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Novembergrau - Nichts endet im Nichts

Ich spüre so etwas wie Wehmut. Die Tage werden kürzer, die Zeitumstellung bringt noch früher das Dunkel. Es wird kalt. Da kommen auch schon mal dunklere Gedanken auf. Lässt mich bereits den Herbst meines Lebens spüren.

Das Jahr neigt sich langsam. Gerade noch hat die Sonne einen kleinen blauen Flecken am Himmel aufgerissen, ein paar dünne Strahlen trauen sich, das bunte Laub zu beleuchten. Aber das ist nur ein kurzes Aufscheinen, schon kommen aus dem Westen dicke schwarze Wolken daher. Von meinem Fenster aus kann ich die schnellen Wolkenbewegungen beobachten. Wind kommt auf, zerreißt die fliehenden Fetzen am Himmel. Es wird düster, fast beängstigend.
 Ja, - wie angewiesen ist meine Seele auf das Licht, auf sonnige Plätze, helle Farben. Auch wenn die bunten Herbstfarben mich noch ein wenig aufmuntern, ist das Novemberwetter nicht so leicht zu ertragen. Die Bäume und Pflanzen in meinem Garten gehen jetzt auch alle in den Winterschlaf. Die Büsche verlieren ihr Grün, die Stauden verstecken sich unter der Erde. Alles gibt sich langsam zur winterlichen Ruhe. Es ist wie ein bisschen sterben.

Ein anderes Lebensgefühl

Auch ich komme in ein anderes Lebensgefühl als im Sommer. Es wird früh dunkel, die Abende werden länger. In der Wohnung kann ich es mir gemütlich machen. Ich liebe Kerzenlicht, das sich im Sommer nur selten lohnt zu entzünden. Mit dem Kerzenschein zieht auch ein besonderer Duft durch meine Wohnung. Ich kann diese gemütliche Zeit genießen und dennoch bringt mich das Grau des Novembers und die Stimmung, die sich so anders anfühlt als im Sommer auf tieferliegende Gedanken. Da passiert es auch schon mal, dass ich anfange zu philosophieren. Hell kann es doch nur werden, wenn es auch die Dunkelheit gibt. Leben kann es nur geben wenn es auch Tod gibt. Aus dem Tod kommt das Leben zurück.

Nichts endet im Nichts

Ich weiß, dass die Pfingstrosen und all die anderen Sträucher im Frühjahr wieder ausschlagen. Ich kenne auch die vielen Samen, die sich im Herbst in meinen Garten in die Erde gesät haben, um im März und April mit großer Kraft und frischem Grün an das Licht drängen. Ich habe die Gewissheit, dass das Sterben der Pflanzen im Herbst nicht für immer ist. Ich kann sicher sein, dass alles wieder grün wird.
Kann auch ich in meinem Lebensherbst die Gewissheit haben, dass mein Sterben irgendwie wieder zum Leben führt? Gibt es auch für mich einen neuen Frühling?
Habe ich Samen gesät, die nach meinem Dasein aufkeimen? Es wäre doch ein sinnloses Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, wenn ich im Nichts verschwinden würde, wenn es nicht etwas gäbe, was von mir nach dem Tod weiterlebt? Alles, was einmal war, kann doch nicht im Nichts verschwinden. Dass ich zu mir „Ich sage“, wird nicht ganz verschwinden können. Auch die Gedanken, die ich gedacht habe, vergehen nicht einfach. Bleibt nicht die Liebe, die ich verschenkt habe? Es bleibt zumindest in der Erinnerung, in der Tradition, in der Weitergabe, in der Energie. Systemisch könnte man sagen, dass ich auch in vielen nächsten Generationen noch minimal vorkomme. Dass mein Geist und meine Gene sich nicht einfach auflösen.

Nahtoderfahrungen

Wenn ich von den Nahtoderfahrungen der vielen tausend Menschen, die das erleben durften, lese, dann muss es sogar noch mehr geben als nur das, was ich hier hinterlasse. Es scheint doch noch eine andere Welt zu geben, in die wir nach dem Tod aufgenommen werden. Das Buch des Neurochirurgen Alexander Eben, dem, „Blick in die Ewigkeit“, der diese Erfahrung an sich selbst erlebte, hat mich auch nochmal darin bestätigt, dass mein Leben nicht einfach mit dem Sterben zu Ende geht.
Als Christin lebe ich ja mit dem Bewusstsein, dass mir Auferstehung zugesagt wird, dass ich in das Reich Gottes aufgenommen werde. Unabhängig davon, wie ich mir das vorstellen soll. Das ist erst einmal beruhigend, jedoch auch gleichzeitig beunruhigend, weil ich natürlich frage: „Wie geht das“? Da gibt es für mich keine sichere Antwort, aber ich mache manchmal die Erfahrung, dass es noch etwas geben muss, was in meiner unmittelbaren Nähe unsichtbar neben mir ist. Eine Welt, die ich nicht sehen, aber manchmal spüren kann.

Wenn es so etwas wie Auferstehung gibt, dann sicher in einer anderen Aggregatsform.

Solche Gedanken wirft der November in mir auf, wenn er sich grau und neblig über dem Rheintal ausbreitet. Eigentlich auch gut, denn im sonnigen Sommer kann ich über das Leben dahintänzeln, die Leichtigkeit der Tage mit dem vielen Licht lässt mich viel oberflächlicher sein. Mit dem grauen November eröffnet sich mir ein tieferer Blick, geradeweil ich mich mit meiner Endlichkeit auseinandersetzen muss, um mich den Fragen zu stellen, für die ich im Sommer keine Zeit habe. Der Winter gibt mir die Gelegenheit, mich nicht so extravertiert zu verhalten oder mich so weniger zu zerstreuen.
Im Mai, wenn in der Natur die lebendigen Säfte wieder in den Pflanzen aufsteigen, ich das Licht, die frische Luft und die wärmende Sonne spüren kann, bin ich wieder anders „drauf“.

Alexander Eben, Blick in die Ewigkeit


Kategorie: Analysiert

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