Die körperlichen Kräfte schwinden
Wie ich körperlich alt werde und aus welcher Grundstimmung heraus sich meine Seele im Alter speist, kann ich zum großen Teil mit meiner Art zu leben, beeinflussen. Ob ich bis ins hohe Alter gesund bleibe, dafür gibt es keine Garantie, weil viele Faktoren dazu kommen können, die ich nicht mitbestimmen kann. Mit meinen sportlichen Aktivitäten wie Nordicwalking, Radfahren, Schwimmen und Yoga erhalte ich mir hoffentlich noch eine Weile meine körperlichen Kräfte. Aber auch bei mir werden sie weniger und vermutlich werde auch ich, wie fast alle anderen, mein Lebensende nicht gesund erleben. Wenn ich mir das vor Augen halte, kann Ich mich innerlich darauf einstellen, damit Einschränkungen, die kommen werden, mich nicht so überraschen. Was ist aber mit meiner Seele? Sie macht doch meine Grundstimmung aus. Sie ist zuständig für meine Laune, meine positive Energie. Verliert auch sie an Kraft? Was ist mit meiner Lebensfreude? Ich brauche sie für meine Zufriedenheit. Geht auch sie verloren?
Seele kann wachsen
Mit der Seele scheint es anders zu sein als mit dem Körper. Sie hat im Alter die Chance, noch zu wachsen, sich weiter zu entwickeln, das Geistige zu verinnerlichen. Sie kann neue Schwerpunkte setzen. Wie angenehm ist es doch, Menschen zu begegnen, die eine positive Grundstimmung verbreiten, in deren Nähe ich mich wohl- und angenommen fühlen kann. Es sind nicht die oberflächlichen Freundlichkeiten, die mir da entgegenkommen, sondern Menschen mit Tiefgang, die das Leben verinnerlicht haben, die in ihrer Seele Ruhe finden, auch wenn viele Dinge des Alltags schwerfallen. Was lässt sie soviel Zuversicht, innere Freude, Wohlwollen und Gelassenheit ausstrahlen? Es ist wohl die „gesunde Ernährung“ der Seele, die sich durch Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Würdigung entwickeln kann. Wie mein Körper sein tägliches Training für den Aufbau der Muskulatur und der Beweglichkeit braucht, so benötigt meine Seele auch jeden Tag Nahrung und Zuwendung, damit sie wachsen kann.
Im Alter erhalte ich, was ich mit 50 grundgelegt habe
Der Alltag in jungen Jahren, in dem ich meinen Beruf, meine Zukunft in den Blick nehme, eine Familie gründe, die Partnerschaft pflege und mein soziales Netz wie meine Hobbys aufbaue, lässt nur begrenzt Zeit und Ruhe dafür übrig. Im Alter aber, und ich würde sagen spätestens ab 50, muss ich damit beginnen, in Beides zu investieren, damit sich das einstellt wovon ich später zehren kann.
Die körperliche Gesundheit kann ich mit den verschiedenen Sportarten, mit ausgedehnten Spaziergängen und einer bewussten Ernährung regeln, aber womit unterstütze ich ab diesem Alter mein geistiges Wachstum? Die „Nahrung“ für meine Seele?
Ernährungsplan für die Seele
Der „Speiseplan“ für meine Seele im Alter orientiert sich an dem, was ich ganz individuell für mich brauche, um zufrieden zu sein, damit ich innere Freude am Leben spüre, so dass andere gerne mit mir zusammen sein wollen. Dazu gehört für mich mein soziales Netz, das ich über viele Jahrzehnte pflege, das mir ermöglicht, tiefergehende Gespräche zu führen und Zuwendung zu erfahren. In meinem Garten, in dem ich die Welt vergesse, um in eine spirituelle Sphäre einzutauchen, komme ich an grundlegende Fragen bei der Beobachtung der Pflanzen, Vögel und Schmetterlinge. Bücher und Musik bekommen einen neuen Stellenwert.
Die tiefgehenden Fragen sind schwerer ins Wort zu bringen
Ich kann meditieren, nachdenken, einfach aufnehmen. Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Eine Ruhe tritt ein, die mich in spirituelle Dimensionen führt, wo die eigentliche Grundfreude sitzt. Wie war mein Leben, wie hat es mich geprägt, was hat es aus mir gemacht? Diese Themen kommen in den Gesprächen mit anderen nicht so schnell über die Lippen wie das Thema Krankheit. Sie sind anspruchsvoller und brauchen persönliches Engagement und geistige Tiefe, damit jeder das, was ihn innerlich bewegt, in Worte fassen kann. Das gelingt mit Menschen, die zuhören können, so dass das Gesagte nicht gleich wieder kommentiert, bewertet wird oder in einem unsichtbaren Loch verschwindet. Weil diese Gespräche mehr von jedem Einzelnen fordern, wird wohl eher über die jeweiligen Krankheiten geredet.
