BEI ZEITEN – Meditationen über Lebens-Zeiten

Ich halte ein Buch in der Hand. Der Umschlag ist in einem leichten Beige gehalten, die Schrift ist zart in hellem Grau, ein filigraner hellgrauer Zweig mit kleinen Samenkapseln ragt von der Seite in das Cover. Es mutet, zart, leicht, fast zerbrechlich und ein bisschen feminin an. In der Hand liegend fühlt es sich an, als wäre es aus einem feinem Leinen. Meine Leseerfahrungen:

Gedichte und Kurzgeschichten

Es ist ein Buch mit Gedichten und Kurzgeschichten von Wilhelm Bruners.

Ich bin eigentlich keine engagierte Gedichte-Leserin, denn oft ist mir die Sprache der modernen Gedichte nicht richtig zugänglich, so dass mir das Verstehen schwerfällt. Das ist in diesem Buch anders.
Es fehlen die Reime. Es sind normale kurze Sätze, die in Gedichtform grafisch dargestellt sind. Inhaltlich geht es um die Zeiten, sowohl im Verlauf des Lebens des Autors als auch im Jahresgeschehen. Es geht um das, was die Zeit uns einspielt, was wir daraus machen, wie wir sie erleben, wie es uns gelingt, mit den Herausforderungen, dieser unterschiedlichen Zeiten und deren Bedingungen umzugehen.

So schreibt er am Beginn: „für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit.“

Es geht darum sich in den unterschiedlichen Lebenszeiten zu verhalten, den eigenen Platz zu finden, sich vielleicht sogar tiefer in einer Spiritualität zu verorten, um die Herausforderungen mit den guten wie schlechten Erfahrungen zu meistern. 

In die Gedankenwelt hineingezogen

Die Gedichte nehmen mich in die Gedankenwelt, aber auch in die spirituelle Welt des Autors mit. Ich kann seine Hoffnungen, Ängste, seine Zweifel und Zuversicht spüren und fühle mich manchmal auch an meinen eigenen abgeholt. Ich kann meine Fragen und Unsicherheiten anschauen, in die tiefere Dimension seines Denkens einsteigen, mitfühlen, mich mit dem Thema, das sich durch das ganze Buch zieht, nämlich die Zeit und ihre Lebensbedeutung, auseinandersetzen. Ich frage mich: „Wie wird das wohl sein, wenn ich das Zeitliche verlasse und in das „Unzeitliche“ gehe“. Denn nur in unserer Welt gibt es die Zeit.

Verbindung zur eigenen Spiritualität

Seine Gedichte verknüpft er meist mit Aussagen aus den Psalmen oder Evangelien. Er übernimmt sie nicht einfach, sondern bringt sie sprachlich in einen Kontext unserer Zeit, so dass auch Menschen, die mit „Kirche“ oder Bibel „nichts am Hut haben“, sich gut darin wiederfinden können, ihren eigenen spirituellen Zugang für ihr Leben suchen und finden können.

Kurze Sätze und genaue Beobachtung

Die Kurzgeschichten sind spannende Erzählungen. Vermutlich aus den eigenen Kindheitserfahrungen. Seine Sprache ist klar, er benutzt kurze Sätze, die einen ganz eigenen Spannungsbogen erzeugen. Seine Geschichten leben von seinen Beobachtungen, die er bis in die kleinsten Details beschreiben kann. Es entstehen konkrete Bilder vor meinen Augen. Ich sitze emotional mittendrin.

Kurzweilig

Eigentlich liest man einen Gedichtband und Kurzgeschichten nicht in einem Zuge durch. Ich konnte irgendwie nicht aufhören. Vielleicht auch deshalb, weil ich Biographisches liebe. Er schreibt zwar in den Kurzgeschichten nicht in Ich-Aussagen, sondern mehr als Beobachter von Situationen, in denen er sich vermutlich vorgefunden hat.

Ich habe mich gerne in dieses Buch vertieft und viele Gedichte mit starker Aussage gefunden. Eines sei hier herausgegriffen, in dem ich mich besonders gut wiedergefunden habe:

Älter geworden

Noch stehe ich
Vor dem Gang
Über den Jordan
Blicke staunend zurück
Auf viele Wanderjahre
Die Landschaften
Erschreckend schön

Früher sah ich nur
Schritt für Schritt
Doch jetzt

       zwischen Zeit

und Ewigkeit
erkenne ich dankbar
über welch dunkle Abgründe
ich liebevoll getragen
oder an ihnen behutsam
vorbeigeführt worden bin

Und sollte ich vorher
Nicht gefragt werden
Dem jüngsten Tag
Seh’ ich gelassen entgegen.

 

 


Kategorie: Gelesen

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang