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Was haben SUVs und Beerdigungen gemeinsam?

„Von Beileidsbekundungen am Grab bitten wir Abstand zu nehmen“, so stand es oft in Sterbeanzeigen. Mittlerweile scheint dieser Spruch nicht mehr in Gebrauch zu sein, stattdessen findet man den Hinweis „Die Trauerfeier fand in aller Stille statt“. Dafür gibt es andere Möglichkeiten der Selbstdarstellung.

Die Zahl der SUVs hat auf den Straßen zugenommen, selbst Rolls Roys hat ein solches Vehikel nun auf den Markt gebracht. Zunächst scheinen beide Phänomene nichts miteinander zu tun zu haben. Erst wenn man an die Forschungen zur histrionischen Persönlichkeit, einer dramatisch-emotionale Ausdrucksform, denkt, wird klar, dass beide Phänomene eine bestimmte Form der Selbstinszenierung darstellen. Auf der einen Seite wird die Person in einem Auto mit viel Drumherum geschützt, es wird gezeigt, wie sicher man durch die Welt fährt und auf der anderen Seite wird die Person dem Publikum als Verstorbener nicht mehr ausgesetzt.
Der Bürger des 21. Jahrhunderts hat leicht zugängliche Möglichkeiten, sich in großer Pose zu inszenieren. Abiturfeiern werden oft von Eventmanagern organisiert, das Beste wird ausgesucht und die Kosten müssen durch Abiturvorfeiern finanziert werden und trotzdem muss jeder Abiturient / jede Abiturientin bzw. deren Eltern noch tief in die Geldbörse greifen, um die Location, die Festtagskleidung, die Acts, das Buffet usw. zu bezahlen. Doch das bisschen Luxus gönnt man sich. Auf facebook, youtube, instagram usw. kann jeder / jede sich präsentieren. Manchen gelingt es sogar, ein youtube-Sternchen zu werden. Und oft ist zu beobachten, wie sich Menschen mit ihrem Smartphone verhalten, sie setzen ein Lächeln auf, machen Selfies und manche haben bei dem Versuch, sich besonders gut in Szene zu setzen, nicht nur Unfälle erlitten, manche haben dabei gar ihr Leben gelassen. Sicherlich ist es kein völlig neues Phänomen, dass Menschen sich inszenieren. Es scheint jedoch aufgrund der technischen Möglichkeiten ein gewisser Stress entstanden zu sein. Aus der Möglichkeit, sich zu inszenieren, scheint der Zwang zur Selbstinszenierung entstanden zu sein.

Wichtigkeit und Darstellung

Menschen, die das Geld hatten, ließen sich in früheren Zeiten von Künstlern porträtieren. Sie waren bedeutende Persönlichkeiten, allein schon deshalb, weil sie die finanziellen Möglichkeiten hatten. Die Zahl derer, die über die nötigen finanziellen Mittel für solche Inszenierungen verfügen, ist in der westlichen Welt enorm gestiegen. Die technischen Mittel stehen vielen zur Verfügung. Inszenierung verlangt jedoch, dass zum Beispiel ein Porträt etwas zum Ausdruck bringt, was die Wichtigkeit dieser Person ausmacht. Gehört man einer gehobenen gesellschaftlichen Schicht an, ist es relativ leicht, das Gefühl für die eigene Wichtigkeit zu entwickeln. Man ist der Spross einer Kaufmannsdynastie, vielleicht sogar von Adel oder anderes. Der Zugang zur öffentlichen Inszenierung für viele macht es wesentlich schwieriger, das Besondere der eigenen Persönlichkeit, Geschichte und Wichtigkeit zu bestimmen. Es fällt bei diesem Kampf umso deutlicher auf, wenn jemand inhaltsleer auftritt. Die Inszenierung muss daher besonders perfekt und deutungsschwanger sein. Der Verdrängungskampf wird brutaler, es verlangt eine stabile Ausdauerbereitschaft, das Scheitern wird verstanden als Aufforderung weiterzumachen und nicht als möglicher Hinweis darauf, dass das Ganze neu oder anders bedacht werden sollte.

Verdrängung und Überblick

Der Kauf eines SUVs mag mit rationalen und nachvollziehbaren Gründen erklärt werden, es bleibt dennoch, dass diese Fortbewegungsmittel ein deutliches Zeichen setzen. Man sitzt höher, könnte durch widriges Gelände fahren, das Fahrzeug nimmt mehr Raum ein, bei Unfällen, so zumindest der Eindruck, ist ein SUV robuster und die Gefahr, dass der Fahrer / die Fahrerin sich verletzt, scheinbar geringer. Außerdem sind Anschaffungspreis und Unterhaltskosten für so ein Gefährt nicht unerheblich. Mit einem SUV kann man sich als jemand inszenieren, der den Überblick hat, der keine Widerstände kennt, der den Kampf gewinnen wird, da er das bessere Material hat. Allerdings muss jedem Fahrer / jeder Fahrerin klar sein, dass Abschreckung nur so lange funktioniert, wie es wenige Fahrzeuge dieser Art gibt. Es entsteht wiederum Stress, weil man sich in diese Spirale begeben hat. Der moderne Mensch kennt diese Dynamiken, will sie jedoch nicht wahrhaben, da er sich sonst seiner Unbedeutsamkeit bewusst würde. Wer das neueste iPhone hat, ist der König, doch durch die geschickten Verträge der Anbieter, können viele ein solches Gerät erwerben. Abitur und Studium sind für viele Menschen erstrebenswerte Ziel, doch wenn dann der Studierte seinen Lohnzettel mit dem manches Facharbeiters vergleicht, gerät er in Zweifel, ob Soziale Arbeit, Pflegemanagement, Erziehungswissenschaft und andere Studien ihm / ihr etwas gebracht haben. Oft bleibt dann nur noch der Idealismus, das Gefühl von Wichtigkeit verliert sich oft eher.

Was bleibt?

Am Ende steht dann die Frage, wer dieser Mensch wirklich war. Und dies entscheidet sich vor allem daran, wie dieser Mensch Beziehungen gepflegt hat. Wer kommt zur Beerdigung und warum? Welches Beziehungsgeflecht hatte der Verstorbene mit den Hinterbliebenen? Schämen sich die Hinterbliebenen vielleicht, wenn die Frage nach der Wichtigkeit des Toten im Raum steht und die Inszenierung entlarvt würde? Der Tote fährt nicht mit einem SUV vor, der inszenierte Habitus des Geländebezwingers ist durch die Wahrheit der Endlichkeit zerbröckelt. Und wahrscheinlich liegt hier der Zusammenhang zwischen dem Fahren eines SUVs und den stillen Trauerfeiern. Was in einem SUV sitzend noch von der eigenen Inszenierung geglaubt werden kann, ist am Grab zur Karikatur geworden. Um diese vernichtende Erfahrung nicht machen zu müssen oder das Platzen der Inszenierungsblase zu vermeiden, wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Die auch vorher gar nicht vorhanden war, sondern als anonymer Empfänger der Inszenierungsbotschaften genutzt wurde.



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