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Der lange Weg

Ich bin nicht in einer Kirche groß geworden. Ich war wie meine anderen Geschwister nicht getauft, eine „Ungläubige“, ein sogenanntes Heidenkind. Hat sich daran mit den Jahren etwas verändert?

Der Weg begann mit Missachtung

In der Grundschule und im späteren Gymnasium habe ich mich immer falsch gefühlt. Ohne getauft zu sein, gehörte ich irgendwie nicht dazu, fühlte mich ausgegrenzt. Heute würde man vielleicht Mobbing dazu sagen. Als Nichtgetaufte unter evangelischen und katholischen Christen war ich in der Schule, vor allem in den fünfziger Jahren, für Lehrer/innen immer eine Provokation. Heidenkinder lügen und stehlen. Obwohl es damals auch zwischen Evangelen und Katholen sehr angespannt war, war ich als Nichtgetaufte ein besonderer Paradiesvogel, den man bekämpfen oder taufen musste. Ich war immer in einem Religionsunterricht, das wollte mein Vater so, und lernte, wie Jesus handelte. Er hat mich von klein auf interessiert und fasziniert und mir gleichzeitig die Augen geöffnet, dass meine Ausgrenzung, diese Verurteilung meiner Person nicht im Sinne Jesu sein konnte. Das führte auch bei den vielen Versuchen der Religionslehrer auf beiden Seiten, mich taufen zu wollen, dazu, dass ich mich mit den Worten wehrte:
„Solange ihr mit mir so umgeht, ich mich so verachtet fühlen muss, will ich
überhaupt nicht zu euch gehören, denn das kann nicht christlich sein“.
Erst im späten Jugendalter machte ich Erfahrungen, die mir den Zugang zum Glauben auch über Menschen möglich machte, die mehr Größe und einen weiteren Blick hatten.

Familiärer Hintergrund

Meine Mutter wie meine Großmutter waren beide fromme Frauen. Das Dritte Reich hat jedoch in meiner Familie dazu geführt, dass mein Vater, weil er von der katholischen Kirche enttäuscht war, seine 6 Kinder nicht taufen ließ. So wuchsen wir als Heidenkinder auf. Für meine im katholischen Glauben beheimatete Mutter war das ziemlich schlimm. Ich habe sie oft heimlich still beten erlebt. Sie konnte allerdings diese Entwicklung in unserer Familie nicht verhindern. Für Frauen war es damals schwieriger als heute, sich gegen den Ehemann durchzusetzen. Im Rückblick auf meine eigene Entwicklung kann ich sogar etwas Positives entdecken. Denn ich habe selbst entschieden, ob ich als Christin leben möchte.

Ausbildungsjahre und Freundeskreis

In meiner Ausbildung gab es einen katholischen Pfarrer, der durch seine Person, seine Offenheit und Weite im Denken und Handeln mir immer Wertschätzung entgegenbrachte. Ich spürte, dass ich eine Daseinsberechtigung auch als Nichtgetaufte habe. Ihm verdanke ich die ersten guten Erfahrungen. Denn selbst meine Klassenlehrerin in dieser Ausbildung, ich war bereits 17 Jahre alt, sagte zu der katholischen Mutter meiner Freundin, sie solle ihrer Tochter den Umgang mit mir verbieten. Ich wäre nicht getauft. „Von Ungetauften kommt nichts Gutes“. Die Mutter ließ sich natürlich nicht beirren und wir Freundinnen hielten zusammen.
Wir ließen uns nicht auseinanderbringen, verbrachten zusammen viel gemeinsame Zeit und betreuten auch zusammen Ferienfreizeiten von Kindern, von der Stadt wie von der AWO organisiert.
Später besuchten wir, mit unseren anderen katholischen Freunden, einen Glaubensgesprächskreis, zu dem wir einen Dominikanerpater einluden. Die Erfahrungen mit dem weisen, alten Priester haben sich bei mir tief eingegraben. Ich erkannte, dass diese christliche Religion viel größer und weiter, viel umfassender und toleranter ist, als ich es bisher erleben konnte. Ich spürte, dass dieser Jesus wichtige Lebensregeln und damit verbundene Werte vertrat, die für ein gemeinschaftliches Zusammenleben unabdingbar waren.

Mein berufliches Leben

In meinem späteren Arbeitsleben schließen sich weitere Erfahrungen an, die mich in meiner Entscheidung Christin zu werden unterstützten. Ich habe Menschen getroffen, die mich an ihrem Glauben teilhaben ließen, die mich in ihre Mitte aufnahmen, auch als noch Ungetaufte. Ich konnte endlich das Gefühl der Zugehörigkeit spüren. Die Entscheidung in mir wuchs, dass ich mich taufen lassen wollte. Ich war damals 34 Jahre alt, als ich mich auf die Taufe vorbereitete.
Der Priester war für mich ein Glücksfall, denn sein Zugang zum Glauben, seine Gespräche über Gott und die Kirche hatten etwas Befreiendes, nichts Einengendes, große Weite. Er vermittelte mir, wonach ich jahrelang Sehnsucht hatte. Achtung, Wertschätzung, Verantwortung zu übernehmen und Freiheit, die ich heute als Christin erleben kann. Der Name Küng verband sich mit dieser Offenheit.

Die Konsequenz

Das sind die äußeren Geschichten, die sich in meinem Innern fortsetzten. Die Erfahrungen haben Spuren in meiner Seele hinterlassen. Die Schmerzen die ich durch die Erniedrigung, die Missachtung, die Ungerechtigkeit erleben musste, haben mich nicht zerstört, nicht hart gemacht, sondern weitsichtig, und stark. Mit ihnen konnte ich sogar wachsen. Ich lernte zu unterscheiden, zu erkennen, auf was es im Leben ankommt. Ich konnte mich selbst für diesen christlichen Gott entscheiden. Für ihn, der mir in vielen Situationen vermutlich immer ganz nah war, nicht nur in einer eher aussichtslosen Situation im Tiefschnee, wo ich Rettung fand, oder auf einer Urlaubsreise, wo wir nur knapp an einem tödlichen Unfall vorbei kamen, sondern auch in der Zeit als Heidenkind in der er mir die entscheidenden Erfahrungen ermöglichte. Er hatte seine Hand über mir. Er, dem ich auf meinem Lebensweg vertrauen kann, nicht allein gelassen zu werden, der meine Existenz, mein Dasein will. Er, der mir seinen Geist zur Unterstützung sendet und mir durch Jesus Orientierung gibt.

Der Beitrag schildert eine Fahrt. Mit dem Bild des Lebens-Schiffes erklärt Jutta Mügge in fünf weiteren Beiträgen, was für die Fahrt noch notwendig ist und wie das Schiff wetterfest gemacht werden kann: Mein Lebens-Schiff


Kategorie: Verstehen

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