Ein Gang durch die Innenstädte: Gehetzte Menschen, die Gesichter wenig entspannt, irgendwie orientierungslos, auf der Suche nach irgendetwas, einige stören den Fluss, weil sie langsam gehen oder stehenbleiben. Ein Lächeln fällt auf und wirkt wie der Wink einer Erlösung aus dem dumpfen Einerlei und Getriebensein. Dann tauchen die freundlichen Werber auf, ich soll den WWF, Malteser, Johanniter oder sonstwen unterstützen. Immer wenn jemand freundlich auf mich zukommt, ahne ich Böses: Ich soll etwas kaufen, ein Abo abschließen, eine Mitgliedschaft eingehen oder unterschreiben, dass ich eine Initiative unterstütze, für dies und gegen das bin. Kommen mir Unfreundlichkeit oder ein bewegungsloses Gesicht entgegen, spüre ich mit Freude, dass der Träger einer solchen Stimmung nichts von mir will. Wie oft macht man die Erfahrung, einfach nur so in ein Geschäft zu gehen, weil man eine Kleinigkeit besorgen will oder nur ein ganz bestimmtes Teil kaufen will und dann kommt eine freundliche Verkäuferin oder ein netter Verkäufer und wieder hat man Geld ausgegeben, das man eigentlich anders verplant hatte? Unfreundlichkeit kann so hilfreich sein, sie hält nicht auf und lenkt von den Plänen nicht ab.
Unfreundlichkeit als Schutz
Im Flugzeug durchquert die Stewardess den Gang mit einem Lächeln. Freundliche Menschen, die gelernt haben, dass ein Lächeln zum Kundendienst gehört, provozieren eine Nähe, die nicht immer erwünscht ist. Es wird Kommunikation aufgedrängt. Und da hilft nur Unfreundlichkeit. Ein aggressives und hässiges Gesicht schützt vor ungewünschten Eindringlingen. Aufmerksamkeit ist eine knappe Ressource und provokative Reklame kommt nicht gut. Also wird Freundlichkeit zum Marketinginstrument, das wie eine Allzweckwaffe genutzt wird. Der Konsument wird dauerbelagert. Immer, wenn jemand Aufmerksamkeit erheischt, wäre Freundlichkeit als Antwort schon wie ein Ja. Also setzt der kritische Konsument ein Gesicht auf, das von Weitem abschreckend wirkt und verhindert, dass er angesprochen wird. Dass er dabei auch die abweist, die einfach nur freundlich sind und nichts wollen, entgeht ihm bisweilen.
Die Ökonomie: Freundlichkeit ist aufwändiger
Wollte der Unfreundliche differenzieren, wäre sein Aufwand sehr hoch. Es ist leichter zu verallgemeinern und jedem Freundlichen Böses zu unterstellen. Für den Freundlichen ist sein Freundlichsein ebenso ein sehr hoher Aufwand. Während Unfreundlichkeit ohne Mühe authentisch wirkt, ist Freundlichkeit nur dann überzeugend, wenn die innere Stimmung dazu stimmt. Entweder ist man eine Frohnatur oder erarbeitet sich eine freundliche Fassade. Eine solche aufrecht zu erhalten, verlangt ein ständiges Feedback. Ein wenig Missmut, der nicht unterdrückt werden kann, lässt einen Riss in der Mimik entstehen und der Freundliche kann überführt sein. Der Unfreundliche ist gestärkt in seiner miesen Stimmung, wenn etwas nicht gelingt oder Fehler passieren.
Freundlichkeit als Sieg über den Erfolg
Die Mühe des Alltags in einer Welt, in der der Mensch als potenzieller Kunde, Käufer oder Konsument betrachtet wird, besteht in einer Abwehrbewegung: Was brauche ich wirklich? Ist dies das günstigste Angebot? Welche Leistung bekomme ich tatsächlich für mein Geld? Wie werde ich möglicherweise getäuscht? Bekommt der Verkäufer eine Provision und bietet mir gerade dieses Produkt an? Brauche ich diese Versicherung tatsächlich? Es ist der Kampf um einen Erfolg, beide Seiten wollen gewinnen. Und dann denken sich vielleicht beide Seiten: Ach, wie glücklich sind doch die armen Leuten, die nichts haben und so zufrieden sind? Die Klischees von „arm aber zufrieden“, „dumm aber glücklich“ u. ä. erscheinen wie Ikonen der Erlösung. Doch ist diese Utopie schließlich kaum ausreichend überzeugend, Armut und Dummheit sind keine Lebensziele. Menschen, die sich sowohl vom Festhalten an solchen Klischees als auch vom Willen zum Erfolg befreien, können entspannen, das Gesicht sieht erlöster aus und der Wunsch, freundlich auszusehen, verwandelt sich in ein gutes Gefühl. Der Blick wird klarer und offener, die Körperspannung resultiert nicht aus dem Trainieren von Muskeln, sondern aus dem tiefen Aus- und Einatmen. Der Habitus entsteht aus dem Spüren eines inneren Wohlgefühls. Dass dies andere als freundlich empfinden, ist dann nur noch ein Nebeneffekt.
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