Dabei frage ich mich schon, was meine Enkel davon halten werden. Mein gefühlt halber Abijahrgang war im Anschluss an die Qualen der Schule in Neuseeland auf den Spuren des Herrn der Ringe. Der kleine Sprössling fragt: «Na, Opa, was hast du eigentlich damals nach der Schule so getrieben?» - «Mein Kleiner, ich war in der fernen Welt und habe Neuseeland unsicher gemacht.» - «Echt? Und welchen Drachen hast du dort erlegt?» - «Naja, also ganz so aufregend war es dann doch nicht.» - «Wenigstens eine Prinzessin gerettet?» - «Ach, ja gerne, aber es war leider keine da.» - «Eine Horde wilder Orks erlegt oder einen düstren Abenteuerwald durchstreift?» - «Hm, also unsere Straßen waren doch eher sauber asphaltiert. Gut, manchmal war auch ein etwas stolpriger Trampelpfad dabei. Im Großen und Ganzen aber sehr ordentlich. Die einzigen Horden, die uns begegnet sind, waren Abiturienten, wie ich einer war, bis unter die Zähne bewaffnet mit Spiegelreflexkameras und Trekkingstöcken.» - «Aber wenigstens viele Entbehrungen, die man bei Abenteuern so auf sich nimmt, Wasserknappheit, zerschlissenes Schuhwerk, Hunger und Kälte, das hast du doch erlebt oder?» - «Also die Neuseeländer sind da schon gut aufgestellt. Wenn mal ein Schnürsenkel gerissen war, gab’s um die Ecke ’nen Laden, um ihn schleunigst zu ersetzen. Und insgesamt ist die Gegend dort recht gut ausgestattet mit Lebensmittelläden, öffentlichen Verkehrsmitteln und Gaststätten zu fairen Preisen, die unseren knappen Geldbeuteln entgegen kamen.» - ...
Abenteuerfreie Reise
Der arme Kleine! Die große Reise hatte eher den Charakter einer Landpartie mit Überlänge und einem lächerlich großen Trekkingrucksack. Das Fernweh nach Abenteuer hatte doch den Muff einer barrierefreien Museumsführung eingesogen. Die ganze Aufregung herbei geredet! Wenn das schon die aufregendste Geschichte Opas ist, dann mögen die anderen Geschichten lieber erspart bleiben! Die Generationen haben sich eingelullt in die Grabesruhe des Museums. Die Irrfahrten des 20. Jahrhunderts waren wohl genug Stoff für Eltern und Großeltern. Sie wollten endlich Ruhe haben. Die Stürme waren schon stürmisch genug. Und die häusliche Geborgenheit – wer wollte das verschmähen? Man fragt sich nur, was für eine Behaglichkeit ein übergeheiztes Wohnzimmer ausstrahlen soll, wenn man die Unbehaglichkeit des Schneesturms draußen nicht erlebt hat. Es macht doch einen Unterschied, wenn man aufgebrochen ist, durch die unwirtlichen Wege stapft, um am sicheren Hafen des Heimes anlegen zu können. Vielleicht war der Sturm so groß, um in die Versuchung zu geraten: Kehre ich um? Brauche ich einen Zwischenstopp, um mich aufzuwärmen und neue Kräfte zu sammeln? Was sagt der Flachmann? Sollte ich einen Unterschlupf suchen, abwarten, bis der Sturm schwächer wird? - Und dann der erlösende Blick und die Vorfreude, wenn sich die Schemen der Einfahrt langsam am Horizont abzeichnen! – Doch was heute an Abenteuer zu erleben ist: Ab in die vorgewärmte Karosse, über die gestreuten Straßen schleichen und am Zielort aussteigen. «Was ein Sauwetter!»
Apropros Auto: Der gestandene Mann von heute hält sich für einen tollen Hecht, bloß weil er seinem gestriegelten Blechesel an einem sonnigen Samstagvormittag neue Hufe für den Winter spendiert hat. Ein ganzer Kerl!
