Interaktive Apps und Chatbots wie „Resi“ versuchen nun auch in Deutschland Nachrichten – aufgeteilt in mehrere Chateinträge – zu verpacken und mit der Zeit aus den Themen-Interessen der Nutzer/innen zu „lernen“ und für die sie individualisierte Nachrichten anzubieten.
Nachrichten als Gespräch – Conversational Journalism auch in Deutschland auf dem Vormarsch
In Deutschland gehört der „Resi“-Erfinder Martin Hoffmann zu den Pionieren des Conversational Journalism. Gegenüber der Zeitung „Journalist“ verdeutlichte er das Konzept hinter dem App „Resi“. „Wir fragen uns immer: „Was würde ich einem Freund erzählen?“ Dazu verschickt ein dreiköpfiges Redaktionsteam täglich 10 bis 15 Nachrichten – Themen via Chat an die User. Diese können selber interaktiv entscheiden, ob sie mehr über eine Nachricht erhalten wollen. Resi gliedert die Informationen in der Regel in drei kurze Chatposts und bietet am Ende einen Link zu einem ausführlicheren Artikel im Web oder das „Themen-Schlagwort“ für weitere Nachrichten zum „abonnieren“ an. Zur Abwechslung und zur Aufheiterung der User gibt es zwischen den Nachrichten Emojis und animierte GIFs. So wirkt der Nachrichtenpost eher wie ein Chat mit einem „technikverliebten Freund“ denn als Nachricht eines Chatbots – auch wenn die Nachricht real so entsteht. Doch noch sitzen Menschen hinter der Auswahl und der Formulierung der Nachrichten und orientieren sich dabei an den Trends aus Facebook und Twitter? Werden dies bald auch Chatbots selber übernehmen, wie bei der New York Times bereits im Sport und bei Börsenkursen?
Individualisierte Nachrichten?
Intelligent Personal Assistants (IPA) lernen bei diesem simulierten Dialog aus den Interaktionen der User und langfristig sollen sie individualisierte Nachrichten ermöglichen. Bei Resi sind derzeit etwa 85 bis 90 Prozent der Nachrichten noch für alle User gleich. Doch: „Wir wollen Resi Stück für Stück weiter personalisieren“, betonte Martin Hoffmann gegenüber der Zeitung „Journalist“. Für seine Kernzielgruppe „junge Menschen zwischen 15 und 25, die ihre Nachrichten kaum mehr über klassische Nachrichtenseiten beziehen“ scheint dies passend. Diese sollen die Möglichkeit bekommen, über Push-Benachrichtigung die wichtigsten Nachrichten und Trends aus den Social Media aufs Smartphone zu erhalten. Und da diese jungen Mediennutzer vor allem News und Empfehlungen aus den sozialen Netzwerken und ihrem Freundeskreis beziehen, versucht Resi hier ein neuer, schlauer, Freund zu sein, der lernt. Bei einem einwöchigen Selbsttest stellte der Autor dieser Zeilen fest, dass er zwar viele Nachrichten des Tages bereits über andere Kanäle (Print, Radio, TV, Website und Social Media) mitbekommen hatte, aber die Begrenzung der Resi-Nachrichtenzahl (Selektion), die auf Wichtigkeit und Kürze komprimierten Nachrichten (Redaktion) und die Tonalität des Chats (Emotion) positiv einen schnelleren Überblick und manche neue Erkenntnis des Tages brachte. Auch wenn die GIFs auf Dauer etwas nerven (man kann sie auch in der App abschalten), mildern sie doch den Ernst zwischen den Nachrichten. Und auch wenn dem User bewusst ist, dass er mit einem redaktionell gesteuerten automatisierten Chatbot in Dialog tritt, so fällt eine gewisse „Leichtigkeit“ bei den Dialogen auf.
Noch fristet der Conversational Journalism in Deutschland eher ein Randdasein, obwohl Resi in Deutschland positive Resonanz bei den Usern und in der Medienwelt auslöste. Auch finanziell konnten dadurch noch keine großen Erlöse erbracht werden. Resi ist zur Zeit kostenlos und werbefrei, doch Anzeigen und Abos werden dort angedacht. In England hat der „Guardian“ bereits Chatbots in den Facebook-Messenger integriert und die User können dort über Stichworte Artikel und Links vom Chatbot raussuchen lassen. Die Nachrichten stammen vom Guardian und die Links führen zu dessen Online-Angeboten, so dass auch Nicht-Abonnenten und Nicht-Nachrichten-Website-Leser erreicht werden können. Zudem können dadurch Elemente des Guardian-Archivs neu vermarktet werden.
Der Conversational Journalism bereitet den Weg für einen interaktiven Journalismus, der individualisiert auf die Interessen und Bedürfnisse der User reagiert. Abseits der Fragen von Big Data und Datenschutz, bietet der Chat-Journalismus eine Möglichkeit, „nachrichtenmüde“ User zu erreichen, die an die Chatdialoge á la WhatsApp & Co. gewöhnt sind und klassische Nachrichtenseiten wie Tagesschau nicht anklicken bzw. deren Apps installieren würden. Die lernenden IPAs und Chatbots ermöglichen zudem, die immer schneller werdende Nachrichtenflut zu filtern und zu individualisieren. Wenn diese Technik in die Mainstream-Chats (WhatsApp, Facebook Messenger, Snapchat) Einzug hält und somit einer breiten Masse zugänglich sein wird, wird deren Bedeutung enorm zunehmen.
Fazit: Conversational Journalism bietet für die Nachrichten-Anbieter und für Journalisten eine neue Möglichkeit, bisher größtenteils unerreichte Zielgruppen zu erreichen und Nachrichten losgelöst vom Hauptkanal (Website, Social Media, TV, Radio, Print) zu platzieren. Den Trend der „homeless media“ aufgreifend, rücken die Nachrichten und Nachrichtenersteller (z.B. Autoren/ Redakteure/ freie Journalisten) selber in den Vordergrund. Das Trägermedium (z.B. Website) oder der Auftraggeber (z.B. Zeitungsverlag) treten dafür in den Hintergrund. Im Resi-Chat führt beispielsweise derzeit zum nur der weiterführende Link auf eine Website, die einzelnen Nachrichten sind nicht durch eine Redaktion / einen Verlag „gebrandet“ (auch wenn die einzelnen Nachrichten Hinweise auf Quellen erhalten). Der Beruf des Journalisten könnte sich dadurch langfristig verändern: Die Auswahl an Nachrichten und der passgenaue Zuschnitt auf einzelne Zielgruppen rückten in den Vordergrund, die Bedeutung der Trägermedien (wie Websites, Zeitungen, Fernsehen) nimmt ab. Je nach Zielgruppe und Alter greifen jeweils andere Trägermedien die Nachrichten heraus und IPAs und Chatbots passen die Ausgabe der Nachrichten-Inhalte darauf passgenau an. Der Journalist als Gatekeeper der Nachrichten – ohne eigenen Kanal.
Christian Schnaubelt
(Ressortleiter Medien)
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