Bei den Sicherheitsdiensten hat man manchmal den Eindruck, es handle sich um Teilnehmer eines Bodybuildingwettbewerbs und die Polizisten sind mit schusssicherer Weste ausgerüstet. Alles steht auf Kampfeinsatz, so zumindest der sich aufdrängende Eindruck. Der Polizist in einer schönen und „ehrwürdigen“ Uniform ist Vergangenheit. Wolfgang Ambros sang 1978 noch das Lied vom Schaffner: „Schaffner sein, das war einmal wos, die Zeit ist vorbei, heute fahrn wir schaffnerlos.“ Dem Schaffner gehörte der Wagen, er war der Herr, er ordnete das Wirrwarr. Ihm zollten die Fahrgäste Respekt und er trug natürlich eine schöne Uniform. Heute werden Sicherheitsdienste in Bus und Bahn eingesetzt, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Ordnung des öffentlichen Lebens ist geprägt vom Gedanken der Verteidigung, was brutal ins Auge springt, wenn die Fußgängerzonen mit Betonklötzen abgesichert sind, damit kein LKW wie in Berlin in Menschenmassen fahren kann.
Größerer Sicherheitsbedarf
Und trotz alledem scheinen unsere Städte unwirtlicher geworden zu sein. Leerstände, verdreckte Straßen, Schmierereien an Wänden, laute Autos, mit denen ihre Fahrer auffallen wollen. Polizisten, die kampfbereit aussehen und dennoch die Ängste nicht nehmen, weil genau dort, wo die dunkle Gasse ist, durch die man muss, kein Polizist ist. Und der Respekt scheint trotz dieser „Kampfkleidung“ geschwunden zu sein. An vielen Orten sind Überwachungskameras installiert und man achtet schon gar nicht mehr darauf. Vor Geschäften stehen Sicherheitskräfte und die Polizei zeigt präventiv viel Präsenz. Es entsteht das Gefühl: Hier in dieser Stadt muss viel überwacht und beschützt werden. Eine absolute Sicherheit gibt es jedoch nicht, wie uns die Corona-Pandemie zeigt.
Die Uniformen waren weniger martialisch
Lässt man sich nun von diesem Wunsch nach Sicherheit und den erfolgten Maßnahmen im Blick auf Architektur leiten, so zeigen sich auch dort ähnliche Entwicklungen. Kennzeichen zum Beispiel einer repräsentativen Uniform ist das Verspielte, was abhängig ist von der Aufgabe. Ein Soldat, der durch den Schlamm kriechen soll, trägt eine andere Uniform als der General, der bei einem Staatsempfang als symbolische Präsentation der Macht für Sicherheit steht. Allen Uniformen ist gemeinsam, dass sie Werte präsentieren. Es ist nicht der Einzelne, der als Einzelner für diese Werte steht. Die Uniform verdeutlicht, dass der Einzelne für einen bestimmten Dienst an der Gemeinschaft steht. Und eben deshalb wird auch der Person, die eine Uniform trägt, Respekt entgegengebracht. Das Spielerische in der Gestaltung einer Uniform nimmt den Unbedingtheitsanspruch weg, es signalisiert, dass der Einzelne „Spaß“ an seiner Uniform hat und seine Macht eine vermittelte ist. Der Hauptmann von Köpenick ist ein Lehrstück dafür, dass dieses Spielerische in seiner Ambivalenz nicht verstanden wurde und daher der Einzelne als Einzelner die durch die Uniform vermittelte Macht für sich ausnutzen konnte. Heute scheint es eher das Gegenteil zu sein, der Polizist in seiner Uniform wird gar nicht ernstgenommen. Ebenso wie bei Rettungskräften, die immer häufiger aggressiv angegangen werden, symbolisiert die Kleidung weniger bestimmte Werte, sie ist funktional oder an der Sicherheit des die Uniform Tragenden orientiert. Architektur scheint bei vielen Bauten ähnlich in seiner Ausstrahlung zu sein.
