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Freiheit wird existentiell

Wenn ich als Kleinkind in die Phase komme, in der ich nicht mehr über mich in der dritten Person spreche, sondern das Wort „Ich“ gebrauche, beginne ich mit Energie meine Identität auszubilden. Das ist die erste Freiheitserfahrung. Diese vertieft sich in der Pubertät, ihr Gebrauch begleitet mich das ganze Erwachsenenalter

 Erste Freiheitsschritte

Es sind in diesem Alter vermutlich die ersten Bemühungen, mit denen ich meine persönliche Freiheit betreibe. Es kostet Kraft, denn damit ich „Ich will“ sagen kann, geht bereits etwas voraus. Ich muss etwas wollen „wollen“. Wenn ich weiß, was ich will, kann ich nämlich bereits unterscheiden, was ich nicht will. Ich habe also schon eine Ahnung, dass es das Eine wie das Andere gibt und ich wählen kann. Erlebe ich Gegenwind auf mein Wollen, gebe ich in dieser Phase nicht so schnell auf, sondern kämpfe für die Verwirklichung meines Wollens. Daran erkennen wir als Erziehende das Trotzalter. Es ist eine wichtige und anstrengende Phase für Eltern wie für mich als Kind, in der ich meinen Freiheitsdrang spüre, Freiheitsmöglichkeiten erkenne und erkämpfe.

Entscheidende Entwicklungsphase

Gleichzeitig ist diese Phase für meine Entwicklung besonders entscheidend dafür, wie sehr ich auch in den Folgejahren und im späteren Erwachsenenleben meine Unabhängigkeit, meine Selbstständigkeit und damit meine Freiheit betreiben kann.

  •       Wieviel Energie bringe ich in der Pubertät auf, um meinen eigenen Weg zu findenn
  •       Wieviel Kraft habe ich mich in der Auseinandersetzung mit den Eltern zu behaupten?
  • Wie eigenständig kann ich denken, abwägen, die logischen Konsequenzen, also die Folgen erkennen, die sich aus meinen Entscheidungen ergeben?

Diese Fähigkeiten gewinne ich erst in der Auseinandersetzung mit anderen. Daher spielt der Umgang der Erwachsenen mit meiner Freiheitsenergie eine entscheidende Rolle.

Möglichkeiten der Auseinandersetzung

Ich brauche einerseits Gegenwind, damit ich Kampfgeist entwickle, Durchhaltevermögen entfalte, um mich für mich und meine Belange einzusetzen. Ich lerne zu spüren, wie eigene Entscheidungen mich freier machen können. Andererseits erkenne ich, dass bei zu viel Gegendruck andere mich auch einschränken, mich bestimmen wollen oder sogar meinen Willen brechen, wie das früher im pädagogischen Konzept üblich war.
Den Willen brechen führt jedoch dazu, dass ich mich der Machtausübung der Erwachsenen ergebe, klein beigebe, meine Kräfte für den eigenen Freiheitskampf nicht entwickle. Entscheidungen zu treffen, wird für mich dadurch schwierig. Die Gefahr zum Mitläufer zu werden, ist nicht gering.

Wenn ich zu angepasst bin

Das kann sich in den Folgejahren so zeigen, dass ich mich ziemlich angepasst, „brav“ verhalte, weil ich mich nicht traue, mich durchzusetzen. Ich habe nicht gelernt, Argumente auszutauschen, die ich für die Entwicklung meiner Entscheidungsfähigkeit wie für meine Freiheit brauche.
Da kann es passieren, dass ich mich Gruppen anschließe, in denen die Freiheit keine Rolle spielt. Deren autoritäre Strukturen führen dazu, dass einer das Sagen hat und ich mich unterordne. Es kann aber auch ins Gegenteil ausschlagen, dass ich rebelliere, mich mit Macht gegen meine Abhängigkeit auflehne. Weil ich keine Übung im Umgang mit meiner Freiheit habe, über die „Stränge schlage“.

