Licht und Struktur - Abtei Fonentay- Schlafsaal der Mönche Foto: hinsehen.net E.B.

Wir brauchen überzeugende Sonntagsreden

Sonntags werden viele Reden gehalten, morgens in den Kirchen, dann in den Sälen. Am Samstag gibt es zur Einstimmung das "Wort zum Sonntag". Dann gibt es hier "Deshalb Sonntag". Es sind nicht bloße Redereien, sondern notwendige Sätze, die das Zusammenspiel während der Woche stützend. Im Moment findet aber etwas anderes statt:

Die Spannung erhöhen, um die Gegensätze zu verschärfen

Es gibt immer gegensätzlichere Vorstellungen, wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen. Das kann man ausgleichen oder es so machen wie die Partien in letzter Zeit. Mit einer nicht abreißenden Folge von Konflikten zielen sie auf die Zerstörung bisheriger Selbstverständlichkeiten. Selbst die Parteien, die die Regierungen stellen, betreiben dieses Zerreißen. Es werden Forderungen mit Drohungen verbunden. Ultimativ soll etwas umgesetzt werden. Die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden frisst sich in die Gemüter.

Es braucht etwas, das sich Geltung verschafft hat

Würden diejenigen, die "es darauf ankommen lassen", morgens in der Kirchenbank sitzen und auf die Bibeltexte hören, würde das deren Unzufriedenheit mit einigen Werten unterfüttern, die das Gebäude des Zusammenlebens wieder auf solide Fundamente stellt. Wenn der Prediger nicht als Zeitkritiker auftritt, sondern aufweist, was in den Texten gemeint ist und das auf die Gegenwart bezieht, dann ist das eine sinnvolle Sonntagsrede. Denn die Bibel "funktioniert" seit 2.000 Jahren, manche Texte in ihr oder der griechischen Philosophie sogar noch länger.
Es wird deutlich, wozu Sonntagsreden gehalten werden. Sie berichten nicht von Forschungsergebnissen, von Gewinnzahlen und auch nicht von Sportereignissen, sondern behandeln Selbstverständlichkeiten. Deshalb soll eine Sonntagsrede auf die Zustimmung der Hörer zielen. Die Menschen sollen sich tiefer verankert fühlen. Damit sie das können, werden die Fundamente freigelegt, auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht und als lebensfördernd herausgestellt.

Das richtige Wohlgefühl

Das Wohlgefühl, das den Sonntagsreden den schlechten Beigeschmack beschert hat, ist dann trügerisch, wenn der Redner seine Aufgabe nicht erfüllt hat, indem er nämlich nur auf das Gefühl abzielte, Solidarität nicht nur beschworen hat, sondern aufgezeigt hat, aus welchen Werthaltungen sie erwächst. Deshalb muss eine Sonntagsrede anspruchsvoll sein, einen Zusammenhang aufzeigen, der leicht übersehen wird, die Zuhörer an tragfähige Werte neu anbinden. Das Wohlgefühl, das die Menschen mitnehmen sollen, entsteht aus einer tieferen Einsicht, nämlich dass bestimmte Werte so evident gemacht wurden, dass sie für alle einsichtig sind.

Werte befreien

Das ist erst einmal die Einsicht, dass ich als Bürger nicht nur fordern kann, sondern mein Leben sich erst erfüllt, wenn ich eine Aufgabe übernehme. Die Zuhörer sollen sich als Personen angesprochen fühlen, die aus sich mehr machen können, weil jeder zu Höherem berufen ist. Eine weitere Wertedimension ist die Solidarität. Wenn jeder etwas zum Gemeinwesen beiträgt, dann haben alle mehr vom Leben.
Das sind einfache Zusammenhänge. Die Kirchen haben durch Fixierung auf ihre Strukturprobleme sich aus der Aufgabe zurückgezogen, zum Wertekonsens der Gesellschaft beizutragen. Die Politiker sind von der Rhetorik eines Trump betört, indem sie einen Konsens nach dem anderen aufkündigen.
Die Sonntagsredner, ob Prediger oder andere, tragen dann zu einem gemeinsamen Wertebewusstsein bei, wenn sie sich ständig mit diesen Werten beschäftigen. Ein bloß pragmatischer Prediger bleibt bei moralischen Imperativen stehen, ein Redner soll nicht etwas "beschwören". Sonntagsreden gelingen mit Philosophie.



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