Foto: Mariia Karapata

Literaturszene Ukraine

In der Ukraine entwickelt sich eine neue Lesekultur, die sich vor allem mit dem Sachbuch beschäftigt. In seinem Selbstfindungsprozess sind in dem Land vor allem geschichtliche Werke gefragt. Literaturfestivals präsentieren Bücher und stoßen auf wachsendes Interesse. Unsere Kiewer Korrespondentin gibt ein Überblick über die wichtigsten literarischen Foren.

In letzten Jahren und zwar nach der „Revolution der Würde“ 2013/14 erhöhte sich das Niveau der Lesekultur spürbar. Die drastischen Veränderungen zwangen die Menschen, sich mehr dem Buch, nicht zuletzt dem Sachbuch, zuzuwenden. Man begann, sich selbst viele Fragen zu stellen und die Antworten in einem Buch zu suchen. Im Zusammenhang mit den Umbrüchen richtete sich das Interesse verstärkt auf geschichtliche Werke, nicht nur zur ukrainischen Geschichte, sondern auch über größere historische Epochen. Man will den Ursprung eines Geschehens erreichen, um sich eine eigene Meinung aufgrund der Tatsachen und historischer Entwicklungen zu bilden. Die Deutung der Geschichte der Ukraine spielt in die aktuelle politische Debatte hinein. Man kann sogar von einem Informationskrieg sprechen, ob nämlich die Ukraine sich als eigene Nation oder als Teil Russlands verstehen kann. Insgesamt hat die Nachfrage nach Sachbüchern zugenommen. Viel öfter kann man Jugendliche in der Bahn beobachten, die sich nicht mit dem Smartphone beschäftigen, sondern in ein Buch vertieft sind. Nicht nur die Akademiker, sondern allmählich alle Bevölkerungsschichte greifen zum Buch. Literaturveranstaltungen, die das Kulturleben der ganzen Ukraine bereichern, gewinnen an Prestige.

Buch-Arsenal in Kiew

Seit 2011 findet in Kiew das Buch-Arsenal statt. Diese jährliche Buchmesse schafft ein günstiges Umfeld für die kulturelle Entwicklung des Landes und popularisiert das Lesen. Da das Projekt in der Zusammenarbeit mir vielen Botschaften, internationalen Kulturzentren, Museen und Bildungseinrichtungen organisiert wird, wurde es zu einer der größten Veranstaltungen in der ganzen Ukraine. Inzwischen löst das Buch-Arsenal ein enormes Interesse bei vielen Ukrainern aus. Viele ukrainische und ausländische Autoren präsentieren ihre Werke, Literaturfans stehen Schlange für ein Autogramm bekannter Schriftsteller, Eltern kaufen den nächsten Harry Potter Band, nicht unbedingt nur für ihre Kinder. Das Programm der Buchmesse geht über die Literatur hinaus und bezieht andere Kunstrichtungen ein. Fünf Tage der Literaturbegeisterung führen zum Kauf von mehr als einem Titel.

Lemberger Buchforum

Im September findet on Lwiw, in Lemberg, das Buchforum statt. Seit Jahren werden viele ausländische Ehrengäste zu diesem Forum eingeladen, zu deren die Schriftsteller Paulo Coelho, Peter Weidhaas, früherer Leiter der Frankfurter Buchmesse, Erlend Loe aus Norwegen und Frédéric Beigbeder aus Frankreich gehören. Während dieses Festivals kann man an unterschiedlichen Diskussionen und Autogrammstunden teilnehmen, sich nach den Autoren der Weltliteratur erkundigen und unerwartete Performances ansehen. Das Lemberger Buchforum dient als eine einzigartige Plattform dem Erfahrungsaustausch der Literaturschaffenden, der Verlegern und allen Interessierten. Über diese Plattform finden neue Ideen Eingang in den Buchmarkt.

Meridian in Czernowitz

Für ein Lyrikfestival ist Czernowitz der geeignete Ort, denn die Stadt verfügt über ein großes deutsch-ukrainische Kulturerbe. Czernowitz war Teil der Habsburger Monarchie, galt aber schon lange als Kulturzentrum für ganz Europa. Die Stadt versucht, dieses Erbte wieder lebendig werden zu lassen. Das Festival setzt sich zum Ziel, Czernowitz auf der kulturellen Landkarte Europas zu etablieren und den Dialog zwischen den ukrainischen Dichtern und ihren Kollegen im Ausland zu intensivieren. Seit 2010 empfängt das Lyrikfestival viele internationale Gäste. Dank Partnerschaften mit Deutschland und Österreich pflegt das Projektteam Kontakte zu deutschen und österreichischen Schriftstellern, Journalisten und Verlegern. Das reichhaltige und vielfaltige Festivalprogramm zieht die Aufmerksamkeit der Touristen auf sich.

Bibliothek der Zukunft

Erst vor kurzem hat Lemberg wiederum die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Anfang September 2017 wurde das Erzbischof-Andrej-Scheptyzkyj-Zentrum in Lemberg eröffnet. Das Informationszentrum ist zugleich eine Bibliothek, die sich auf dem Campus der Ukrainischen Katholischen Universität befindet. Diese Bibliothek habe ich selbst im Rahmen der polnisch-deutschen Sommerschule für jungen Journalisten besucht und war von dem innovativen Konzept überrascht. Dank der Gebäudearchitektur wurde es schon „Bibliothek der Zukunft“ genannt. Die Herangehensweise ist nicht nur an dem äußeren Erscheinungsbild ablesbar. Die technische Ausstattung der Konferenzsäle, die Sommerterrassen, ein Kinderzimmer mit Betreuung, ein Café und immer ergänzend der Bibliothekkatalog verkörpern eine aktuelle Idee der Bibliothek. Die Nutzung der Einrichtungen des Andrej-Scheptyzkyj-Zentrums steht jedem offen.

Lokale Aktivitäten, Kurse, Lesungen

Neben den großen Literaturprojekten haben mehrere lokale Veranstaltungen eine Ausstrahlung auf das ganze Land. Darüber hinaus fördern regelmäßige Lesungen, Diskussionsklubs, Konzerte unter Teilnahme der Literaturschaffenden, Buchpräsentationen und Literaturkurse für junge Schriftsteller die Entwicklung der ukrainischen Kultur. Ukrainische Autoren halten in vielen Städten Literaturkurs und stellen einen neuen Titel vor. Die Literatur wird damit zu einem Verständigungsmittel zwischen den Menschen. Die Ukrainer wollen sich auf ihre Stärken besinnen wie auch sich mit ihren Schwächen auseinandersetzen, um daraus Konsequenzen zu ziehen.


Kategorie: Gelesen

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