Ohne Korrektur keine Orientierung

Anders wird meine Entwicklung erschwert, wenn ich in einer Laissez-faire Umgebung groß werde, in der mir nicht viel entgegengehalten wird.  Dann fehlt mir die Orientierung für angemessenes wie für soziales Verhalten. Mein Egoismus erfährt nicht die notwendige Korrektur. Wenn ich keine Reaktionen auf mein Verhalten erlebe, gewinne ich nicht den notwendigen Blick auf die Realität. Denn ich lerne erst in den Auseinandersetzungen mit anderen deren Einschätzungen, Denken und Verhalten kennen, die mir die Chance geben, mich für meinen Gebrauch der Freiheit zu orientieren, um so meinen Platz in der Gemeinschaft zu finden. Auf einen eigenen Platz habe nicht nur ich, sondern jeder andere auch ein Recht. Da wo ich aber durch mein Verhalten die Grenzen anderer überschreite, indem ich meinen Freiheitsspielraum auf Kosten anderer ausdehne, muss ich die Konsequenz, d.h. Korrektur erleben. Erfahre ich keine Grenzen, werde ich mich weiter ausdehnen und vermutlich die Grenzen anderer weiter überschreiten und damit ihre Freiheit beschädigen. Diese Grenzen werden in dem Abschnitt „philosophische Ethik“ näher beschrieben. 

Wie spüre ich, dass meine Freiheit ins Spiel kommen muss?

Diese Frage beantwortet sich für jeden anders, es sind jeweils die Wendepunkte in der eigenen Biografie. Deshalb beschreibe ich es für meine Person:
Mich hat schon sehr früh die selbstbestimmte Entwicklung von Kindern fasziniert. Die ersten Erfahrungen machte ich mit 14 Jahren als Übungsleiterin im Kleinkinderturnen, in dem es nicht mehr um vorgegebene Übungen ging, die die Kinder einfach nachmachen mussten, sondern darum, dem Kind einen Erlebnisraum zu eröffnen in dem es sich frei und kreativ entfalten kann. Damit sie sich ihren Möglichkeiten entsprechend bewegen konnten, wurden viele Geräte in der Turnhalle zu einem Erlebnisparcours aufgebaut, deren unterschiedliche Schwierigkeitsgrade sehr individuelle Erlebniswerte eröffneten. Hier bedurfte es keiner Korrektur von meiner Seite, denn die Zusammenstellung der Hindernisse war die Korrektur für das Kind. Es konnte erkennen, was es schon kann und wo es noch üben musste. Es ging um Erfahrungslernen. Es faszinierte mich, mit welcher Lust die Kleinen ausprobierten. Diese eigene Erfahrung hat in mir die Entscheidung reifen lassen mich mit Pädagogik zu beschäftigen.

Entscheidungen müssen mich weiterbringen

Ich spürte, dass mich Pädagogik im konkreten Handeln faszinierte und entschied mich für eine Ausbildung als Erzieherin. Mein familiäres Umfeld wollte es anders, nämlich dass ich erst Abitur machte. Ich hatte jedoch auf dem Gymnasium keine Chance, mich zu entfalten. Die Entscheidung, die Schule zu wechseln, hat mich viel Energie und Durchhaltevermögen in meiner Familie gekostet, aber mir eine größere Freiheit eröffnet. Ich konnte nämlich an den Freiheitserfahrungen, die ich als 14-Jährige bei den Kindern beobachtet hatte, anknüpfen. Ich spürte, wie ich in dieser Ausbildung meine Begabungen viel besser entfalten konnte. Das zeigte sich nicht nur in den viel besseren Noten, sondern auch in der inneren Zufriedenheit, die sich auf meinem weiteren Lebensweg einstellte.

Spüren, wenn Freiheit in Gefahr ist

Heute spüre ich ziemlich schnell, wenn mein Freiheitsspielraum durch andere eingeschränkt wird. Da entsteht in mir ein Gefühl von Enge, ich gerate in Gegenwehr. Freiheitsentzug spüre ich immer dann, wenn andere mich dominieren wollen, meine Ansichten nicht nur mit mir diskutieren, sondern abwerten und meine Argumente nicht gelten lassen.

Entscheidungen müssen meine Freiheit erweitern

Ich entdecke auch, dass ich mir vor Entscheidungen immer die Frage stelle, welche Konsequenzen aus ihr folgen. Meine Erfahrungen haben mir nämlich gezeigt, dass meine Entscheidungen dann gut waren, wenn sie mich freier gemacht, wenn sich mehr Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet haben.

Dies sind Prinzipien, die mir die Philosophie noch einmal bestätigt hat und die ich daher konsequenter beachte, nämlich dass Entscheidungen meine Freiheit erweitern müssen. Die Konsequenzen abzuschätzen, ist eine Forderung der Klugheit. Ich kann mit diesen Kriterien sogar empirisch überprüfen, ob ich gut entschieden habe.


Kategorie: Analysiert

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