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Der Stechlin – Fontanes Roman als Einübung in Veränderungen

Fontane beschreibt mit der Person seines Protagonisten die Zeit nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71, wie aus einem Konservativen ein Liberaler wird, der fähig ist, sich der neuen, sozialen Frage zu stellen. In einer Zeit des Übergangs, die ebenso eine Veränderung des Blickwinkels einfordert, ist das Buch ist lesenswert.

Als Autor interessieren den Meister des poetischen Realismus vor allem die Charaktere seiner Protagonisten, wie sie sich – und das ist Fontanes besondere Kunst – nicht nur durch individuelle Voraussetzungen, sondern mehr noch durch die Zeitumstände bedingt zu einer für die Person typischen Haltung entwickeln. So auch im Stechlin. Zwei große Themen durchziehen den Roman: der soziale Wandel und die Verbindung eines kleinen, abgelegenen Dörfchens mit der großen, weiten Welt.

Der Major außer Diensten

"Der Stechlin" ist Theodor Fontanes letzter von fünfzehn Romanen, die fast alle nach seinem sechzigsten Lebensjahr entstanden sind. Wer sie liest, durchschreitet mit Fontanes dessen Lebenszeit von 1819 bis 1898 und damit fast das ganze 19. Jahrhundert.
Es ist ein Roman aus der Zeit nach dem Krieg 1870/71. Zunächst bezeichnet „Stechlin“ einen See in der Grafschaft Ruppin an der mecklenburgischen Grenze sowie ein Dorf und Schloss. Stechlin heißt aber auch ein Major a. D., ein Original, bei dem sich die Schwächen in Vorzüge verwandeln. Er hat das Selbstgefühl derer, die schon vor den Hohenzollern da waren. Früher saß er lieber im Sattel als bei den Büchern, Er ist zweimal im Fähnrichsexamen durchgefallen, nimmt aber dann als Major Abschied von der Armee. Auf dem Schloss Stechlin setzt er sich zur Ruhe. Er verkörpert das alte Junkertum, also die so bezeichneten Adeligen in Preußen. Der Major außer Diensten wandelt sich im Verlauf der Jahre, die in dem Roman geschildert werden, zu einem Liberalen, wenn auch unter Schmerzen des Abschieds von konservativen Positionen.
Der Stechlin-See wird zum Symbol der Verbindung des Kleinen mit dem Großen Der Sage nach entsteht im Stechlin-See ein Wasserstrahl, wenn irgendwo auf der Erde ein Vulkanausbruch oder Erdbeben stattfindet. So bemerkt einmal Stechlin in einem Gespräch, dass er mit Java telefonieren könne.

Hommage an den preußischen Adel

Der Roman ist eine geistvolle Schilderung des preußischen Junkertums, für Fontane eine sympathische Menschenklasse. In den Roman eingeflochten sind die Spannungen und Kämpfe der damaligen Zeit: der erwachende soziale Gedanke und die sozialdemokratische Partei. Der Major Stechlin verbindet dabei den alten konservativen mit dem neuen sozialen Gedanken: "Ich wollte, jeder Arbeiter kriegte einen halben Morgen Land von Staats wegen und kaufte sich zu Ostern ein Ferkelchen und zu Martini schlachteten sie ein Schwein." Der Stechlin "hat was im Leibe, was die alten Junker alle haben: ein Stück Sozialdemokratie". Er hängt am Alten, verschließt sich jedoch nicht dem guten Neuen. Er glaubt, wenn er stürbe, werde ein Junker zu Grabe getragen, er ist jedoch in allen seinen Anschauungen liberal geworden. Diese Wandlung des konservativen Majors Stechlin zum Liberalen ist das große sozialpolitische Thema des Romans. Die Wandlung seines Charakters vollzieht sich dabei in Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, also in Gesprächen, wie zum Beispiel mit Pastor Lorenzen, der für das Neue steht – und dem der Major Stechlin seinen Sohn zur Erziehung gibt. Pfarrer Lorenzen liebt und achtet, wie Stechlin, das Alte, glaubt aber an eine neue, demokratische Weltsicht und an eine Zeit, in der man besser und freier atmen kann. Pfarrer Lorenzen: "Der Hauptgegensatz alles Modernen gegen das Alte besteht darin, dass die Menschen nicht mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen einzunehmenden Platz gestellt sind."

Ein Buch voller Gespräche

All das wird in Gesprächen entfaltet, nicht in dramatischen Wendungen, die alle Höhen und Tiefen von Glück und Verzweiflung ausloten. Die Handlung des Romans ist nur ein Gerüst, um Gespräche zu ermöglichen und Konversation zu betreiben. "Jede Bewegung der Figuren im Raum, die Besuche, Ausflüge und Reisen, dienen nur dazu, Gespräche zu ermöglichen, oder, im Fall der Trennung, neuen Gesprächsstoff zu bieten." In diese Gespräche eingebunden werden der geneigte Leser bzw. die Leserin.


Kategorie: Gelesen hinsehen.net

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