Krankheiten und Defizite füllen Gespräche
Gespräche gehen im Alter meist über die körperlichen Beeinträchtigungen. Weil ja jeder davon irgendwie betroffen ist, ist das vielleicht auch verständlich. Es ist auch einfacher darüber zu reden. Da braucht man keine große Hürde zu nehmen. Ich kenne meine Krankheiten, aber um meine Seele zu erforschen, brauche ich Meditation. Erst diese bringt mich auf die tiefere Ebene. Kenne ich mich in meinem Seelenleben wirklich aus? Wann sind Gespräche selbstverständlich, in denen wir für die Bewegungen der Seele die Worte finden? Erst dann wird meine Person und werden die anderen in dem, was uns ausmacht, deutlicher? Welche Idee hat der Einzelne für sein Älterwerden. Denn das, was war, kann nicht mehr einfach fortgeführt werden?
Im Blick nach vorne entstehen weitere Fragen: Wie kann Alter dazu führen, dass ich aus vollem Herzen und mutig auf mein Lebensende zugehe? Wie bereite ich mich auf das Sterben vor und wie selbstverständlich kann ich darüber reden? Was ist zu tun, damit ich nicht in die Einsamkeit falle.
Manchmal denke ich, es macht Sinn, dass im Alter die Körperkräfte schwinden, damit ich mich auf etwas Neues, Geistiges ausrichte, das mich auf meinem letzten Lebensweg trägt und Gespräche über Krankheiten nicht die Überhand gewinnen.
Ausstrahlung im Alter
In den Gesichtern älterer Menschen lässt sich Vieles lesen. Aus den Gesprächen werden Lebensgefühle deutlich. Kommt mir da Zufriedenheit oder vielleicht sogar Weisheit entgegen? Wie war das Leben, das hinter diesen gelebten Jahren liegt? War es erfüllt oder drückt mich das Gefühl nieder, etwas verpasst zu haben? Konnte ich, konnte der Andere die innere Berufung leben, um das zu verwirklichen, was in jedem steckt? Können wir von den Früchten dieser Lebensaufgabe zehren? Können wir diese Aufgaben auch loslassen, um etwas „Neuem“ Platz zu machen?
Es gab auch Verluste
In meinem Leben gab es viel Bewegung, Lebendigkeit aber auch Verluste, die mich traurig machten. Die Bearbeitung dieser Trauer hat mich viele Jahre gekostet, aber auch weitergebracht. Auch konnte ich meine Berufung ausbilden, das verwirklichen, was mir als Pädagogin am Herzen lag. Ich blicke zufrieden auf das, was mir gelungen ist und hoffe, dass ich mit dem, was nicht gelungen ist, keinen allzu großen Schaden angerichtet habe.
Tief in meinem Herzen bin ich dankbar, dass ich einen Zugang zu Spiritualität und Transzendenz gefunden habe. Das ermöglicht mir heute, größere Zusammenhänge zu erkennen und mein Dasein mit den Ursprüngen zu verbinden. Ich kann mich schneller beruhigen, wenn die Wellen mal wieder hochschlagen. Auch die Begegnung mit Menschen, die auf ein erfülltes Leben blicken, deren tiefere geistige Dimension auf mich ausstrahlen, die etwas haben, das mich anzieht ist ein Geschenk. In ihrer Umgebung kann ich mich zu Hause fühlen. Es ist die „wohltuende Sattheit“, die Weisheit, die innere Größe der Personen, die nicht am Alten hängen bleiben, sondern verstanden haben, um was es im Leben wirklich geht. Sie müssen nicht mehr aus dem Alltag aufs Kreuzfahrtschiff fliehen, bei ihnen ist eine Ruhe und ein Geist, die nicht Langeweile, sondern Lebendigkeit aussenden. Mit einer frohen Grundstimmung alt werden ist ein geistiger Prozess, den ich auf ganz unterschiedliche Weise anstreben kann, um in tiefere Dimensionen des Lebens vorzudringen. Dafür brauche ich eine Idee, die mich durch die Jahre trägt.
Die Überlegungen dieses Beitrages werden fortgesetzt
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