Architekten und Städteplaner mögen es beklagen, dass Bürger für alte Häuser auf die Straße gehen. Was alt ist, scheint eine Aura zu besitzen, die moderne Bauten nur selten zu haben scheinen. Neuzeitliche Architektur zieht Bewunderer an, wird bestaunt, doch Städte wie Brügge, Trier, Heidelberg, Rothenburg ob der Tauber, Venedig und andere ziehen magnetisch Touristenströme an. Neues kann nicht die Aura des Alten haben. Es sind weniger Geschichten erzählt worden, es hat noch kaum Legendenbildung stattgefunden. Das Alte ist Mode gewesen und provoziert die Betrachter kaum, die Sehgewohnheiten werden nicht verstört.
Gewohntes in unruhigen Zeiten
Die Attraktion von Altbauten, historischen Stadtkernen, Schlössern und Burgen scheint gerade in Umbruchszeiten zu steigen. Dort, wo etwas schon Vergangenheit ist, wird Altes hervorgeholt und zum Kult gemacht. Im Kohlenpott oder Ruhrgebiet hat es viele Jahre einfach nur Häuser und Städte gegeben. Alles war grau und dreckig. Kurz bevor die letzte Zeche schließt, entwickelt sich diese Region zu einem Touristenort. Menschen besuchen das Weltkulturerbe „Zeche Zollverein“ und wollen ein Leben besichtigen, was bereits museal ist. Es steht in Büchern oder wird von Fremdenführern erzählt, was typisch Ruhrgebiet ist. Der Kumpel ist Museumswärter geworden und träumt von vergangenen Zeiten. Geschäfte verkaufen Devotionalien der gewesenen Zeit. Geschichtliche Realität vermischt sich mit geschäftstüchtigen Angeboten und touristischen Ansprüchen. Die „Einheimischen“, die sich noch erinnern können, sind verwirrt. Fakten werden geschönt, angepasst und die erlebte Wirklichkeit wird zu einer Anekdote. Der Umbruch, die Ängste, die Unruhe werden auf dem Fundament einer maßgeschneiderten Erzählung erträglich. Die Vergangenheit wirkt widerspruchsfrei und lässt nostalgische Erinnerungen wie Gewissheiten erscheinen.
Störfeuer
Bei einem wiederholten Gang durch eine Altstadt oder auch den Kohlenpott stößt der Betrachter manchmal auf ein modernes Kunstwerk, das wie ein Fremdkörper wirkt. Dieser Bruch ist wie eine Wunde oder Narbe. Es kann auch sein, dass irgendetwas Altes verstörend wirkt. Oder der Besucher betrachtet die Kernsanierung eines Altbaus und entdeckt, dass nur die Fassade stehen geblieben ist. Vielleicht muss er auch die Erkenntnis machen, dass die Altbauten lediglich gut gemachte Nachbauten sind. Die Geschichte erzählt sich als Konstrukt ihrer selbst. Die schöne Gemütlichkeit und Idylle erweisen sich als Wunsch, der im Alten eine Kulisse bekommen hat.
Raumverweise
Touristen, die sich historische Orte als Fragen der Gegenwart erschließen, schwelgen nicht in schönen Gefühlen. Sie suchen nach den Verweisen, die sowohl aus dem Alten, die aber auch aus dem Konstrukt des Alten sprechen können. Ein sehr offensichtlicher Verweis ist der Gedanke der Heimat. Alte Städte und Orte werden immer auch vorgestellt als Wohnorte, als Räume, zu denen bestimmte Menschen gehören, die an dieser Stelle ihre Heimat hatten. Und die Fantasie von Heimat wird gekoppelt an Brunnen, Plätze, auf denen sich Menschen versammelten und Häuser, in denen Menschen Schutz fanden. Gerade am Ruhrgebiet zeigt sich auch der Verweis auf Arbeit. Die Untersuchungen und Prognosen vieler Wissenschaftler lassen vermuten, dass in einigen Jahren nur noch wenige Menschen Arbeit haben werden, viele Tätigkeiten werden automatisiert oder einfach überflüssig sein. Diese Prognose ist im Kohlenpott eine erfahrene Realität. Arbeit ist in einem tiefgreifenden Wandel begriffen, viele haben keine Arbeit und sind in Rente geschickt worden. Gerade in einem solchen Umbruch kommen Touristen ins Ruhrgebiet und bewundern den Kumpel und seine harte Arbeit unter Tage. Wie die alten Stätten gestaltet werden oder was erhalten bleiben darf, ist ein Verweis auf das, was Menschen wichtig ist. Es bekommt eine transzendente Dimension, weil es auf das verweist, was grundsätzlich menschlich ist. Auch, wenn Touristen solche Verweise nicht erkennen oder deuten können, so spüren sie doch etwas von dieser Sehnsucht.
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