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Meine Baustelle – Distelacker oder Paradiesgarten

Ich bin wieder durch die Woche getrieben worden. Es gab so viel Verschiedenes, dass ich kaum den Überblick behalten konnte. Wenn ich für eine Stunde aus dem Getriebe aussteige, Distanz gewinne, welche Kräfte zeigen sich, die mich so treiben und woher kommen Energie und Freude:

Es sind die Forderungen, denen ich gerecht werden muss. Diese Forderungen treffen zuerst von außen auf mich. Sie erzeugen dann von Innen die Sorge. Ich muss mich um mich und meist um andere kümmern. Gesundheit, meine Arbeit hinbekommen, mit den Menschen in Kontakt stehen, die mir anvertraut sind. Auf all das reagiere ich mit Sorge. Dazu verbreiten die Nachrichten ein Gefühl der Unsicherheit. Um was man sich kümmern müsste, was alles schief läuft. Beter laden diese Sorgen bei Gott ab.
Dann nagt immer wieder Unzufriedenheit an mir. Wenn ich sie loswerden will, muss ich etwas anpacken, betreiben, mich einsetzen, andere gewinnen, mitzumachen. Den Sonntag brauche ich, um Ressourcen freizulegen. Wie bin ich eigentlich in diesem Leben angesiedelt. Ist es tatsächlich nur die Sorge? Der Philosoph Heidegger hat diese in seinem Werk „Sein und Zeit“ als die zentrale Antriebskraft ausgemacht

Das Normale Leben scheint auf Zermürbung angelegt

Der Rückblick auf die Woche scheint das zu bestätigen, wie unerbittlich gerade diese Antriebskraft „Sorge“ in mir wirkt. Jedoch führen mich diese tieferliegenden Gefühle, das Sich-Sorgen-Müssen, die Risiken, denen ich vorbeugen muss, dieses ständig genährte Gefühl der Unsicherheit mich schnell an Grenzen. Ich kann nur einen Bruchteil von dem leisten, was eigentlich getan werden müsste. Vieles kann ich nicht tun, mir fehlt die Kraft, die Zeit ist sowieso knapp, die Probleme immer größer als die Ressourcen, sie zu lösen. Und dann die Kräfte, die blockieren. Es gibt so ein zähes Festhalten an den eingeschliffenen Abläufen. „So schlecht läuft es doch gar nicht“ klingt mir entgegen. Veränderungen gefährden doch nur das Bestehende. „Schrecken wir die Leute nicht ab, wenn wir Gewohntes aufgeben.“ Zumindest zeigen sich diese Kräfte in der Katholischen Kirche besonders deutlich. Soll ich mich in diese Weltsicht fügen, zulassen, dass sich dieses klebrige Gefühl in mir festsetzt. Ich könnte die Welt auch anders sehen, eben sonntäglich.

Unsere große Weltwerkstatt

Sie ist wie eine große Werkstatt, in der ich alles Mögliche bewerkstelligen kann. Es ist zudem die gemeinsame Werkstatt von uns allen, nicht nur atmen wir die gleiche Luft, wir bekommen Wasser und Strom und sind inzwischen über den kleinen Bildschirm mit der ganzen Welt vernetzt. Wir benutzen die gleichen Straßen, fahren mit Zügen auf den gleichen Schienen und sind gesichert und zugleich eingefangen durch das Schulsystem, durch Steuern, Krankenversicherung, Rente. In dieser großen Werkstatt gibt es für mich einen Platz, sei es am Steuer eines Lastwagens, auf einer Krankenhausstation, in einem Lehrerkollegium, an einem Bildschirm. Für mich ist es das faszinierende Feld der Weiterbildung, auf dem sich Menschen bewegen, die mehr vom Leben wollen.
In der Werkstatt sitzen auch Leute, die mir signalisieren: Bleib auf Abstand! Aber sie haben nur Teile der Werkstatt besetzt. In der verzweigten Halle gibt es auch die anderen, die mich mit einem Lächeln begrüßen, die mir Werkzeuge ausleihen, sich um meine Gesundheit kümmern, die mir Wichtiges erzählen, mit denen ich darüber reden kann, wie es läuft und wo es hakt. Die meiste Zeit bin ich mit denen zusammen, mit denen ich etwas machen kann. Es dürfen nicht zu wenige sein. Aber ich brauche nicht alle, um etwas auf die Beine zu stellen.

