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Der Lockdown lockt

Familien gehen wieder gemeinsam raus. Väter tragen mit Stolz ihre Kleinen in der Skin-to-Skin-Tasche spazieren, Kinder spielen wieder im Wald am Bach, stehen mit Gummistiefeln bis zu den Waden im Wasser, krabbeln durch die Wasserrohre. Wann hat man diese Bilder vor Corona gesehen?

Elternzeit ist kurz

Kleinkinder, die sich nass und dreckig machen, die Natur pur erleben und Eltern, die das unterstützen. Jugendliche gehen im Wald spazieren. Auch wenn viele Familien den Homeoffice-Alltag, die geschlossenen Tagesstätten und Schulen als schrecklich erleben, sie haben auch eine andere Seite. Ich möchte sie aufzeigen.
Seit einem Jahr sind Kinder und Eltern immer mal wieder durch die Lockdowns sehr eng aufeinander verwiesen. Das ist für alle ungewohnt und anstrengend, denn die Kleinen, wie die Größeren brauchen Aktionsfelder. Sie sind neugierig, laut, wissensdurstig, einfach immer in Bewegung und damit ist das Zusammenleben oft unruhig und strapaziös. Für das Homeoffice brauchen die Erwachsenen Konzentration, die sie sich mühsam irgendwann am Tag abgewinnen müssen. Das geht oft nicht ohne Ärger mit den Kindern. Alle, Kinder wie Eltern, sitzen eigentlich wie auf einem Pulverfass. Sie brauchen zwischendurch einen Ausgleich, verbunden mit ein wenig Distanz. Da reicht das Angebot auf dem Spielplatz von nebenan oft nicht mehr aus. Es wird zu langweilig, da muss noch etwas Anderes her. Bei all der zusätzlichen Arbeit ist von Eltern jetzt auch noch Kreativität gefordert. denn alle kommerziellen Unterhaltungsmöglichkeiten außer dem Fernsehen sind ja geschlossen.

Abenteuerlich soll es sein

Unternehmungen mit Abenteuercharakter ermöglichen Eltern wie Kindern neue gemeinsame Erfahrungen, die nicht nur helfen, die Zeit der Pandemie ausgeglichener zu bestehen, sondern auch die Beziehung untereinander zu verbessern. Es braucht jetzt ein paar Ideen, wie auch ohne die „Konsumstätten“ etwas Interessantes, vielleicht sogar etwas Aufregendes erlebt werden kann. Die Tagesstätten, wie die Ganztagsschulen haben Eltern in den letzten Jahren von diesen Überlegungen entlastet. Es blieben am Tag vielleicht gerade noch 2 bis 4 Stunden, wenn es hochkommt, um mit den Kindern etwas gemeinsam zu tun. Jetzt sind es manchmal mehr als 12 Stunden, die gefüllt werden wollen. Aber womit? Fernsehen geht immer, das Handy ist sowieso ständiger Begleiter, wobei ja gerade dafür eine Alternative gesucht werden soll. Nicht selten wurden ja auch früher die zwei drei Stunden, die für etwas Gemeinsames zur Verfügung gestanden hätten, nicht dafür genutzt, denn die Kinder „daddelten“ entweder auf dem Handy, saßen vor dem Fernseher oder waren mit anderen unterwegs. Weil auch die Kontakte, die die Kinder und Jugendlichen bisher zum Ausgleich hatten, gerade nicht „gehen“, braucht es jetzt etwas Neues. Was kann man miteinander anfangen? Was ist interessanter als das Handy oder die „Glotze“? Alle müssen sich neu erfinden. Da die Elternzeit sowieso begrenzt ist, kann diese „Auszeit“ vielleicht sogar als ein Geschenk für beide Seiten gesehen werden, mit dem sie aktiv umgehen können. Die Natur bietet sich kostenlos an.

