Es gibt fast täglich Situationen, in denen wir uns mit einer Frage, einem Problem auseinandersetzen. In Partnern, Kindern, Freunden, oder KollegInnen haben wir ein Gegenüber, mit denen wir das tun können. Wenn nicht, klären wir auch manchmal die Dinge für uns alleine. Wir wägen die Pro und Contra-Argumente ab und entscheiden, was geht oder nicht geht. Besser ist eigentlich, wenn wir uns mit anderen austauschen, denn wir brauchen die Argumente der Anderen, um die eigene Sicht zu erweitern. Ich komme zu einem besser fundierten eigenen Urteil, ich gewinne einen festen Standpunkt und damit mehr Sicherheit. Erst dann bin ich auch in der Lage, meine Position zu vertreten. Manchmal geht es aber auch darum, sich durchzusetzen. Nicht klein beizugeben.
Auseinandersetzungen mit anderen sind auch dazu da, uns in unserer charakterlichen Entwicklung und geistigen Beweglichkeit zu formen, um so unseren Blick zu weiten. Bleiben diese Gespräche fair, enthalten sie großes Wachstumspotential für alle Beteiligten.
Im Alter schwindet die Beweglichkeit
Im Alter wird es schwieriger. Wir sind geistig nicht mehr so flexibel. Unsere Meinungen von Dingen sind oft festgelegt. Sie sind nicht so schnell ins Wanken zu bringen. Wir sind nicht mehr so offen für Neues. Im schlimmsten Falle halten wir starr an unserer Meinung fest. Man spricht nicht umsonst vom Starrsinn des Alters. Der Blick anderer kann uns ängstigen, so dass wir noch rigider unseren eigenen Standpunkt vertreten. Oder wir kippen in volle Anpassung, indem wir uns ganz zurücknehmen. Auch wissen wir aus Erfahrung heraus ziemlich genau, „was geht“ und „was nicht geht“. In solchen Fällen verlaufen die Gespräche belehrend und sogar rechthaberisch. Das ist kein Genuss. Denn die Balance zwischen den Gesprächspartnern ist nicht mehr gegeben. Es gibt ein Gefälle. Da schwingt so etwas Besserwisserisches mit, das schwer zu ertragen ist. Wer im Beruf erfolgreich war, sich oft durchsetzen konnte, rhetorisch überlegen war, für den besteht die Gefahr, dass er diese Fähigkeiten im Alter noch ausbaut. Jetzt ist aber nicht mehr die Zeit, um sich durchzusetzen. Ein bisschen Altersweisheit tut uns gut. Wie kann die aber aussehen?
Die Macken treten deutlicher hervor
Starre Vorstellungen, Auffassungen, Meinungen, die nicht verrückbar sind, führen gerne zu Streit. Entweder es kracht dann ordentlich. Lautstarker Streit, in dem sogar persönliche Beleidigungen geäußert werden, führt dazu, dass andere sich frustriert zurückziehen. Beides ist für gute Beziehungen unersprießlich. Im ersteren Fall haben wir es dann mit einem Konflikt zu tun, der aus einer zuerst sachlichen Auseinandersetzung entstanden ist
Eigentlich könnte man doch sagen, dass wir bis ins Rentenalter unsere Macken und die der Partner und Freunde kennen. Wir müssen sie doch nicht mehr bis an die Grenzen ausreizen. Wir wissen auch, dass sie nicht mehr grundlegend veränderbar sind. Auch kann ich darauf achten, dass meine Macken nicht dauernd zu Buche schlagen. Es ist doch sinnlos, sich damit das Leben schwer zu machen.
Oder ist es vielleicht gar Lust am Streit? Kommt damit ein wenig Lebendigkeit ins älter werdende Leben hinein? Sind es alte Verletzungen, die sich zu Wort melden? Traue ich mich jetzt erst im Alter, meine Wünsche offen zu äußern? Wer weiß was alles darunter liegt!
Es geht auch im Alter um Macht
Eine kritische Situation ist auf jeden Fall der Eintritt ins Rentenalter. Da werden die Karten neu gemischt. Jeder muss den Platz finden, der ihn zufrieden macht. Wenn ich mich gut darauf vorbereiten, meine Hobbys pflegen und vielleicht ein Ehrenamt einnehmen kann, dann wird es einfacher. Aber auch die häusliche Machtverteilung braucht eine neue Ausrichtung, damit es nicht ständig zu Übergriffen kommt. Gespräche helfen, einem Streit vorzubeugen. Man kann die häuslichen Anforderungen aufteilen. Solche Gespräche können auf einer ruhigen, sachlichen Ebene geführt werden. Sie brauchen nicht in persönlichen Angriffen zu enden. Das tun sie nur, wenn der eine oder die andere mit der Lösung unzufrieden ist oder die Bedürfnisse des anderen nicht berücksichtigt werden.
