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Nicht „nöckelig“ werden

Wer mit einem Knochenbruch oder einer ernsthaften Krankheit zurechtkommen muss, ist meist nicht frei im Kopf. Die Beeinträchtigung zieht die Gedanken immer wieder an, sie kreisen um die eine Frage: Wieder gesundwerden. Ohnmacht, Niedergeschlagenheit, Sorge und manchmal auch Angst stellen sich ein. Beste Voraussetzung, nöckelig zu werden.

Schlechte Laune vertreibt die Menschen, jedoch nicht die Krankheit

Es bleiben kaum Ressourcen für etwas Anderes. Die Hilflosigkeit, die auch mich mit meinem gebrochenen Knöchel überfallen hat, kann schnell dazu führen, dass ich anfange, mich zu bedauern, mich wegen meiner Unachtsamkeit zu ärgern, mir sogar Schuldgefühle einzureden. Oder es überfällt mich die Langeweile. Solche Gefühle führen zu schlechter Stimmung. Eine Gefühlslage, die weder meiner Seele gut tut noch für den Heilungsprozess hilfreich ist. Die Menschen, die mich versorgen, kommen auch lieber zu mir, wenn ich sie nicht mit Niedergeschlagenheit oder schlechter Laune empfange. Auch mein Fuß braucht positive Zuwendung, wohlwollende Energien, liebevolle Aufmerksamkeit für jede Bewegung, da ist schlechte Laune kontraproduktiv. Also, was machen mit dieser Stimmung, die sich meist diffus einschleicht? Ich habe es selbst in der Hand, ob ich diesen Stimmungen nachgebe, sich in mir ausbreiten lasse oder ob ich ihnen Einhalt gebiete, indem ich auf die Kehrseite meiner Situation schaue. Das wird mir einen neuen Blick eröffnen.

Wohlwollen mit mir selbst

Wenn ich mich frage, was mir mein Fuß gerade „sagen“ will, dann bewegen sich meine Gedanken in eine neue Richtung. Ich erkenne, wie schwierig es für mich ist, meine Hilflosigkeit zu akzeptieren. Ich, die ich immer das Gefühl habe, aus eigenen Kräften viel zu „schaffen“, mich ziemlich unabhängig fühle und plötzlich mit einem Schlag von der Unterstützung anderer abhängig werde. Wie schwer tue ich mich damit, Vieles gerade nicht selbst machen zu können und Hilfe von anderen anzunehmen. Obwohl ich spüre, dass sie es gerne für mich tun, brauche ich Überwindung, um sie machen zu lassen. Ist es das, was ich lernen kann? Lernen, mir helfen zu lassen, mit Gebrechlichkeit umzugehen und dabei auch noch Wohlwollen mit mir selbst und damit auch mit den anderen zu haben? Nur wer mit sich selbst milde umgeht, kann auch gegenüber anderen milde sein. Wie gelingt es mir, trotz Beeinträchtigungen bei guter Laune zu bleiben? Der Gedanke, dass irgendwann im Alter ja vielleicht auch Zeiten kommen, in denen ich dauerhaft auf andere angewiesen sein könnte, bringt mich auf die Spur. Kann ich das dann aushalten ohne „widerwärtig“, „grantig“ zu werden, ohne meine schlechte Stimmung an ihnen abzulassen? Jetzt, mit der Gewissheit, dass mein Zustand sicher besser wird, kann ich schon mal nachspüren, wie es sein wird, wenn diese Hilfsbedürftigkeit einmal eintreten wird. Dabei spielt es eine große Rolle, welche Einstellung ich zu meiner Erkrankung entwickle.

Hausrecht für die Krankheit

Heilung geschieht nicht im Widerstand oder im Ärger, sondern dann, wenn ich die positiven, die lebensbejahenden Kräfte in mir wecke, wenn ich der Verletzung den Platz einräume, den sie jetzt gerade braucht, damit sie gesunden kann. So erfährt sie Zuspruch, Zuwendung und Aufmerksamkeit. Es fällt mir nicht gerade in den Schoß, positive Gefühle zu entwickeln, wenn ich mich hilflos fühle, nicht so kann, wie ich gerne möchte. Schon gar nicht, wenn mir etwas auf die Erde fällt, in tausend Scherben zerbricht. Im Normalfall ist das schnell weggeräumt und aufgewischt, aber mit dem gebrochenen Fuß wird daraus eine anstrengende und zeitaufwändige Aktion. Wie soll ich da positive Gefühle entwickeln?  Aber ich tue mir und meinem Fuß keinen Gefallen, wenn ich mich im Ärger gehen lasse. Da brauche ich etwas Nachsicht mit mir, denn erst meine positive Einstellung unterstützt die Heilungskräfte, aktiviert die Gesundungssäfte. Meinem Fuß geht es besser, wenn ihm wohlwollende Aufmerksamkeit entgegenkommt, wenn ich ihn verwöhne, ihn versorge. Deshalb versuche ich, mich mit meiner Situation zu versöhnen und dem Bruch für einige Wochen Hausrecht einzuräumen. Natürlich nur für begrenzte Zeit, bis er sich erholt hat, denn im Frühjahr ruft mich der Garten. Aber ich weiß jetzt, was es heißt, auf andere angewiesen zu sein, was auf mich zukommen wird, wenn ich im Alter eine Krankeit habe, die nicht mehr ganz heilen wird.  Ich hoffe, dass ich mich noch daran erinnere, auf was es dann wirklich ankommt.

Link: Ausgerutscht und alles anders



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