess, der zu der Überzeugung führt, die Werte seinem Handeln zugrunde zu legen. Dieser orientiert sich zuerst an den Eltern u.a. Erwachsenen. Beobachtungen wie auch Handlungen von Erwachsenen wirken, nicht zuletzt, wie man selbst behandelt wird. In der weiteren Entwicklung bleibt es nicht dabei, etwas nicht zu tun, sondern Werte aktiv zu verwirklichen, so gegenseitige Achtung, die Bewältigung von Konflikten, für die Gemeinschaft einen Beitrag leisten, die eigenen Talente in einem Beruf fruchtbar werden lassen u.a. Dieser Entwicklungsschritt hin zu einer Umsetzung eigener Wertvorstellungen bezieht eine weitere Dimension der Persönlichkeitsentwicklung ein, die an dem Aspekt “Talente” und „Verantwortung für die Gemeinschaft“ deutlich wird.

Nur wer sich unabhängig vom Urteil anderer gemacht hat, kann Werte entschieden vertreten

Eine innere Unabhängigkeit als Freiheit löst mich von der Beurteilung durch Andere und gibt mir den Mut, das zu verwirklichen, was ich sein will. Diese Loslösung von der Akzeptanz durch Andere wird oft durch eine Krise erzwungen. Es ist nicht so sehr die Abhängigkeit von einer Autorität, sondern von der Anerkennung durch andere. Denn mit einer Autorität kann ich mich auseinandersetzen, die Anerkennung Anderer kann ich nur mit großer Mühe gewinnen. Sie ist auch flüchtig. Deshalb kann ich erst aus diesem Selbststand heraus die Aufgabe wählen, für die ich mich entscheide und Verantwortung übernehme, in der ich die mich überzeugenden Werte verwirkliche. 
Ob Vorgesetzte, Vorsitzende, ob politisch Amt mitbringen. Ob die Wertorientierung eines Kandidaten für eine Leitungsaufgabe oder ein politisches Amt gewollt ist, entscheiden die Gremien und die Wähler, die eine Person in ein Amt einsetzen. Diese Entscheidung, leitet sich von der jeweiligen Unternehmenskultur bzw. den Grundwerten einer Partei ab. Dass die Religion eine solche Unternehmenskultur garantiert, müsste man erwarten, es ist jedoch keinesfalls sicher. Das zeigen die Religionskriege.

Nach dieser ernüchternden Feststellung bleibt die Frage: Was bleibt denen, die sich von ihren Werten nicht abbringen lassen? Sie haben nicht nur die Möglichkeit, durch ihr Handeln für ihre Werte zu werben. Sie können konsequenter in die Firmen und Institutionen wechseln, die ihren Werten Raum geben. Und sie können sich effektiver vernetzen.

Als Theologe frage ich mich, warum so wenige junge Menschen in der Katholischen Kirche die Voraussetzungen finden, um ihre Wertvorstellungen zu verwirklichen.

Link. Besprechung von „Eine andere Geschichte der Philosophie“  Habermas-Philosophiegeschichte, für Theologen lesenswert


Kategorie: Verstehen

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