Foto: Christian Schnaubelt / kath.de

Der Weg zu mir selbst

Nach einem halben Jahr krankheitsbedingten Stillstand, konnte ich es kaum erwarten, endlich wieder unterwegs zu sein. Meinen Bewegungsradius erweitern, unterwegs sein in Alltag und Berufsleben, mich wieder vorwärtsbewegen, anstatt des Gefühls des auf der Stelle Stehens. Doch auch wenn ich physisch das Gefühl hatte, auf der Stelle zu stehen, hat sich in mir viel bewegt.

Unterwegs sein nach langer Pause

Als ich nach längerem Aufenthalt das Krankenhaus endlich wieder verlassen durfte, konnte ich es kaum erwarten, wieder in meinen Alltag zurückzukehren. Euphorisch und wie elektrisiert, wollte ich wieder unterwegs sein, Ausflüge machen, Orte erkunden, stundenlang spazieren gehen. Ich konnte es sogar kaum erwarten, wieder Vollzeit zu arbeiten. Die Wiedereingliederung am besten so kurz wie möglich halten. Ich wollte alles das, was ich Monate lang nicht hatte, nicht konnte oder durfte: und am besten alles auf einmal und so schnell wie möglich. Ich musste auf meinem Lebensweg gezwungenermaßen pausieren, deshalb hatte ich das Gefühl, jetzt sprinten zu müssen, um die verlorene Zeit aufzuholen. Jünger werde ich schließlich nicht und die Zeit, in der ich nicht mein gewohntes Leben leben konnte, würde mir auch niemand zurückgeben können. 

Was ich allerdings schnell merkte, war, dass ich, einmal wieder in Bewegung gesetzt, ebenso schnell in den alten Trott zurückfiel, unbewusst wieder auf bekannte Verhaltensweisen und Denkmuster zurückgriff. Dabei hatte ich die physische Pause doch genutzt, um psychisch voranzukommen, mich zu reflektieren und meinen Lebensweg einmal vollkommen zu überdenken. 

Unterwegs sein in mir

Wenn die Umstände einen dazu zwingen auf seinem bisherigen Weg, anders gesagt in seinem gewohnten Alltag, zu pausieren, man nicht mal eben den nächsten Urlaub, den Umzug in eine größere Wohnung, den nächsten Schritt einer Beziehung planen kann, bietet das eine gute Gelegenheit seinen Fokus auf die mentale Ausrichtung zu fokussieren. Wenn der Körper nicht so kann, wie man will, dann muss der Kopf herhalten. Ich wollte den körperlichen Re-Start nutzen, um auch aus meiner Persönlichkeit das Beste rauszuholen, getreu dem Motto: Ein gesunder Körper braucht auch einen gesunden Geist.   

Ohne die geistige Ablenkung durch Arbeit, Freizeitplanung, Haushaltsstress und dem unterschwelligen Bedürfnis produktiv sein zu müssen, habe ich mich und meinen Stand im Leben bewusst reflektieren und mich mit ganz konkreten Fragen auseinandergesetzt:  

•    An welchem Punkt stehe ich in meinem Leben und was sind meine langfristigen Ziele? 
•    Bewege ich mich auf diese zu oder stehe ich mir oftmals selbst im Weg?
•    Sabotiere ich mich selbst, aus Angst vor Veränderungen, aus alten Gewohnheiten heraus oder aus Glaubenssätzen, die ich aus meiner Kindheit übernommen habe?

Die Erfahrungen, die ich durch meinen längeren Krankenhausaufenthalt, durch Begegnungen und Isolation, durch die Krankheit selbst gemacht habe, haben mich meinen Kurs überdenken lassen. Nach wie vor sind auf der Route meines Lebens viele Kreuze verzeichnet, von Orten, Phasen, Umständen und Ereignissen, die ich weiterhin auch fest im Blick habe und erreichen möchte, doch der Weg selbst hat sich nicht mehr richtig angefühlt. Von einigen Weggefährten habe ich mich getrennt, weil sie vielleicht für einen gewissen Wegabschnitt richtig und wichtig, aber mittlerweile mehr Gewohnheit als Bereicherung waren. Ich habe gelernt, Prioritäten anders zu setzen und dass ein gesundes Maß an Egoismus nichts ist, wofür man sich schämen muss. Auch einiges an emotionalem Ballast, Altlasten, die ich über Jahre hinweg geschultert hatte, konnte ich auch dank professioneller Unterstützung und der ein oder anderen Fachlektüre endlich ablegen. 

Auf dem Weg bleiben

Das Schwierigste ist jedoch, auf diesem neu eingeschlagenen Weg zu bleiben. Im Alltag ertappe ich mich immer wieder dabei, wie verinnerlichte Konzepte und Vorhaben zu Self-Care und Achtsamkeit oftmals den Kürzeren ziehen. Immer wieder muss ich mich selbst aktiv dazu motivieren, einmal innezuhalten, in mich reinzuhören und nicht aus Gewohnheit, Pflichtgefühl oder Komfort “einfach mal” weiterzumachen und wieder in alte Muster zu verfallen. Ohne diesen Stopp, der Vollsperrung aufgrund von Baumaßnahmen, wäre ich meinen Weg weiter so gegangen wie bisher, hätte mir nicht die Zeit genommen, den Blick bewusst von meinem äußeren auf meinen inneren Weg zu lenken. 

Kerstin Barton


Kategorie: Verstehen

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