Enttäuschungen kommen ans Licht
Eine Quelle von Streitlust ist auch die Tatsache, dass sich im Alter plötzlich Gefühle regen können, die viele Jahre nicht ans Licht kamen. Die Zickeleien älterer Paare haben oft damit zu tun, dass sich einer von beiden „untergebuttert“ fühlt. „ Du hast dich ja wunderbar verwirklichen können, ich habe dir immer den Rücken frei gehalten“. Da steckt der Vorwurf drin, dass ich zu kurz gekommen bin. Solche zur rechten Zeit nicht ausgesprochenen Unzufriedenheiten stapeln sich wie Ladenhüter in der Seele. Irgendwann rebellieren sie. Es sind oft uralte unausgesprochene Verletzungen, enttäuschte Erwartungen an das Leben wie auch an den Ehepartner. Sie wurden nie benannt oder wenn benannt, nicht gehört, weil nicht hartnäckig genug eingefordert. Sie wurden aus Angst vor Konsequenzen in einem dunklen Seelenkämmerlein eingesperrt. Doch jetzt wollen sie heraus. Mit Blick auf die wenigen Jahre, die noch bleiben, bekommen diese Erfahrungen noch einmal einen richtigen Schub. Sie wollen nicht mit in das Grab genommen werden. Selbst wenn sie sich nicht mehr erfüllen, sollten sie ausgesprochen werden. Das geschieht dann aber oft subtil. Man meckert über das und jenes, gibt seinem Unmut freien Lauf. Da sind dann allgemeine Vorwürfe schnell ausgesprochen. Auch wenn es zu spät ist, die eigenen Sehnsüchte noch umzusetzen, suchen sie sich einen Schuldigen, der ihre Verwirklichung verhindert haben soll. Ungelebtes, sucht sich wie Wasser bei einem Rohrbruch seinen eigenen Weg. Es dauert bis er entdeckt wird. Meist taucht er an einer Stelle auf, wo man ihn nicht vermutet. Was dann zum Vorschein kommt, ist oft erst einmal schwer zu verstehen. Da muss man ganze Wände aufschlagen, um an die Ursache zu kommen, damit repariert werden kann. So ist es oft auch bei Konflikten. Die Unzufriedenheit sammelt sich aus unerfüllten Bedürfnissen und lauert im Untergrund auf einen geeigneten Moment, um loszubrechen.
Gespräche können heilen.
Jeder von uns hat so ein Kämmerlein in seiner Seele, in dem die Verwundungen, Unzufriedenheiten, Ärger verborgen sind. Wir kennen sie alle, die Verletzungen, die uns von klein auf zugefügt wurden, die Missachtungen, die wir erlebt haben, das Leid, das wir durchleben mussten und vielleicht nicht genügend betrauern konnten, die Ungerechtigkeit, die wir erfahren haben. Wir kennen auch die Situationen, in denen wir selbst unserem Anspruch nicht gerecht wurden, wo wir verletzt haben, wo wir zu Missachtung beigetragen haben, wo wir ungerecht waren. Alle diese Erfahrungen liegen in uns. Solange wir wegschauen und sie nicht bearbeiten, arbeiten sie gegen uns. Sie nehmen Einfluss auf unsere Grundstimmung, machen uns unzufrieden, streitsüchtig, depressiv. Wir sind dann nicht in der Balance. Jeder kennt Situationen, wo er Ärger abbekommt, weil der andere mit seinem Leben unzufrieden ist. Ich fühle mich dann als Blitzableiter. Vermutlich stelle auch ich solche Situationen her.
Die Unzufriedenheit ernst nehmen
Das Alter spült diese Dinge oft noch einmal an die Oberfläche, weil wir da keine faulen Kompromisse mehr eingehen, nichts mehr wegschließen wollen. Unsere Seele ruft nach Ausgleich, nach Versöhnung, nach Frieden. Friede ist unserer Seele aber nur vergönnt, wenn wir die Schmerzen aus der Vergangenheit und die aktuelle Unzufriedenheit ernst nehmen. Sie nicht an anderen auslassen, sondern sie in guter Weise würdigen. Sie sind ein Teil meines Lebens, sie sind Realität, sie haben mich beeinflusst, ich gebe ihnen aber nicht mehr die Macht, meine Grundstimmung zu beeinflussen. Dafür braucht es einen Blick in diese Seelenkammer. Was liegt da drin? Was macht mich gerade unzufrieden? Was ist noch unversöhnt? Was lässt mich nicht ruhig alt werden? Wovon will ich mich verabschieden, befreien, was will ich versöhnen?
Was ist das angenehm Menschen zu begegnen, denen man den täglichen Überlebenskampf zwar ansehen kann, von denen aber ein weises Wohlwollen ausgeht, die zuhören können, die nicht von oben herunter lächeln sondern ein Herzenslächeln von ihnen ausgeht. Sie haben einen Weg gefunden, mit anderen im Frieden alt zu werden. Das heißt nicht, ohne Konflikte zu leben, jedoch von gegenseitigen, ständig neuen Verletzungen abzusehen.
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