Architektur wird abweisender
Beim Gang durch eine Siedlung, durch ein Stadtviertel kann man sich fragen, welche Werte durch die Architektur ausgedrückt werden. Dicke Türen, Zäune, Sicherheitssysteme, Kameras etc. weisen darauf hin, dass da etwas gesichert werden soll, doch findet sich darin noch keine Aussage über den Inhalt, über den Wert. Jemand, der die Fahne von seinem Fußballverein ins Fenster hängt, zeigt klar an, was ihm wichtig ist. Bei manchen alten Häusern gibt es eine kleine Nische, in der eine Heiligenfigur, Maria o. ä. eingebaut ist, auf einem Holzbalken über der Eingangstür steht ein Spruch oder es steht eine Bank im Vorgarten, die auf den Wunsch nach Gemeinschaft verweist. Es gibt deutliche Hinweise auf die Wertevorstellungen der Bewohner, wenn alles bunt, ein wenig ungepflegt und Fahrräder vor dem Haus stehen. Bei vielen neueren Häusern und Gebäuden drängt sich der Eindruck auf, dass allenfalls etwas ausgedrückt wird oder sich etwas ausdrückt. Der Verweischarakter lässt sich nicht erkennen oder ist gar nicht gewollt. Architektur wie auch Kleidung werden allerdings erst dadurch anregend, dass sie auf etwas verweisen. Die Uniform verweist auf die Macht des Staates oder einer Institution, Gebäude können durch Symbole, Figuren, aufgemalte Sprüche usw. auf die Werte ihrer Bewohner hinweisen. Ein solcher Verweischarakter wird meist durch ein kleines Detail erzeugt. Das Gebäude als solches ist nur selten ein Verweis auf etwas anderes. Es verlangt zudem, dass der Betrachter in der Lage ist, das Ganze zu sehen, was manchmal nur aus der Luft gelingt.
Beton revolutioniert die Architektur
Was in der Kleidung bei Polizisten, Sicherheitskräften und Mitarbeitern vom Ordnungsamt als brutal erscheint, kann als Reaktion auf die Terroranschläge in Paris, Berlin, Nizza und anderswo verstanden werden, doch möglicherweise ist das etwas zu vordergründig. In der Architektur gab es ab 1950 den Brutalismus, der sich vom französischen béton brut ableitet. Durch den Werkstoff Beton war es möglich, unabhängig von bisherigen statischen Notwendigkeiten, Konstruktionen und Formen in den Vordergrund zu stellen. Die Kritik nannte diesen Stil ästhetischen Vandalismus. Entscheidend ist, dass der Werkstoff es möglich machte, Gebäude zu planen und zu bauen, die die Fantasie nicht mehr begrenzten. Der Werkstoff machte im Prinzip jede Konstruktion und Form möglich. Damit war die Planung keine Auseinandersetzung mehr mit den Begrenzungen durch den Werkstoff. Die Idee konnte Form annehmen, wie es sich der Konstrukteur ausdachte. Wenn man so will, war der Idealismus zum Materialismus geworden. Die Diskrepanz von Idee und Verwirklichung war aufgehoben. Die kapitalistische Wirtschaft hatte keine Begrenzung mehr, es war alles möglich. Dass die Wirtschaft durch das Problem der Umsetzung von einer Idee zur Realisierung begrenzt werden könnte, hatte sich aufgelöst. Damit war jedoch auch die Notwendigkeit einer Idee unbedeutend geworden. Wichtig wurde allein die Konstruktion. Von daher ist es auch nicht überraschend, dass das Architekturbüro Böhm die Zentralmoschee in Köln geplant hat. Böhm war bekannt geworden durch seine Betonbauten, wie etwa die Wallfahrtskirche in Neviges. Da die Konstruktion und die Formen im Vordergrund stehen, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Architektur in sich eine Idee enthält. Die Kirche in Neviges gibt genau eine solche Atmosphäre wieder. Es sind wunderbare Ideen dort verwirklicht, das Ganze kann jedoch schnell als konstruiert erspürt werden. Und genau deshalb sind diese Betonbauten so brutal, da jedwede Konstruktion möglich ist, muss sie auf nichts mehr verweisen.