Natur kann aufregend sein

Wer sich in der Natur bewegt und sich auf sie einlässt, macht Erfahrungen, die in den Betonwüsten von Großstädten oder im Betreuungs-Alltag von Kindertagesstätten so nicht unbedingt erlebt werden können. Erfahrungen, die uns mit dem Wunder der Natur konfrontieren, die uns aufmerksam machen, dass wir Teil dieses Kosmos sind. Erfahrungen, die uns an unsere Sinnfragen, der Herkunft unseres Daseins führen. Wir können eine Beziehung zu ihr entwickeln, Wachsen beobachten. Damit wird Kreativität in uns frei. Kleine Kinder finden alles, was sie brauchen, in der Natur. Sie sind erfinderisch, wenn wir sie lassen. Damit entlasten sie aber auch die Nerven von gestressten Müttern und Vätern.
Wenn wir bedenken, dass die frühe Begegnung mit der Natur notwendig ist, damit ich eine Nähe zu ihr entwickeln kann, dann sehe ich jetzt gerade eine neue Chance für die heranwachsenden Generationen. Sie können sich mit dieser Natur anfreunden, ein Gespür für sie entwickeln, eine Verbindung zu ihr aufbauen, damit sie in der Lage sein werden, mit ihr in einer übereinstimmenden Kommunikation zu leben. Sie werden es nämlich sein, die mit den Folgen der Ausbeutung der Natur konfrontiert werden. Sie werden den Reparaturplan umsetzen müssen, damit sich die Schöpfung erholen kann. Dafür brauchen sie aber auch die emotionale Nähe, um die Nöte dieser Schöpfung zu erkennen, zu verstehen, was Pflanzen und Tiere krank macht, ihr zu dienen, indem sie sich kümmern. Eltern können jetzt mit ihren Kindern einen Grundstein legen, damit die Kleinen schon früh ökologische Zusammenhänge erfahren.

Frühe Naturerfahrungen unterstützen

Ich gehe davon aus, dass frühe Erfahrungen mit der Natur, mit dem „Dreck des Waldbodens“, den Würmern, den Käfern, den vielen unterschiedlichen Pflanzen und Bäumen, den Bächen, dem Vogelgezwitscher notwendig sind, damit ich mich emotional mit dieser, mir ja erst einmal fremden Welt verbunden fühle, sie verstehen lerne. Viele Kinder ekeln sich vor Würmern, haben Angst vor Spinnen, fürchten sich vor allem was krabbelt. Erst wenn ich die Natur, mit den verschiedenen Lebewesen, die sich darin bewegen, der Fauna und Flora, die darin wächst, lieben lerne, kann ich mich in dieses andere Leben, das unsere Überlebengrundlage ist, einfühlen. Dafür muss ich mich aber auch in dieses Geschehen hineinbewegen, spüren, hören, riechen. Bleiben mir diese Erfahrungen versperrt, wird mir der Zugang zu dieser wunderbaren Natur schwergemacht. 
Wenn ich durch den Wald walke oder mit meinem E-bike unterwegs bin, geht mir das Herz auf, wenn ich sehe, wie kleine Kinder am Fluss mit Stöcken, Matsch und Steinen Dämme bauen, Jugendliche mit Rucksack auf dem Rücken, dem GPS in der Hand Wanderrouten suchen, Halbwüchsige in kleinen Grüppchen Unterschlüpfe bauen und Baumhäuser errichten. Der Lockdown „lockt“ in die Natur. Ich habe die Hoffnung, dass die jetzige Elterngeneration ihre Kinder in den Erfahrungen mit der Natur noch mehr unterstützt, damit sie Zuneigung entwickeln, die ihnen hilft, sich mit der entsprechenden Achtsamkeit darin zu bewegen, um dem ökologischen Anspruch der nächsten Jahrzehnte gerecht zu werden. Ein nicht zu verachtender Nutzen ist auch die Rekreation, die Eltern wie Kindern mit nur einer Stunde am Tag in der Natur zu Gute kommt.



Kategorie: Entdecken hinsehen.net

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