Es geht auf jeden Fall gut aus
Es fehlt an den Geschichten, die das Leben schreibt; wo das Herz höher schlägt und manchmal sich nicht zwischen Rhythmusstörung und stehen bleiben entscheiden kann; wo sich die Anstrengung in jedem Knochen spüren lässt und die Sehnsucht weiter trägt, als man zu erhoffen wagt.
Das Verrückte an diesem geriatrischen Siechtum: Die Geschichte wird von hinten gelesen. Man weiß, wie’s ausgeht. Bangen und Hoffen, Rückzug und Angriff, Sieg und Niederlage, Verzweiflung und Erlösung – wo seid ihr geblieben? Das Leben ist keine Irrfahrt mehr. Da bleibt kein Platz für Zufall, für Umwege, für Schiffbrüche und Strandungen; kein Schicksal, was einen umtreibt. Das Leben ist eine Musterbiographie, ein Lexikonartikel geworden. Falls sich da doch ein bisschen Epik druntermischt, schafft ein Therapeut diesen Unfall auch noch aus der Welt. – Ein Odysseus würde heute nur noch für die Couch taugen. Ungewisses Abenteuer, ausweglose Situationen, Gefangenschaft, Versuchungen, Monster bändigen, List und Heldentum – das sind Hirngespinste für heillos weltfremde Romantiker; nichts für ehrliche Steuervermeider.
Politik – da gilt der Kampf noch
Doch da der Mensch eben ein heilloses Wesen ist, kann er nicht ohne. Die Monster tauchen immer wieder auf und nehmen Fleisch an. Sie heißen dann Chef oder Nachbar und man bekämpft sie mit dem weisheitlichen Arsenal der vorgärtlichen Kriegsführung. Die Lücke ist eben da. Das muss schon gefüllt werden.
Am größten unter ihnen: der politische Kampf. Es gibt ja nix schöneres als einen betäubten Drachen durch Mehrheitsbeschluss artgerecht umzulegen. Der Drache hat unterschiedliche Namen: Kapitalismus, Globalisierung, Krebs, Patriarchat, Sozialismus, soziale Ungerechtigkeit, Klimawandel, usf. Natürlich bleiben das eitle Karikaturen eines echten Kampfes. Feind egal, Hauptsache joie de combat. Vielleicht spielt es daher keine Rolle, ob man die Guten rechts oder links verortet. Je nach Gegner steht man halt auf der einen oder der andern Seite; jedenfalls immer auf der richtigen und bestimmt auch siegreichen. Falls nicht, kann man noch klammheimlich die Seiten wechseln. Und der heimtückische Nervenkitzel des gutbürgerlichen Denunziantentums versüßt auch so manches Sommerloch.
Das Chaos findet nur in den Medien statt
Unsere Eltern vererben uns die Rentnertugenden: Pauschalreise, Fitneßstudio, Wartezimmermarathon, Fernsehen bei Feierabendbier. Die Katastrophen ereignen sich nur in der Tagesschau. Die ganze Welt wird von Krieg, Terror, Hunger, Naturgewalten und Elend heimgesucht. Aus mysteriösen Gründen allerdings machen diese Unglücke immer Halt an den Grenzen Europas, Deutschlands oder spätestens vor der eigenen Haustür. Wenn draußen Revolution wäre – ohne Klaus Kleber wüsste man nichts davon. Ersatzweise beginnen die öffentlich-rechtlichen Abenteuer pünktlich um 20:15 Uhr und enden mit Happy End 90 Minuten später. Die größte Anstrengung: den Aus-Knopf finden und sich vom Ödnis des Nichtstuns geplagt in die Koje schieben. Immerhin: Der Unterschied zum Sargdeckel ist so gering – man merkt ihn kaum noch. Das Privileg der Jugend, furchtlose Drachentöter ohne Rücksicht auf morgen zu sein, wurde lange schon für einen Rentenbezugsschein eingetauscht.
«Opa, was hast du eigentlich damals getan?» - «Setzt dich auf meinen Schoß, mein Guter! Ich will dir erzählen, welche Abenteuer ich erlebt habe. Alles begann, als ich das Abenteuer aus dem Flimmerkasten ausknipste und mich als Held in meiner eigenen Geschichte wiederfand.»
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