Die Werkstatt am Laufen halten

Natürlich weckt die Werkstatt in mir die Sorge. Nur an wenigen Tagen gehe ich mit dem runden Gefühl nach Hause, dass alle Räder des Getriebes ineinander gegriffen haben. An nicht wenigen Tagen stockt der Lauf des Ganzen. Ein Rädchen fällt aus, je schwieriger die Reparatur, desto unwilliger werden die Beteiligten. Zumal die meisten Störungen nicht von der Technik ausgehen, sondern von den Menschen. In diesen Phasen kommt es auf die Perspektive an. Haben wir etwas vor, soll etwas gebaut oder veranstaltet werden. Dann ist die Bereitschaft größer, den technischen Fehler zu beheben und das Miteinander an der Aufgabe auszurichten. Fehlt die Lust, etwas auf die Beine zu stellen, dann zieht sich die Behebung der technischen Panne hin. Im Miteinander reichen die Kräfte nicht, um den Missmut abzustreifen, den entstandenen Ärger auszuräumen, die Vorwürfe fallen zu lassen.

Garten oder Distelacker

In der mythischen Erzählung der Bibel vom Sündenfall finde ich dieses Umschlagen der Grundstimmung auf wenigen Zeilen beschrieben. Das freudige Leben im Paradies wird zur Arbeit auf einem Acker voller Unkraut, das sogar sticht. „Dornen und Disteln lässt der Acker dir wachsen.“ Mit diesen Worten entlässt Gott das Menschenpaar aus dem Paradies. Seitdem treibt uns die Sehnsucht nach dem Paradies. Der Kommunismus traute sich zu, dieses Paradies herbeizuführen. Im Kapitalismus wird es für wenige Ferienwochen von der Tourismusindustrie versprochen. Der Sonntag soll uns einen Vorgeschmack geben.
Das 20. Jahrhundert hat gezeigt, dass Menschen das Paradies nicht zustande bringen. So sehr die Technik unser Leben trägt, keine Erfindung hat das Paradies in greifbare Nähe rücken lassen. Sollen wir es abschreiben, wenn wir am Montag wieder in die Werkstatt gehen?
Ob Distelacker oder Paradies, wir sind in diese Welt gestellt, um an ihr weiterzubauen. Es hängt nicht allein von den anderen ab, ob ich Montag in einen Distelacker komme oder ob ich um mich herum zur Arbeit am Paradies etwas beitragen kann. Das geschieht dann, wenn meine Begabungen zum Einsatz kommen, wenn wir wie eine Sportmannschaft auch Tore schießen, nämlich etwas entwickeln, aufbauen, ans Laufen bringen.

Ob wir die Werkstatt nach dem Modell des Paradieses betreiben oder sie als Beet voll Disteln und Dornen handhaben, hängt zu einem guten Teil von unserem Miteinander ab. Tatsächlich gibt es Unternehmen, Kindergärten, Kirchengemeinden, Verbände, die sich wie der Acker mit Disteln und Dornen anfühlen. Es gibt aber auch Teams und Gruppen, die sich am Modell des Paradieses orientieren. Die erste christliche Gemeinde in Jerusalem setzte sich von der durch Vorschriften überregulierten Synagoge ab: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam;“ heißt es im 4. Kapitel der Apostelgeschichte.

Am Sonntag soll ich mich offensichtlich mit dem Paradies-Modell identifizieren. In manchen Wochen kommt es unter die Räder. Aber viele Wochen zeigen auch, dass man dem Zustand nahe kommen kann.


Kategorie: Verstehen hinsehen.net

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