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Zwischen Sehnsucht nach Real Life und digitaler Kommunikation

Digitale Romantik ist die Sehnsucht nach sozialen Mustern in der Vergangenheit, um der Berechenbarkeit der digitalen Medien, dem Sich-ständig-kontrolliert-Fühlen zu entkommen. Dem laufen die Einschränkungen zum Abfedern der Pandemie entgegen. Kontakt ist jetzt durch die digitalen Medien ermöglicht. Klara Pisonic beschreibt die Situation anlässlich der abgesagten Luminale.

Eine der gecancelten Großveranstaltungen, die Luminale in Frankfurt und Offenbach, wollte zum Thema machen, das jetzt von dem Virus erzwungen wird. Das leuchtende Lichtkunstspektakel in Frankfurt und Offenbach ist dafür bekannt, Wahrzeichen der Stadt, wie die Alter Oper und den Römer, in einen farbenprächtigen Blickfang zu verwandeln. Erstmalig hatten alle Licht-Installationen ein übergeordnetes Thema: „Digitale Romantik“. Damit ist gemeint, sich den digitalen Medien, ihrer Logik von Transparenz und Berechenbarkeit zu entziehen.

Konträre Worte in einem Begriff: Digitale Romantik

Vor dem Hintergrund der Absage und in Zeiten der Quarantäne gewinnt der Begriff „Digitale Romantik“ ganz neue Aspekte. Der Begriff spielt dabei mit grundlegenden Kontrasten. Einerseits impliziert der Terminus Digitalität Berechnungen und Algorithmen, Transparenz und Weltöffnung. Andererseits steht dieser Kategorie die Romantik gegenüber, die an Sehnsucht und Liebe, Schönheit und Unheimlichkeit, Natur und Subjektivität erinnert. Der Titel ist allerdings keine Neuerfindung im Rahmen der Luminale. „Digitale Romantik“ weist seit Jahren vor allem im Netz diverse Suchtreffer auf. Auffällig ist, dass die Bezeichnung in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gedeutet wird. So finden sich Ideen von romantischen Online-Dates, Unternehmenskulturen oder Ansätzen abstrakter Schönheit der Digitalität wieder.

Digitale Romantik als Sehnsucht nach alten Zeiten

Ein Gedanke im gesellschaftlichen Sinne ist, die Digitale Romantik als Massenbewegung zu betrachten. So wie die romantische Epoche mit gesellschaftlichen Ausbrüchen und Sehnsüchten zu tun hatte, versuchen immer mehr Heranwachsende aus den Ordnungen der Digitalität auszubrechen. Offenbar sehnen sich junge Menschen zunehmend einen Retro-Lebensstil herbei. Denn es liegt stark im Trend, sich in Cafés zu treffen, die Kuchen nach Großmutters Rezept anbieten und eingerichtet sind, als sei das gesamte Interieur aus der Rumpelkammer geholt worden. Alte Schätze vom Flohmarkt und Retro-Mode: Wiederherstellung einer vergangenen Zeit.
Früher war schließlich alles „besser“, oder zumindest in dem Maße, wie ein Teil der heutigen Jugendlichen sich das klischeehaft vorstellt. Sie wenden sich von der quantifizierten Objektivierung des Menschen durch die Digitalität bewusst ab. Dafür sehnen sie sich nach (positiven) sozialen Mustern der Vergangenheit.
Heranwachsende, die gegen die Technik protestieren. Es sind nicht die, die durch Technik überfordert sind und deshalb resignieren. Es sind die Digital Natives, die mit der Technik aufwachsen und sich gegen die Digitalisierung wehren. Junge Menschen, die sich in der digitalen Infrastruktur auskennen, jedoch mit den sozialen Implikationen unzufrieden sind. Eine Sehnsucht nach Real Life.

Versöhnung durch Digitalität?

Aufmunternde Worte in dieser Hinsicht formuliert Alexander Pschera in seinem Werk „Vom Schweben — Romantik im Digitalen“. Der Autor stellt fest, dass es sehr einfach sei, auf eine Welt der verschwindenden Wirklichkeit mit Pessimismus oder Abscheu zu reagieren. Doch dabei verstricke sich das Denken in Bitterkeit. Das Denken sei somit nicht mehr frei und werde seiner Aufgabe nicht gerecht. „Die Kunst der ironischen Selbstbeherrschung erweist sich erst in den Weiten der digitalen Landschaft. Hier ist sie es, die zur Versöhnung beitragen kann.“
Nicht die Digitalität, sondern Ausnahmesituationen wie Pandemien und Epidemien können zu sozialer Distanzierung führen. Um die Verbreitung von Krankheiten einzudämmen, ist es Staaten möglich, physische Nähe zwischen Personen zu verbieten. Unternehmen können schließen und ihre Mitarbeiter*innen nachhause schicken. Schulen und Universitäten können auch ihre Türen verriegeln. Sogar die gemeinsame Feier von Gottesdiensten kann abgesagt werden. Doch Kommunikation in Isolation ist trotzdem möglich. Streamen, chatten, posten. Das Netz schafft Verbindungsmöglichkeiten. Von einem Tag auf den anderen stellt sich nicht mehr die Frage, ob Schulen bereit sind für digitalen Unterricht. Keine Frage mehr nach Kirche und Digitalität. Sie und viele andere Institutionen sind gezwungen, sich zurecht zu finden. Gezwungen, das Beste aus der Situation zu machen. Gezwungen, um aus Ferne Nähe zu schaffen.

Ausnahmesituationen fordern Ausnahmelösungen. Es bleibt zu hoffen, dass aus Schreckensszenarien auch Chancen erwachen können, digitale Alltagspraktiken nicht mehr als defizitär einzuschätzen, sondern als fruchtbare Zukunftsperspektive anzunehmen.

Link und Literuaturhinweis
1. Mersmann, Gerhard, Die Romantik im digitalen Zeitalter
(22.07.2018) in Neue Debatte,
   
abgerufen am 14.03.2020.
2. Pschera, Alexander, Vom Schweben, Berlin 2013


Kategorie: Digitalisiert

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