Szenen wie eine Serie aneinandergereiht
Mein Lebensfilm ist wie eine Serie mit Fortsetzung. Ich kann in die einzelnen Bilder eintauchen, die mir meine Erinnerung in kleinen Ausschnitten erschließen. Es sind die Geschichten als Kind, Jugendliche, heranwachsende Frau, Mutter und Ehefrau, wie auch die aus meinen beruflichen Erfahrungen. Manchmal tauchen sie nur als Blitzlichter auf, die wieder verschwinden, bei einigen, vor allem bei den Bildern aus der Kindheit, bleibe ich schon mal länger hängen und lasse mich in die vergangene Zeit gerne hineinziehen. Da schaue ich mir zu, wie ich den Wald erobere, im Winter mit den Skiern auf den Schultern die Hänge hochkraxle, auf den gleichen Wiesen an Ostern die gefärbten Ostereier herunterkullern lasse. Ein Lächeln auf meinem Gesicht zeigt mir an, wie sehr ich mich freuen kann. Ich sehe, welche Rolle ich als Kind in der Geschwisterkonstellation hatte, was ich lernen konnte oder sogar musste, damit ich bei 5 Geschwistern meinen Platz behaupte. Ich höre mich Klavierspielen, erinnere die Hausmusik in der Familie an Weihnachten. In dieser Schau kann es auch passieren, dass mal die Filmrolle reißt. Dann ist Pause. Aber irgendwann taucht wieder etwas auf, das sich anschließt. Ich erinnere mich an Begegnungen mit Freunden, an Gelungenes in meinem Leben, an die Hochzeit, an die Geburten der Kinder, an Feste in den Partykellern, an Landschaften, die mir ans Herz gewachsen sind, an Situationen, in denen ich voll Glück und Freude war, aber auch an Trauriges, wenn ich von Menschen Abschied nehmen musste, wenn das Leben schwierig war. Erfolg und Misserfolg liegen in meinem Leben so nahe beieinander, dass ich gelernt habe, mit Turbulenzen zu rechnen. Gerade die schwierigen Zeiten wollen vom Alterssitz noch einmal angesehen werden, auch wenn ich mir einen Ruck geben muss, um sie nicht wegzudrängen. All das gehört zu mir, denn ich bin die „Heldin“ in dieser Abenteuerserie mit vielen Auf und Abs. Aus dem Abstand heraus kann ich die Gefühle, die ich in den verschiedenen Situationen durchlebt habe, noch einmal nachempfinden. Je länger ich sie anschaue, desto weniger machen sie mich unruhig. Ich kann wohlwollender darauf blicken.
Innere Bewegungen begreifen
Will ich in Erinnerungen einsteigen, kann ich mich auch bewusst in vergangene Situationen hineinbegeben, um noch einmal genauer anzuschauen, weshalb etwas gelungen oder fehlgeschlagen ist. Weshalb ist es so gelaufen und nicht anders. Warum ist die Beziehung die Freundschaft auseinandergegangen. Manchmal hilft dabei, das Fotoalbum aufzuschlagen, sich die Bilder anzuschauen. Wer Tagebuch geschrieben hat, besitzt einen kostbaren Schatz. Aus der Perspektive des Alters, mit dem zeitlichen Abstand und weil ich es ja sowieso nicht mehr ändern kann, kann ich neutraler darauf blicken. Der Rückblick unterstützt mich darin, mich in meinen inneren Bewegungen, Entscheidungen, Ansichten besser zu verstehen. Ich kann mich mit meiner Innenwelt beschäftigen, ohne mich noch einmal in das Geschehen zu begeben. Ich kann spüren, wie spannend diese Erinnerungen sind. Manchmal bin ich vielleicht ganz erstaunt und frage mich: „Bin ich das gewesen“? oder erschrecke, wenn ich mich erkenne. Ich kann mein Leben viel besser begreifen, wenn ich es mir aus dem Rückblick heraus betrachte. Ich kann es abrunden, um in größerer Ruhe und vielleicht mit ein bisschen mehr Weisheit auf meine letzte Lebensphase zuzugehen. Auf Vieles kann ich mit großem Wohlwollen schauen, kann mir bei manchen Erinnerungen sogar auf die Schulter klopfen und sagen, „das hast du gut hingekriegt“. Aber es liegen vielleicht auch noch ein paar „Leichen“ in meinem Seelenkeller verborgen, die ich „beerdigen“ muss. Indem ich sie mir noch einmal anschaue, ernst nehme und mich von ihnen verabschiede kann ich meinen Seelenfrieden finden.
Seelenfrieden geht über Versöhnen
Mein Lebensfilm zeigt mir Bilder und Geschichten von Ereignissen, die ich nicht mehr ändern kann, die geschehen sind, die ich akzeptieren muss. Sie machen meine Person aus, sie haben mich geprägt. Die guten wie die schwierigen Phasen. Da ist so manches passiert, das ich heute nicht mehr so machen würde, da sind Dinge geschehen, die ich damals nicht anders konnte, weil ich es vielleicht nicht besser wusste. Ich kann mich davon nicht einfach so freisprechen. Will ich mich mit meinem Leben, mit meiner Person identifizieren und aussöhnen, dann brauche ich ein Ritual, das mir hilft, auch das was nicht so prickelnd gelaufen ist in meiner Person zu integrieren. Warum aussöhnen, fragt sich vielleicht der eine oder die andere. Aussöhnen weil nicht Versöhntes die Seele unruhig macht. Was gut gelaufen ist, damit bin ich ja im Reinen. Jedoch wo ich versagt, wo ich Fehler gemacht habe, wo ich meinem eigenen Anspruch nicht gerecht wurde, wo ich ungerecht gehandelt habe, wo ich vielleicht sogar verletzt und gelogen habe, das braucht Versöhnung. Denn alles, was ich mir nicht verzeihe und was nicht versöhnt in meiner Seele ruhen kann, beeinträchtigt den Seelenfrieden und vielleicht auch ein friedliches Sterben. Versöhnen geht aber nur, wenn ich die Situationen, die ich lieber wegdränge, noch einmal würdige indem ich hinschaue. Ich kann sie mir ins Gedächtnis holen, sie nachfühlen, ins Gespräch damit gehen, vielleicht mit einem guten Freund darüber reden, oder wenn es noch möglich ist, mit dem Betroffenen sprechen und um Verzeihung bitten. Für Gläubige gibt es auch die Beichte vor Gott, die mich von meiner Schuld, meinem Ungenügen und schlechten Gewissen befreit. Nicht Versöhntes braucht die Würdigung, braucht meine Aufmerksamkeit und Einsicht, damit ich mir auch selbst verzeihen kann. Mit einer Reise an die Orte der Erinnerung kann ich vielleicht der Versöhnung näherkommen, um das, was schmerzt, heilen zu lassen. Mit einem versöhnten Leben lassen sich die letzten Folgen meines Lebensfilmes befreiter und großherziger gestalten.
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