Exzess der Leere – Attraktion des Geheimnisvollen
Die Kleidung von Polizisten, Sicherheitsdiensten und Mitarbeitern des Ordnungsamtes ist aus demselben Grund so brutal. Die Kleidung verweist nicht auf den Wert, der verteidigt werden soll. Es ist ein Exzess der Leere, wie der Titel eines Buchs von Slavoj Zizek lautet. Und genau hierin zeigt sich das Problem einer Ästhetik. Die Form resultiert aus dem Ringen um die Umsetzung einer Fantasie. Wenn allerdings alles möglich ist, fällt dieses Ringen weg. Robert Pfaller hat mit seinem Buch „Die blitzenden Waffen: Über die Macht der Form“ deutlich hierauf verwiesen. Das Bemühen um eine gelungene Form, die eine Ambivalenz von Wahrheit und Wahrheitserzählung darstellt, kann nicht eindeutig oder transparent sein. Und gerade weil sie dieses „Dazwischen“ ästhetisch spürbar macht, verweist die gelungene Form auf eine Wahrheit, die nie direkt zugänglich ist, sondern immer zu einer durch Anstrengung in die Nähe bringende Ahnung wird. Wenn jedoch in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft alles erreichbar, alles zu einer Ware geworden ist, dann wird ein solches Aneignen der Wahrheit lediglich zu einem Kaufgeschäft. Sobald der Ware mehr als der Tauschwert zugeschrieben wird, zerplatzt die Blase einer kindlichen Wünschewelt. Träume, gute Gefühle wie auch Respekt und Anerkennung sind dann keine „Geschenke“, sondern Ergebnisse von Anstrengung. Architektur, Kleidung, Kunst und Kultur wollen erschlossen werden, sie dienen nicht der reinen Unterhaltung. Daher können sie auf der einen Seite das Risiko von Selbsterkenntnis enthalten und anderseits muss den Dingen ein Anspruch zugesprochen und erwiesen werden. Die Uniform eines Polizisten verdeutlicht den Anspruch einer Gesellschaft auf Sicherheit. Sie ist allerdings nicht der Ausdruck dafür. Die Form verführt zum Respekt und erzwingt nicht die Befolgung von Anweisungen. Auch für Gebäude müsste dies gelten. Die Form und Ästhetik eines Hauses provoziert den Respekt vor dem Eigentum und den Bewohnern. Wenn Schmierereien auf den Hauswänden fast schon zur Normalität geworden sind, so kann dies als Vandalismus bezeichnet werden, es kann jedoch auch gefragt werden, ob die Architektur zu wenig Wert auf eine Form gelegt hat, die die Spannung zum Inhalt und damit eine heilsame Distanz zum Objekt erzeugt hat, was dann wiederum eine Hemmung bewirken würde, etwas zu zerstören oder zu verschandeln.
Die Suche nach Ausdruck
Die Architektur kann daher nicht nur als Baukunst verstanden werden, sie hat einen Einfluss auf den Umgang der Menschen mit den Dingen, ebenso wie auch Kleidung einen bestimmten respektvollen Umgang mit dem jeweiligen Träger dieser Kleidung bewirkt. Die Form muss als Ringen um den erwachsenen Umgang mit Anspruch und Wirklichkeit, Inhalt und Ausdruck, Werten und Achtung davor etabliert sein, um eine Gesellschaft als lebenswert zu zeigen und nicht als deren Realisierung. So kann eine Bauruine oder ein verfallenes Gebäude lehrreicher und für eine Gesellschaft nützlicher sein als ein perfektes und „schönes“ Gebäude. Und eine völlig verspielte Uniform, die den Träger sogar bewegungslahm macht, kann mehr Respekt bewirken als eine Kampfmontur.
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